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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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achtung preisgegeben, ähnlich wie solches 1771 und 1788 in Frankreich sich
wiederholte. So stand dem Stempelbefehle hier ein Stempelverbot entgegen,
denn Amerika glaubte, hinter der Akte lauere eine Grundsteuer als Consequenz.

Am 9. Juli fiel Grenville, das Whig-Ministerium Rockingham trat ins
Amt, es besaß weder einen hervorragenden Kopf noch auch das Vertrauen
des Parlamentes und schien daher dem Könige sehr genehm. Marquis
Rockingham, der erste Lord des Schatzes, war zwar ehrlich und freiheitfreund¬
lich, aber im Amte ganz Neuling; zum Glück gab er viel auf den Rath seines
Whigistischen Sekretairs, des genialen Edmund Burke. Wenn Grenville ge¬
glaubt hatte, Amerika werde eher einheimische als britische Stempelbeamte er¬
tragen, so war dies eine der vielen Täuschungen seiner Amtszeit gewesen.
Sobald die Namen der amerikanischen Beamten bekannt wurden, schrie die
Menge: "es wird wie in Westindien gehen, dort sind auch die schwarzen
Sklavenaufseher die grausamsten." Der Richter Oliver traf zwar alle An¬
stalten, sein Amt als Stempelmeister in Boston anzutreten und errichtete ein
Stempelbureau, aber alsbald war es um letzteres geschehen. In der Nacht
des 13. Aug. schlich ein Volkshaufe zu einer majestätischen Ulme, hing sein
Bild mit Emblemen Bude's und Grenville's daran und weihte derart den
Baum zum Baume der Freiheit, indem er rief: "Das soll der Baum der
Freiheit sein. Wir wollen und zahlen keine Stempel. Dieser Baum bleibe
das Denkzeichen unserer Freiheit. Verflucht, wer ihn umbaut!" An öffent¬
lichen Plätzen, Kreuzwegen und ähnlichen auffallenden Punkten erhoben sich
in zauberhafter Schnelle solche Bäume, viele Schenken nannten sich "zum
Baume der Freiheit", rasch gedichtete und rasch gelernte Freiheitslieder be¬
geisterten. Der Overrichter-Vicegouverneur Hutchinson suchte am 14. August
vergebens die Massen zu beruhigen, ja er mußte erleben, daß man ihm seine
Einmischung verwies -- es waren untrügliche Vorzeichen der Revolution.
Am Abende des 14. Aug. wurde das Bild vom Baume genommen, auf eine
Bahre gelegt, mit der die Menge, "Freiheit. Eigenthum und keine Stempel"
ausrufend, vor Oliver's Bureau zog. Im Nu war dieses eingerissen, die
Trümmer wurden vor seine Wohnung geschleift und dienten zum Scheiter¬
haufen für sein Bild, seine Fenster wurden eingeworfen, sein Hausrath theil¬
weise zerstört -- er selbst rettete sein Leben, indem er den lachenden Ge¬
bühren entsagte und sein Amt nicht antrat. Diesem 14. Aug. folgte am
26. Aug. der Angriff auf den verdächtigen Hutchinson. Nach Verbrennung
aller Akten des Admiralitätsgerichtshofs und nach Zerstörung des Hauses
des Zollcontroleurs, erbrach ein Haufe Hutchinson's Thüre, zerschlug sein
Hausgeräthe, streute seine Gelder und Bücher umher und vernichtete seine
kostbaren Manuscripte; letzteres war eine rohe Vergewaltigung an der eigenen
Geschichte, denn Hutchinson war der mustergültige Historiker der Colonie


Grenzboten III. 187K. 7

achtung preisgegeben, ähnlich wie solches 1771 und 1788 in Frankreich sich
wiederholte. So stand dem Stempelbefehle hier ein Stempelverbot entgegen,
denn Amerika glaubte, hinter der Akte lauere eine Grundsteuer als Consequenz.

Am 9. Juli fiel Grenville, das Whig-Ministerium Rockingham trat ins
Amt, es besaß weder einen hervorragenden Kopf noch auch das Vertrauen
des Parlamentes und schien daher dem Könige sehr genehm. Marquis
Rockingham, der erste Lord des Schatzes, war zwar ehrlich und freiheitfreund¬
lich, aber im Amte ganz Neuling; zum Glück gab er viel auf den Rath seines
Whigistischen Sekretairs, des genialen Edmund Burke. Wenn Grenville ge¬
glaubt hatte, Amerika werde eher einheimische als britische Stempelbeamte er¬
tragen, so war dies eine der vielen Täuschungen seiner Amtszeit gewesen.
Sobald die Namen der amerikanischen Beamten bekannt wurden, schrie die
Menge: „es wird wie in Westindien gehen, dort sind auch die schwarzen
Sklavenaufseher die grausamsten." Der Richter Oliver traf zwar alle An¬
stalten, sein Amt als Stempelmeister in Boston anzutreten und errichtete ein
Stempelbureau, aber alsbald war es um letzteres geschehen. In der Nacht
des 13. Aug. schlich ein Volkshaufe zu einer majestätischen Ulme, hing sein
Bild mit Emblemen Bude's und Grenville's daran und weihte derart den
Baum zum Baume der Freiheit, indem er rief: „Das soll der Baum der
Freiheit sein. Wir wollen und zahlen keine Stempel. Dieser Baum bleibe
das Denkzeichen unserer Freiheit. Verflucht, wer ihn umbaut!" An öffent¬
lichen Plätzen, Kreuzwegen und ähnlichen auffallenden Punkten erhoben sich
in zauberhafter Schnelle solche Bäume, viele Schenken nannten sich „zum
Baume der Freiheit", rasch gedichtete und rasch gelernte Freiheitslieder be¬
geisterten. Der Overrichter-Vicegouverneur Hutchinson suchte am 14. August
vergebens die Massen zu beruhigen, ja er mußte erleben, daß man ihm seine
Einmischung verwies — es waren untrügliche Vorzeichen der Revolution.
Am Abende des 14. Aug. wurde das Bild vom Baume genommen, auf eine
Bahre gelegt, mit der die Menge, „Freiheit. Eigenthum und keine Stempel"
ausrufend, vor Oliver's Bureau zog. Im Nu war dieses eingerissen, die
Trümmer wurden vor seine Wohnung geschleift und dienten zum Scheiter¬
haufen für sein Bild, seine Fenster wurden eingeworfen, sein Hausrath theil¬
weise zerstört — er selbst rettete sein Leben, indem er den lachenden Ge¬
bühren entsagte und sein Amt nicht antrat. Diesem 14. Aug. folgte am
26. Aug. der Angriff auf den verdächtigen Hutchinson. Nach Verbrennung
aller Akten des Admiralitätsgerichtshofs und nach Zerstörung des Hauses
des Zollcontroleurs, erbrach ein Haufe Hutchinson's Thüre, zerschlug sein
Hausgeräthe, streute seine Gelder und Bücher umher und vernichtete seine
kostbaren Manuscripte; letzteres war eine rohe Vergewaltigung an der eigenen
Geschichte, denn Hutchinson war der mustergültige Historiker der Colonie


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/57>, abgerufen am 27.09.2024.