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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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herrschung auf der Bühne und sein scharf ausgebildetes Gefühl für das, was
sich für seine Zuschauer eignete, und was nicht, machten ihn. wie Wenige vor
ihm, für die Aufgabe geeignet, die er sich gestellt hatte -- die nämlich, das
Publicum gründlich zu ergötzen. Er verstand sich bis auf Haaresbreite auf
das große Geheimniß, wie man nicht langweilt. Er hatte mit dem größten
Feingefühl abgewogen, abgemessen und ausgerechnet, wie oft ein Publicum
im Verlauf eines Abends lachen darf, ohne zu merken, daß es zu viel gelacht
hat. Vor Allem aber war er kein gemeiner Geist, sodaß er nie bei seinen
Zuhörern die Empfindung hervorrief, sie lachten über etwas, woran sie sich"
zu ergötzen von Rechtswegen schämen sollten."

Die englische Presse war einstimmig in seinem Lobe. "Times" und
"Standard" sprachen mit der höchsten Bewunderung von ihm. Das letztge¬
nannte Blatt sagte: "Artemus überschüttete uns rascher mit Witzen, als
(Anspielung auf den großen Sternschnuppenfall vom November 1866) die
Meteore in vergangner Nacht einander am Himmel folgten. Und die Blitze
seines Humors glichen auch darin dem Flug der Meteore, daß man in
beiden Fällen einen Witz oder einen Meteor erwartete, sie aber immer an einer
Stelle kamen, wo man sie am wenigsten zu finden hoffte. Die Hälfte des
Vergnügens dieses Abends lag in dem herzlichen, schallenden Gelächter der Leute,
die jeden Witz erst ein paar Minuten, nachdem er gemacht worden, heraus¬
fanden und nun dem Anschein nach über die Mittheilung einer tiefernsten
Thatsache kicherten. Zu Papier gebracht, sehen die Späße des Schaubuden^
mannes allerdings nicht gerade brillant aus, ihre Hauptwtrkung liegt darin,
daß sie aus dem Aermel geschüttelt zu werden scheinen (und nach dem oben
Gesagten in der Art ihres mündlichen Vortrags); natürlich sind sie vorher
überlegt und wird sorgfältig auf sie hingesteuert, aber sie werden ausge¬
sprochen, als ob sie dem Redner erst nachträglich und nur so beiläufig ein¬
fielen, und als ob er kaum etwas auf sie gäbe."

Hiermit trifft der Kritiker des "Standard" den Nerv des Stiles Ard¬
uus Ward's bet seinen Vorträgen, zugleich aber auch den Grund, weshalb
sie -- wir sprachen, wohl zu bemerken, von den zuletzt erwähnten mehr oder
minder improvisirten Sachen -- sich kaum für den Druck eignen. Sein
scheinbares Nichtwissen dessen, was er sagte, seine geheuchelter Anfälle von
Zerstreutheit, sein ernstes, schwermüthiges Aussehen bei den drolligsten Ein¬
fällen seiner flinken Seele machten, wie bemerkt, einen guten Theil der Wir¬
kung aus, die er auf seine Zuhörer ausübte. Alles das aber giebt ein Buch
nicht wieder. Ihn lesen war nur halb ihn hören und sehen. Gedruckt
ist er, soweit es sich um diese Vorträge handelt, ein Schmetterling,
dem die Fangscheere die Hälfte seines farbigen Flügelstaubes abgestreift hat.
Noch mehr verlieren solche Stücke natürlich in der Uebersetzung, auch in der


herrschung auf der Bühne und sein scharf ausgebildetes Gefühl für das, was
sich für seine Zuschauer eignete, und was nicht, machten ihn. wie Wenige vor
ihm, für die Aufgabe geeignet, die er sich gestellt hatte — die nämlich, das
Publicum gründlich zu ergötzen. Er verstand sich bis auf Haaresbreite auf
das große Geheimniß, wie man nicht langweilt. Er hatte mit dem größten
Feingefühl abgewogen, abgemessen und ausgerechnet, wie oft ein Publicum
im Verlauf eines Abends lachen darf, ohne zu merken, daß es zu viel gelacht
hat. Vor Allem aber war er kein gemeiner Geist, sodaß er nie bei seinen
Zuhörern die Empfindung hervorrief, sie lachten über etwas, woran sie sich"
zu ergötzen von Rechtswegen schämen sollten."

Die englische Presse war einstimmig in seinem Lobe. „Times" und
„Standard" sprachen mit der höchsten Bewunderung von ihm. Das letztge¬
nannte Blatt sagte: „Artemus überschüttete uns rascher mit Witzen, als
(Anspielung auf den großen Sternschnuppenfall vom November 1866) die
Meteore in vergangner Nacht einander am Himmel folgten. Und die Blitze
seines Humors glichen auch darin dem Flug der Meteore, daß man in
beiden Fällen einen Witz oder einen Meteor erwartete, sie aber immer an einer
Stelle kamen, wo man sie am wenigsten zu finden hoffte. Die Hälfte des
Vergnügens dieses Abends lag in dem herzlichen, schallenden Gelächter der Leute,
die jeden Witz erst ein paar Minuten, nachdem er gemacht worden, heraus¬
fanden und nun dem Anschein nach über die Mittheilung einer tiefernsten
Thatsache kicherten. Zu Papier gebracht, sehen die Späße des Schaubuden^
mannes allerdings nicht gerade brillant aus, ihre Hauptwtrkung liegt darin,
daß sie aus dem Aermel geschüttelt zu werden scheinen (und nach dem oben
Gesagten in der Art ihres mündlichen Vortrags); natürlich sind sie vorher
überlegt und wird sorgfältig auf sie hingesteuert, aber sie werden ausge¬
sprochen, als ob sie dem Redner erst nachträglich und nur so beiläufig ein¬
fielen, und als ob er kaum etwas auf sie gäbe."

Hiermit trifft der Kritiker des „Standard" den Nerv des Stiles Ard¬
uus Ward's bet seinen Vorträgen, zugleich aber auch den Grund, weshalb
sie — wir sprachen, wohl zu bemerken, von den zuletzt erwähnten mehr oder
minder improvisirten Sachen — sich kaum für den Druck eignen. Sein
scheinbares Nichtwissen dessen, was er sagte, seine geheuchelter Anfälle von
Zerstreutheit, sein ernstes, schwermüthiges Aussehen bei den drolligsten Ein¬
fällen seiner flinken Seele machten, wie bemerkt, einen guten Theil der Wir¬
kung aus, die er auf seine Zuhörer ausübte. Alles das aber giebt ein Buch
nicht wieder. Ihn lesen war nur halb ihn hören und sehen. Gedruckt
ist er, soweit es sich um diese Vorträge handelt, ein Schmetterling,
dem die Fangscheere die Hälfte seines farbigen Flügelstaubes abgestreift hat.
Noch mehr verlieren solche Stücke natürlich in der Uebersetzung, auch in der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/522>, abgerufen am 27.09.2024.