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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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Zeit legte er die Entstehung des Staates dar, betrachtete die Befugniß des
Herrschers und sprach von der unverjährbaren Machtvollkommenheit des
Volkes, welches den Herrscher bestimmt habe. Seiner Ansicht nach "müssen
die Verwalter der gesetzgebenden und ausübenden Gewalt, wenn sie zur
Tyrannei hinneigen, auf Widerstand stoßen und falls sie sich als unverbesser¬
lich erweisen, abgesetzt werden." Denn "dem Volke ist es ganz gleichgültig,
ob es dem Georg oder Ludwig Unterthan ist, wenn Beide gleich willkürlich
regieren. Können sie aber ohne die Volksvertretung Steuern erheben, so sind
Beide Willkürherren/' Dann sagte er ohne Umschweife: "Alle Macht gehört
den Völkern; diese Macht, dies göttliche Recht können sie nie verlieren oder
freiwillig aufgeben. Das Volk ist Grund und Quelle aller Staatsgewalt."
In wild erregtem Tone hebt er die Gleichheit aller Menschen und ihren
Freibrief als solche hervor, schließt auf die vollste Gleichberechtigung der eng¬
lischen Colonisten mit den englischen Bürgern des Mutterstaates und in
gleichem Maße auf die Gleichheit der Weißen und der Schwarzen. Dabei
verhehlt er sich durchaus nicht einen nahe bevorstehenden Umschwung in der
Welt, die Gluth der Revolution scheint ihn schon anzuwehen, weil er sagt:
"Die Welt steht am Vorabende des großartigsten Schauspiels irdischer Macht
und Größe, welches je den Augen des Menschengeschlechts vorgeführt worden
ist. Wer den Sieg erringen wird, weiß Gott allein. Aber die menschliche
Natur wird und muß von der allgemeinen Sklaverei befreit werden, welche
so lange über das Menschengeschlecht triumphirt hat.* So sicher wie ein
biblischer Seher hatte Otis geahnt, Viele verstanden ihn nicht und hielten ihn
für einen Wahnsinnigen. Ihnen aber rief der berühmte Lord Mansfield, der
seine geistvolle Denkungsart bewunderte, zu: "Und wenn dies wäre! ein
Wahnsinniger macht oft Viele. Masaniello war wahnsinnig, Niemand hat
daran gezweifelt, und doch stürzte er die Regierung von Neapel." Neben
Otis regte sich eine lange Reihe gewandter Federn. Der hochbewährte Jurist
Oxenbridge Thacher suchte nach echt englischer Weise bei seinen Betrachtungen
über die willkürliche Besteuerung nach Präcedenzfällen und zählte die massen¬
haften Fälle auf, in denen gerade das britische Parlament ungerechte Steuern
verweigert hatte; zugleich schilderte er, welche Gefahren England selbst daraus
erwachsen mußten, wenn durch ministeriellen Druck Million Menschen in
Amerika rechtlos gemacht würden. Otis, O. Thacher, Cushing, Gray und
Sheafe sandten als Mitglieder des Bostoner Korrespondenz - Comite' Rund¬
schreiben an alle Colonien. um ihren Beistand zu erlangen. Der Vice-
gouverneur von Massachusets, Thomas Hutchinson, hegte wohl selbst ähnliche
Ansichten über die Rechte der Colonien, hütete sich aber der englischen Re¬
gierung dergleichen merken zu lassen. Petitionirend und in loyalstem Sinne
das Unrecht vorstellend, wandte sich die Generalversammlung in New-York


Zeit legte er die Entstehung des Staates dar, betrachtete die Befugniß des
Herrschers und sprach von der unverjährbaren Machtvollkommenheit des
Volkes, welches den Herrscher bestimmt habe. Seiner Ansicht nach „müssen
die Verwalter der gesetzgebenden und ausübenden Gewalt, wenn sie zur
Tyrannei hinneigen, auf Widerstand stoßen und falls sie sich als unverbesser¬
lich erweisen, abgesetzt werden." Denn „dem Volke ist es ganz gleichgültig,
ob es dem Georg oder Ludwig Unterthan ist, wenn Beide gleich willkürlich
regieren. Können sie aber ohne die Volksvertretung Steuern erheben, so sind
Beide Willkürherren/' Dann sagte er ohne Umschweife: „Alle Macht gehört
den Völkern; diese Macht, dies göttliche Recht können sie nie verlieren oder
freiwillig aufgeben. Das Volk ist Grund und Quelle aller Staatsgewalt."
In wild erregtem Tone hebt er die Gleichheit aller Menschen und ihren
Freibrief als solche hervor, schließt auf die vollste Gleichberechtigung der eng¬
lischen Colonisten mit den englischen Bürgern des Mutterstaates und in
gleichem Maße auf die Gleichheit der Weißen und der Schwarzen. Dabei
verhehlt er sich durchaus nicht einen nahe bevorstehenden Umschwung in der
Welt, die Gluth der Revolution scheint ihn schon anzuwehen, weil er sagt:
„Die Welt steht am Vorabende des großartigsten Schauspiels irdischer Macht
und Größe, welches je den Augen des Menschengeschlechts vorgeführt worden
ist. Wer den Sieg erringen wird, weiß Gott allein. Aber die menschliche
Natur wird und muß von der allgemeinen Sklaverei befreit werden, welche
so lange über das Menschengeschlecht triumphirt hat.* So sicher wie ein
biblischer Seher hatte Otis geahnt, Viele verstanden ihn nicht und hielten ihn
für einen Wahnsinnigen. Ihnen aber rief der berühmte Lord Mansfield, der
seine geistvolle Denkungsart bewunderte, zu: „Und wenn dies wäre! ein
Wahnsinniger macht oft Viele. Masaniello war wahnsinnig, Niemand hat
daran gezweifelt, und doch stürzte er die Regierung von Neapel." Neben
Otis regte sich eine lange Reihe gewandter Federn. Der hochbewährte Jurist
Oxenbridge Thacher suchte nach echt englischer Weise bei seinen Betrachtungen
über die willkürliche Besteuerung nach Präcedenzfällen und zählte die massen¬
haften Fälle auf, in denen gerade das britische Parlament ungerechte Steuern
verweigert hatte; zugleich schilderte er, welche Gefahren England selbst daraus
erwachsen mußten, wenn durch ministeriellen Druck Million Menschen in
Amerika rechtlos gemacht würden. Otis, O. Thacher, Cushing, Gray und
Sheafe sandten als Mitglieder des Bostoner Korrespondenz - Comite' Rund¬
schreiben an alle Colonien. um ihren Beistand zu erlangen. Der Vice-
gouverneur von Massachusets, Thomas Hutchinson, hegte wohl selbst ähnliche
Ansichten über die Rechte der Colonien, hütete sich aber der englischen Re¬
gierung dergleichen merken zu lassen. Petitionirend und in loyalstem Sinne
das Unrecht vorstellend, wandte sich die Generalversammlung in New-York


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[0054] Zeit legte er die Entstehung des Staates dar, betrachtete die Befugniß des Herrschers und sprach von der unverjährbaren Machtvollkommenheit des Volkes, welches den Herrscher bestimmt habe. Seiner Ansicht nach „müssen die Verwalter der gesetzgebenden und ausübenden Gewalt, wenn sie zur Tyrannei hinneigen, auf Widerstand stoßen und falls sie sich als unverbesser¬ lich erweisen, abgesetzt werden." Denn „dem Volke ist es ganz gleichgültig, ob es dem Georg oder Ludwig Unterthan ist, wenn Beide gleich willkürlich regieren. Können sie aber ohne die Volksvertretung Steuern erheben, so sind Beide Willkürherren/' Dann sagte er ohne Umschweife: „Alle Macht gehört den Völkern; diese Macht, dies göttliche Recht können sie nie verlieren oder freiwillig aufgeben. Das Volk ist Grund und Quelle aller Staatsgewalt." In wild erregtem Tone hebt er die Gleichheit aller Menschen und ihren Freibrief als solche hervor, schließt auf die vollste Gleichberechtigung der eng¬ lischen Colonisten mit den englischen Bürgern des Mutterstaates und in gleichem Maße auf die Gleichheit der Weißen und der Schwarzen. Dabei verhehlt er sich durchaus nicht einen nahe bevorstehenden Umschwung in der Welt, die Gluth der Revolution scheint ihn schon anzuwehen, weil er sagt: „Die Welt steht am Vorabende des großartigsten Schauspiels irdischer Macht und Größe, welches je den Augen des Menschengeschlechts vorgeführt worden ist. Wer den Sieg erringen wird, weiß Gott allein. Aber die menschliche Natur wird und muß von der allgemeinen Sklaverei befreit werden, welche so lange über das Menschengeschlecht triumphirt hat.* So sicher wie ein biblischer Seher hatte Otis geahnt, Viele verstanden ihn nicht und hielten ihn für einen Wahnsinnigen. Ihnen aber rief der berühmte Lord Mansfield, der seine geistvolle Denkungsart bewunderte, zu: „Und wenn dies wäre! ein Wahnsinniger macht oft Viele. Masaniello war wahnsinnig, Niemand hat daran gezweifelt, und doch stürzte er die Regierung von Neapel." Neben Otis regte sich eine lange Reihe gewandter Federn. Der hochbewährte Jurist Oxenbridge Thacher suchte nach echt englischer Weise bei seinen Betrachtungen über die willkürliche Besteuerung nach Präcedenzfällen und zählte die massen¬ haften Fälle auf, in denen gerade das britische Parlament ungerechte Steuern verweigert hatte; zugleich schilderte er, welche Gefahren England selbst daraus erwachsen mußten, wenn durch ministeriellen Druck Million Menschen in Amerika rechtlos gemacht würden. Otis, O. Thacher, Cushing, Gray und Sheafe sandten als Mitglieder des Bostoner Korrespondenz - Comite' Rund¬ schreiben an alle Colonien. um ihren Beistand zu erlangen. Der Vice- gouverneur von Massachusets, Thomas Hutchinson, hegte wohl selbst ähnliche Ansichten über die Rechte der Colonien, hütete sich aber der englischen Re¬ gierung dergleichen merken zu lassen. Petitionirend und in loyalstem Sinne das Unrecht vorstellend, wandte sich die Generalversammlung in New-York

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/54>, abgerufen am 27.09.2024.