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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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die freie Wahl wieder hergestellt. So in sich geschlossen bildeten die Sachsen
die eine der drei politischen "Nationen" von Siebenbürgen, zu denen sonst
noch die Magyaren und Szekler. nicht aber die im Laufe des Mittelalters
erst eingewanderten Romanen gehörten, und schon im Jahre 1437 einem sich
zum erstenmale Sachsen, Magyaren und Szekler zu gemeinsamer Berathung.
Seitdem war Siebenbürgen ein Staatenbund inmitten des ungarischen Reiches.

Die "Universität der Sachsen" behauptete sich auch in den Zeiten
-der Türkenherrschaft über Ungarn und Siebenbürgen, durch jene entsetzlichen
zweihundert Jahre voll Blut, Trümmer und Thränen, die mit der Schlacht
von Mohacz begannen (1326) und erst mit der dauernden Herstellung Habs-
burgischer Herrschaft (1691) endeten. An der Spitze der Sachsen stand nach
wie vor der auf Lebenszeit erwählte Graf besonders für Rechtspflege, neben
ihm aber jetzt der auf ein Jahr bestellte Bürgermeister von Hermannstadt für
politische und finanzielle Verwaltung. Jährlich ein oder zweimal trat der
"Lonüuxus". d. i. der Landtag unter dem Vorsitze des Hermannstädter Bürger¬
meisters zusammen, um die Interessen des Landes zu versehen, vor allem als
oberster Gerichtshof zu dienen. Aber das Ganze gewann mehr und mehr
einen aristokratischen, ja oligarchtschen Charakter. In den Städten bildete
sich ein abgeschlossenes, stolzes Patriziat, das die Verwaltung allein in die
Hände nahm, und auch die Landgemeinden mehr und mehr von der Theil¬
nahme an der Verwaltung in den Stühlen und im Landtage verdrängte,
nur im Burzenlande. im Mediascher Stuhl und im Bezirke von Bistritz be¬
haupteten sie einen bescheidenen Antheil. Aber das entspricht nur den Gestalt¬
ungen in Deutschland selbst.

Wir mußten in dieser historischen Skizze etwas weiter ausholen, denn
das politische Leben des sächsisch-siebenbürgischen Stammes hat sich in solcher
Continuität entwickelt, daß die modernsten Verhältnisse nur von der ältesten
Grundlage aus verständlich sind, daß die Sachsen sich noch heute mit vollem
Rechte auf ihre mittelalterlichen Privilegien berufen, die anderwärts nichts
mehr wären als ein Stück Pergament. Auch als i. I. 1691 die Habsburger die
Herrschaft über Siebenbürgen antraten, garantirten sie die alte Landesver¬
fassung mit geringen Modifikationen. K. Josef II. hob zwar auch die
' sächsische Nationsuniversttät auf. aber sein Nachfolger Leopold II. stellte 1791
die eigenthümlichen Gesetze und municipalen Institutionen Siebenbürgens
wieder her, auch die der Sachsen. Mit Ungarn stand das Land nur durch
Personalunion in Verbindung, obwohl die ungarischen Stände schon 1741 von
der Krone das Versprechen der Einverleibung der "?artes" erhalten hatten,
und somit blieben die Sachsen vor magyarischer Vergewaltigung geschützt.
Die erste ernsthafte Beschränkung der sächsischen Freiheiten brachten erst die
"Regulationsvorschriften" von 1806, welche die freie Wahl der Beamten und


die freie Wahl wieder hergestellt. So in sich geschlossen bildeten die Sachsen
die eine der drei politischen „Nationen" von Siebenbürgen, zu denen sonst
noch die Magyaren und Szekler. nicht aber die im Laufe des Mittelalters
erst eingewanderten Romanen gehörten, und schon im Jahre 1437 einem sich
zum erstenmale Sachsen, Magyaren und Szekler zu gemeinsamer Berathung.
Seitdem war Siebenbürgen ein Staatenbund inmitten des ungarischen Reiches.

Die „Universität der Sachsen" behauptete sich auch in den Zeiten
-der Türkenherrschaft über Ungarn und Siebenbürgen, durch jene entsetzlichen
zweihundert Jahre voll Blut, Trümmer und Thränen, die mit der Schlacht
von Mohacz begannen (1326) und erst mit der dauernden Herstellung Habs-
burgischer Herrschaft (1691) endeten. An der Spitze der Sachsen stand nach
wie vor der auf Lebenszeit erwählte Graf besonders für Rechtspflege, neben
ihm aber jetzt der auf ein Jahr bestellte Bürgermeister von Hermannstadt für
politische und finanzielle Verwaltung. Jährlich ein oder zweimal trat der
„Lonüuxus". d. i. der Landtag unter dem Vorsitze des Hermannstädter Bürger¬
meisters zusammen, um die Interessen des Landes zu versehen, vor allem als
oberster Gerichtshof zu dienen. Aber das Ganze gewann mehr und mehr
einen aristokratischen, ja oligarchtschen Charakter. In den Städten bildete
sich ein abgeschlossenes, stolzes Patriziat, das die Verwaltung allein in die
Hände nahm, und auch die Landgemeinden mehr und mehr von der Theil¬
nahme an der Verwaltung in den Stühlen und im Landtage verdrängte,
nur im Burzenlande. im Mediascher Stuhl und im Bezirke von Bistritz be¬
haupteten sie einen bescheidenen Antheil. Aber das entspricht nur den Gestalt¬
ungen in Deutschland selbst.

Wir mußten in dieser historischen Skizze etwas weiter ausholen, denn
das politische Leben des sächsisch-siebenbürgischen Stammes hat sich in solcher
Continuität entwickelt, daß die modernsten Verhältnisse nur von der ältesten
Grundlage aus verständlich sind, daß die Sachsen sich noch heute mit vollem
Rechte auf ihre mittelalterlichen Privilegien berufen, die anderwärts nichts
mehr wären als ein Stück Pergament. Auch als i. I. 1691 die Habsburger die
Herrschaft über Siebenbürgen antraten, garantirten sie die alte Landesver¬
fassung mit geringen Modifikationen. K. Josef II. hob zwar auch die
' sächsische Nationsuniversttät auf. aber sein Nachfolger Leopold II. stellte 1791
die eigenthümlichen Gesetze und municipalen Institutionen Siebenbürgens
wieder her, auch die der Sachsen. Mit Ungarn stand das Land nur durch
Personalunion in Verbindung, obwohl die ungarischen Stände schon 1741 von
der Krone das Versprechen der Einverleibung der „?artes" erhalten hatten,
und somit blieben die Sachsen vor magyarischer Vergewaltigung geschützt.
Die erste ernsthafte Beschränkung der sächsischen Freiheiten brachten erst die
„Regulationsvorschriften" von 1806, welche die freie Wahl der Beamten und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/491>, abgerufen am 27.09.2024.