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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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beschleunigen, denn Jedermann sieht letztere voraus, ohne ihren Zeitpunkt be¬
stimmen zu können. Ich gefalle mir in dem Gedanken, daß diese Zeit nicht
mehr so ferne ist, wie Manche glauben, und daß wir weder Mühe noch Kosten
sparen dürfen, dazu mitzuhelfen. . . Die Bande, welche Amerika an England
knüpfen, sind zu drei Vertheilen zerrissen; es muß das Joch bald abwerfen.
Um sich aber unabhängig zu machen, brauchen die Einwohner weiter Nichts
als Waffen, Muth und einen Führer. Hätten sie einen Genius wie Crom-
well in ihrer Mitte, so wäre diese Republik leichter zu gründen, als die,
deren Haupt jener Usurpator war. Vielleicht ist dieser Mann schon vorhan¬
den, vielleicht fehlt es an weiter Nichts als an glücklichen Umständen, um ihn
auf eine große Bühne zu stellen." Während Frankreich derart das Auftreten
eines Washington ahnte, fürchtete Spanien, obgleich auf England eifersüchtig,
die Erhebung der britischen Colonien als ein schlechtes Vorbild für die eigenen
Besitzungen in Amerika, denn wie entsetzlich war es, in ihrer Nähe eine Republik
finden zu sollen!




Bosnien und die Bosnier.
i.

Seit geraumer Zeit schon macht der große Stamm der Südslaven die
Welt wieder einmal von sich reden, und möglich ist. wenn auch bis jetzt noch
nicht wahrscheinlich, daß der Aufstand in Bosnien und der Herzegowina mit
der Lostrennung dieser Provinz von der Pfortenherrschaft und dem Entstehen
eines neuen halb unabhängigen Staats serbischer Nationalität endigt. Ge¬
schieht dieß jetzt noch nicht, so wird es vermuthlich in einer nicht fernen
Zukunft geschehen, und dann wird der ganze Norden des Reiches, welches
die großen Türkensultane im fünfzehnten und sechzehnten Jahrhundert über
den Südosten Europas ausdehnten, sich abgelöst und, wenn auch nicht sofort
viel glücklicheren, doch natürlicheren Zuständen zugewendet haben. Langsames
Einschrumpfen, Abfallen von Gliedern scheint der Gang zu sein, welcher der
Krankheit der Türkei eigen ist, und wir können uns Glück wünschen, wenn
es bei diesem allmählichen Zerfalle des nicht mehr zu heilenden Staatskörpers
bleibt, da jede plötzliche Beschleunigung von Außen her einen Weltkrieg zur
Folge haben würde. Unterbleibt solche Beschleunigung, so wird die Loslösung
Bosniens von dem osmanischen Reiche, vielleicht für jetzt, auf die Dauer


Grenzboten III. 1876. 8

beschleunigen, denn Jedermann sieht letztere voraus, ohne ihren Zeitpunkt be¬
stimmen zu können. Ich gefalle mir in dem Gedanken, daß diese Zeit nicht
mehr so ferne ist, wie Manche glauben, und daß wir weder Mühe noch Kosten
sparen dürfen, dazu mitzuhelfen. . . Die Bande, welche Amerika an England
knüpfen, sind zu drei Vertheilen zerrissen; es muß das Joch bald abwerfen.
Um sich aber unabhängig zu machen, brauchen die Einwohner weiter Nichts
als Waffen, Muth und einen Führer. Hätten sie einen Genius wie Crom-
well in ihrer Mitte, so wäre diese Republik leichter zu gründen, als die,
deren Haupt jener Usurpator war. Vielleicht ist dieser Mann schon vorhan¬
den, vielleicht fehlt es an weiter Nichts als an glücklichen Umständen, um ihn
auf eine große Bühne zu stellen." Während Frankreich derart das Auftreten
eines Washington ahnte, fürchtete Spanien, obgleich auf England eifersüchtig,
die Erhebung der britischen Colonien als ein schlechtes Vorbild für die eigenen
Besitzungen in Amerika, denn wie entsetzlich war es, in ihrer Nähe eine Republik
finden zu sollen!




Bosnien und die Bosnier.
i.

Seit geraumer Zeit schon macht der große Stamm der Südslaven die
Welt wieder einmal von sich reden, und möglich ist. wenn auch bis jetzt noch
nicht wahrscheinlich, daß der Aufstand in Bosnien und der Herzegowina mit
der Lostrennung dieser Provinz von der Pfortenherrschaft und dem Entstehen
eines neuen halb unabhängigen Staats serbischer Nationalität endigt. Ge¬
schieht dieß jetzt noch nicht, so wird es vermuthlich in einer nicht fernen
Zukunft geschehen, und dann wird der ganze Norden des Reiches, welches
die großen Türkensultane im fünfzehnten und sechzehnten Jahrhundert über
den Südosten Europas ausdehnten, sich abgelöst und, wenn auch nicht sofort
viel glücklicheren, doch natürlicheren Zuständen zugewendet haben. Langsames
Einschrumpfen, Abfallen von Gliedern scheint der Gang zu sein, welcher der
Krankheit der Türkei eigen ist, und wir können uns Glück wünschen, wenn
es bei diesem allmählichen Zerfalle des nicht mehr zu heilenden Staatskörpers
bleibt, da jede plötzliche Beschleunigung von Außen her einen Weltkrieg zur
Folge haben würde. Unterbleibt solche Beschleunigung, so wird die Loslösung
Bosniens von dem osmanischen Reiche, vielleicht für jetzt, auf die Dauer


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[0065] beschleunigen, denn Jedermann sieht letztere voraus, ohne ihren Zeitpunkt be¬ stimmen zu können. Ich gefalle mir in dem Gedanken, daß diese Zeit nicht mehr so ferne ist, wie Manche glauben, und daß wir weder Mühe noch Kosten sparen dürfen, dazu mitzuhelfen. . . Die Bande, welche Amerika an England knüpfen, sind zu drei Vertheilen zerrissen; es muß das Joch bald abwerfen. Um sich aber unabhängig zu machen, brauchen die Einwohner weiter Nichts als Waffen, Muth und einen Führer. Hätten sie einen Genius wie Crom- well in ihrer Mitte, so wäre diese Republik leichter zu gründen, als die, deren Haupt jener Usurpator war. Vielleicht ist dieser Mann schon vorhan¬ den, vielleicht fehlt es an weiter Nichts als an glücklichen Umständen, um ihn auf eine große Bühne zu stellen." Während Frankreich derart das Auftreten eines Washington ahnte, fürchtete Spanien, obgleich auf England eifersüchtig, die Erhebung der britischen Colonien als ein schlechtes Vorbild für die eigenen Besitzungen in Amerika, denn wie entsetzlich war es, in ihrer Nähe eine Republik finden zu sollen! Bosnien und die Bosnier. i. Seit geraumer Zeit schon macht der große Stamm der Südslaven die Welt wieder einmal von sich reden, und möglich ist. wenn auch bis jetzt noch nicht wahrscheinlich, daß der Aufstand in Bosnien und der Herzegowina mit der Lostrennung dieser Provinz von der Pfortenherrschaft und dem Entstehen eines neuen halb unabhängigen Staats serbischer Nationalität endigt. Ge¬ schieht dieß jetzt noch nicht, so wird es vermuthlich in einer nicht fernen Zukunft geschehen, und dann wird der ganze Norden des Reiches, welches die großen Türkensultane im fünfzehnten und sechzehnten Jahrhundert über den Südosten Europas ausdehnten, sich abgelöst und, wenn auch nicht sofort viel glücklicheren, doch natürlicheren Zuständen zugewendet haben. Langsames Einschrumpfen, Abfallen von Gliedern scheint der Gang zu sein, welcher der Krankheit der Türkei eigen ist, und wir können uns Glück wünschen, wenn es bei diesem allmählichen Zerfalle des nicht mehr zu heilenden Staatskörpers bleibt, da jede plötzliche Beschleunigung von Außen her einen Weltkrieg zur Folge haben würde. Unterbleibt solche Beschleunigung, so wird die Loslösung Bosniens von dem osmanischen Reiche, vielleicht für jetzt, auf die Dauer Grenzboten III. 1876. 8

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/65>, abgerufen am 27.09.2024.