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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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Unterdessen schickten "die Söhne der Freiheit" Deputirte nach Hartford,
und einmüthig erklärte sich die dort tagende Versammlung für die Fortdauer
der Union als der einzigen Bürgschaft für die Freiheit. Hutchinson gestand,
"der Gedanke der Unabhängigkeit sei in das Herz Amerikas eingedrungen",
der jugendkräftige Joseph Warren rief zuerst "Freiheit und Gleichheit" , in
Virginien deckte Richard Bland die Blößen der englischen Constitution auf,
beanspruchte gänzliche Befreiung Amerikas von der parlamentarischen Gesetz¬
gebung und zeigte drohend als Mittel gegen verweigerte Abhülfe auf die
Unabhängigkeit hin; eine lautere Sprache begann sich geltend zu machen.

Da erfuhr Amerika die Aufhebung der verhaßten Stempelakte und
aus allen Kehlen drangen Freudenrufe, der Jubel war so groß und ein¬
müthig, daß Niemand an die zugleich gegebene Deklarationsbill dachte.
Die Aufhebung des Gesetzes erschien Allen als ein Sieg des Rechts über
die Willkür und der Freiheit über den Despotismus, ja Manche über¬
schätzten sie so, daß sie darin die vollständige Niederlage des alters¬
schwachen Mutterlandes erblickten. In edler Weise verband sich mit dem
Jubel die Dankbarkeit, neben Gott pries man den König, Pitt und die
anderen Wortführer Amerikas im Parlamente. Südcarolina wollte Pitt eine
Statue, Virginien eine dem Könige setzen. Boston illuminirte und sein be¬
redter Pfarrer Jonathan Mayhew schilderte mit hinreißender Phantasie neben
den Qualen und Leiden der Sklaverei die Glorie der Freiheit und segnete
Pitt als den Vater der beglückten Amerikaner. Man schien alle Gefahren
für beseitigt zu halten und Friede zog in die erregten Gemüther ein. Aber
er sollte von kürzester Dauer sein. Bernard, der Gouverneur von Massa¬
chusetts, ein eitler Fürstenknecht, benahm sich mit unerhörter Frechheit; wäh¬
rend er verhaßte Personen in den dortigen Senat bringen wollte, verwarf
er die Wahlen beliebter Patrioten wie Otis u. A. als ungültig und solli-
eitirte in London um strenges Einschreiten des Parlamentes und um Ab¬
änderung des Freibriefs der Colonie.

Ende Juli 1766 trat das Ministerium Rockingham ab und obwohl
todtkrank bildete William Pitt ein Ministerium, dem er als erster Minister
präsidirte, von nun an war er nicht mehr der große Commoner, sondern der
Earl of Chatham; der dem Könige mißliebige Graf Shelburne erhielt das
Portefeuille für Amerika. Pitt's Autorität in Großbritannien sank jedoch
von dem Augenblicke an, da er die Reihen des Volkes verließ, er wurde seiner
besseren Ueberzeugung untreu, sein Kampf gegen die Aristokratie entbehrte
des alten Erfolges und seine sympathische Haltung für die Colonien trat
bald in Schatten vor dem unermüdlichen Wühlen Townshend's, der als
Mitvater der Stempelakte die trotzigen Amerikaner mißachtete und "die
Autorität der Gesetze nicht mit Füßen treten lassen" wollte. In Amerika


Unterdessen schickten „die Söhne der Freiheit" Deputirte nach Hartford,
und einmüthig erklärte sich die dort tagende Versammlung für die Fortdauer
der Union als der einzigen Bürgschaft für die Freiheit. Hutchinson gestand,
„der Gedanke der Unabhängigkeit sei in das Herz Amerikas eingedrungen",
der jugendkräftige Joseph Warren rief zuerst „Freiheit und Gleichheit" , in
Virginien deckte Richard Bland die Blößen der englischen Constitution auf,
beanspruchte gänzliche Befreiung Amerikas von der parlamentarischen Gesetz¬
gebung und zeigte drohend als Mittel gegen verweigerte Abhülfe auf die
Unabhängigkeit hin; eine lautere Sprache begann sich geltend zu machen.

Da erfuhr Amerika die Aufhebung der verhaßten Stempelakte und
aus allen Kehlen drangen Freudenrufe, der Jubel war so groß und ein¬
müthig, daß Niemand an die zugleich gegebene Deklarationsbill dachte.
Die Aufhebung des Gesetzes erschien Allen als ein Sieg des Rechts über
die Willkür und der Freiheit über den Despotismus, ja Manche über¬
schätzten sie so, daß sie darin die vollständige Niederlage des alters¬
schwachen Mutterlandes erblickten. In edler Weise verband sich mit dem
Jubel die Dankbarkeit, neben Gott pries man den König, Pitt und die
anderen Wortführer Amerikas im Parlamente. Südcarolina wollte Pitt eine
Statue, Virginien eine dem Könige setzen. Boston illuminirte und sein be¬
redter Pfarrer Jonathan Mayhew schilderte mit hinreißender Phantasie neben
den Qualen und Leiden der Sklaverei die Glorie der Freiheit und segnete
Pitt als den Vater der beglückten Amerikaner. Man schien alle Gefahren
für beseitigt zu halten und Friede zog in die erregten Gemüther ein. Aber
er sollte von kürzester Dauer sein. Bernard, der Gouverneur von Massa¬
chusetts, ein eitler Fürstenknecht, benahm sich mit unerhörter Frechheit; wäh¬
rend er verhaßte Personen in den dortigen Senat bringen wollte, verwarf
er die Wahlen beliebter Patrioten wie Otis u. A. als ungültig und solli-
eitirte in London um strenges Einschreiten des Parlamentes und um Ab¬
änderung des Freibriefs der Colonie.

Ende Juli 1766 trat das Ministerium Rockingham ab und obwohl
todtkrank bildete William Pitt ein Ministerium, dem er als erster Minister
präsidirte, von nun an war er nicht mehr der große Commoner, sondern der
Earl of Chatham; der dem Könige mißliebige Graf Shelburne erhielt das
Portefeuille für Amerika. Pitt's Autorität in Großbritannien sank jedoch
von dem Augenblicke an, da er die Reihen des Volkes verließ, er wurde seiner
besseren Ueberzeugung untreu, sein Kampf gegen die Aristokratie entbehrte
des alten Erfolges und seine sympathische Haltung für die Colonien trat
bald in Schatten vor dem unermüdlichen Wühlen Townshend's, der als
Mitvater der Stempelakte die trotzigen Amerikaner mißachtete und „die
Autorität der Gesetze nicht mit Füßen treten lassen" wollte. In Amerika


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[0061] Unterdessen schickten „die Söhne der Freiheit" Deputirte nach Hartford, und einmüthig erklärte sich die dort tagende Versammlung für die Fortdauer der Union als der einzigen Bürgschaft für die Freiheit. Hutchinson gestand, „der Gedanke der Unabhängigkeit sei in das Herz Amerikas eingedrungen", der jugendkräftige Joseph Warren rief zuerst „Freiheit und Gleichheit" , in Virginien deckte Richard Bland die Blößen der englischen Constitution auf, beanspruchte gänzliche Befreiung Amerikas von der parlamentarischen Gesetz¬ gebung und zeigte drohend als Mittel gegen verweigerte Abhülfe auf die Unabhängigkeit hin; eine lautere Sprache begann sich geltend zu machen. Da erfuhr Amerika die Aufhebung der verhaßten Stempelakte und aus allen Kehlen drangen Freudenrufe, der Jubel war so groß und ein¬ müthig, daß Niemand an die zugleich gegebene Deklarationsbill dachte. Die Aufhebung des Gesetzes erschien Allen als ein Sieg des Rechts über die Willkür und der Freiheit über den Despotismus, ja Manche über¬ schätzten sie so, daß sie darin die vollständige Niederlage des alters¬ schwachen Mutterlandes erblickten. In edler Weise verband sich mit dem Jubel die Dankbarkeit, neben Gott pries man den König, Pitt und die anderen Wortführer Amerikas im Parlamente. Südcarolina wollte Pitt eine Statue, Virginien eine dem Könige setzen. Boston illuminirte und sein be¬ redter Pfarrer Jonathan Mayhew schilderte mit hinreißender Phantasie neben den Qualen und Leiden der Sklaverei die Glorie der Freiheit und segnete Pitt als den Vater der beglückten Amerikaner. Man schien alle Gefahren für beseitigt zu halten und Friede zog in die erregten Gemüther ein. Aber er sollte von kürzester Dauer sein. Bernard, der Gouverneur von Massa¬ chusetts, ein eitler Fürstenknecht, benahm sich mit unerhörter Frechheit; wäh¬ rend er verhaßte Personen in den dortigen Senat bringen wollte, verwarf er die Wahlen beliebter Patrioten wie Otis u. A. als ungültig und solli- eitirte in London um strenges Einschreiten des Parlamentes und um Ab¬ änderung des Freibriefs der Colonie. Ende Juli 1766 trat das Ministerium Rockingham ab und obwohl todtkrank bildete William Pitt ein Ministerium, dem er als erster Minister präsidirte, von nun an war er nicht mehr der große Commoner, sondern der Earl of Chatham; der dem Könige mißliebige Graf Shelburne erhielt das Portefeuille für Amerika. Pitt's Autorität in Großbritannien sank jedoch von dem Augenblicke an, da er die Reihen des Volkes verließ, er wurde seiner besseren Ueberzeugung untreu, sein Kampf gegen die Aristokratie entbehrte des alten Erfolges und seine sympathische Haltung für die Colonien trat bald in Schatten vor dem unermüdlichen Wühlen Townshend's, der als Mitvater der Stempelakte die trotzigen Amerikaner mißachtete und „die Autorität der Gesetze nicht mit Füßen treten lassen" wollte. In Amerika

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/61>, abgerufen am 27.09.2024.