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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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Familie einschließen. Das allein stehende Bibliotheksgebäude bildet ein läng¬
liches Viereck mit einer offenen Colonnade, die über dem Eingange Inschriften
zeigt. Der Büchersaal ist hoch, viereckig und aus drei Seiten durch Fenster
erhellt. Ueber dem Dache erheben sich eine Mittelkuppel und vier Halb¬
kuppeln, die von Marmorsäulen getragen werden. Unmittelbar unter der
Centralkuppel stehen die Bücherschränke, die ein Viereck bilden, mit einem
Drahtgitter umgeben sind und etwa 1600 Bände enthalten. Der Boden
rings umher ist etwas erhöht und mit Matten, niedrigen Sophas und Bänken
versehen, welche den hier studirenden Softas als Tische dienen. Die Wände
sind bis zu einer Höhe von sechs Fuß mit persischen blauen und weißen
Ziegeln belegt. Darüber läuft auf grünem Grunde in 14 Zoll langen Gold¬
buchstaben eine türkische Uebersetzung des arabischen Mantelliedes (Burda)
von Knab hin, die um das ganze Zimmer herumgeht. Von den Halbkuppeln
hängen vier phantastisch gestaltete vergoldete Lampen herab. Unter die
Schätze dieser Bibliothek, die am werthvollsten sind, gehören mehrere persische
Handschriften, die prächtig illuminirt und illustrirt sind und mehrere schöne
Proben türkischer Kalligraphie, unter denen eine Abschrift des Divans des
Gründers selbst ist. Ragib überlebte die Vollendung seiner Stiftung nur
um einige Jahre. Seine Ueberreste ruhen in der nordöstlichen Ecke des Hofes,
der das Bibliothekgebäude umgiebt, auf einer Terasse unter einem offnen
Marmorbaldachin, den ein Drahtgitter schützt. Letzteres giebt nebst den
innerhalb desselben angepflanzten Rosen, Myrthen, Cypressen, Reben und
Granatbüschen, die ringsumher ihre Schatten werfen, dem Ganzen eher das
Aussehen eines großen Vogelkäfigs als das einer Grabstätte. Die Tauben,
die in den überhangenden Zweigen nisten und die Lüfte mit ihrem melan¬
cholischen Girren erfüllen, erhöhen diesen Eindruck.

Wir sehen hieraus, daß namentlich in früheren Zeiten sowohl von
Seiten der Sultane als von Privatleuten der vornehmen und wohlhabenden
Klasse Mancherlei für die Pflege der Literatur und Wissenschaft geschehen ist;
nur war höchst selten*) von einer Nutzbarmachung der abendländischen Cultur,
soweit sie sich in Büchern ausprägt, für die türkische Welt die Rede, und
seit einem halben Jahrhundert stagnirt auch das geistige Leben und Produciren
unter den Türken fast gänzlich. Die Gesammtzahl der in den öffentlichen
Bibliotheken befindlichen Bände, die wohl nicht über siebzigtausend hinausgeht,
ist verhältnißmäßig gering, wozu noch kommt, daß ohne Zweifel mehr als
ein Viertel derselben aus Doubletten besteht. Man muß indeß bedenken,



") Unter Selim dem Dritten wurden einige militärische Werke aus dem Französischen ins
Türkische übersetzt, auch in dem letzten dreißig Jahren erschienen einige Übersetzungen aus
abendländischen Sprachen.

Familie einschließen. Das allein stehende Bibliotheksgebäude bildet ein läng¬
liches Viereck mit einer offenen Colonnade, die über dem Eingange Inschriften
zeigt. Der Büchersaal ist hoch, viereckig und aus drei Seiten durch Fenster
erhellt. Ueber dem Dache erheben sich eine Mittelkuppel und vier Halb¬
kuppeln, die von Marmorsäulen getragen werden. Unmittelbar unter der
Centralkuppel stehen die Bücherschränke, die ein Viereck bilden, mit einem
Drahtgitter umgeben sind und etwa 1600 Bände enthalten. Der Boden
rings umher ist etwas erhöht und mit Matten, niedrigen Sophas und Bänken
versehen, welche den hier studirenden Softas als Tische dienen. Die Wände
sind bis zu einer Höhe von sechs Fuß mit persischen blauen und weißen
Ziegeln belegt. Darüber läuft auf grünem Grunde in 14 Zoll langen Gold¬
buchstaben eine türkische Uebersetzung des arabischen Mantelliedes (Burda)
von Knab hin, die um das ganze Zimmer herumgeht. Von den Halbkuppeln
hängen vier phantastisch gestaltete vergoldete Lampen herab. Unter die
Schätze dieser Bibliothek, die am werthvollsten sind, gehören mehrere persische
Handschriften, die prächtig illuminirt und illustrirt sind und mehrere schöne
Proben türkischer Kalligraphie, unter denen eine Abschrift des Divans des
Gründers selbst ist. Ragib überlebte die Vollendung seiner Stiftung nur
um einige Jahre. Seine Ueberreste ruhen in der nordöstlichen Ecke des Hofes,
der das Bibliothekgebäude umgiebt, auf einer Terasse unter einem offnen
Marmorbaldachin, den ein Drahtgitter schützt. Letzteres giebt nebst den
innerhalb desselben angepflanzten Rosen, Myrthen, Cypressen, Reben und
Granatbüschen, die ringsumher ihre Schatten werfen, dem Ganzen eher das
Aussehen eines großen Vogelkäfigs als das einer Grabstätte. Die Tauben,
die in den überhangenden Zweigen nisten und die Lüfte mit ihrem melan¬
cholischen Girren erfüllen, erhöhen diesen Eindruck.

Wir sehen hieraus, daß namentlich in früheren Zeiten sowohl von
Seiten der Sultane als von Privatleuten der vornehmen und wohlhabenden
Klasse Mancherlei für die Pflege der Literatur und Wissenschaft geschehen ist;
nur war höchst selten*) von einer Nutzbarmachung der abendländischen Cultur,
soweit sie sich in Büchern ausprägt, für die türkische Welt die Rede, und
seit einem halben Jahrhundert stagnirt auch das geistige Leben und Produciren
unter den Türken fast gänzlich. Die Gesammtzahl der in den öffentlichen
Bibliotheken befindlichen Bände, die wohl nicht über siebzigtausend hinausgeht,
ist verhältnißmäßig gering, wozu noch kommt, daß ohne Zweifel mehr als
ein Viertel derselben aus Doubletten besteht. Man muß indeß bedenken,



") Unter Selim dem Dritten wurden einige militärische Werke aus dem Französischen ins
Türkische übersetzt, auch in dem letzten dreißig Jahren erschienen einige Übersetzungen aus
abendländischen Sprachen.
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[0480] Familie einschließen. Das allein stehende Bibliotheksgebäude bildet ein läng¬ liches Viereck mit einer offenen Colonnade, die über dem Eingange Inschriften zeigt. Der Büchersaal ist hoch, viereckig und aus drei Seiten durch Fenster erhellt. Ueber dem Dache erheben sich eine Mittelkuppel und vier Halb¬ kuppeln, die von Marmorsäulen getragen werden. Unmittelbar unter der Centralkuppel stehen die Bücherschränke, die ein Viereck bilden, mit einem Drahtgitter umgeben sind und etwa 1600 Bände enthalten. Der Boden rings umher ist etwas erhöht und mit Matten, niedrigen Sophas und Bänken versehen, welche den hier studirenden Softas als Tische dienen. Die Wände sind bis zu einer Höhe von sechs Fuß mit persischen blauen und weißen Ziegeln belegt. Darüber läuft auf grünem Grunde in 14 Zoll langen Gold¬ buchstaben eine türkische Uebersetzung des arabischen Mantelliedes (Burda) von Knab hin, die um das ganze Zimmer herumgeht. Von den Halbkuppeln hängen vier phantastisch gestaltete vergoldete Lampen herab. Unter die Schätze dieser Bibliothek, die am werthvollsten sind, gehören mehrere persische Handschriften, die prächtig illuminirt und illustrirt sind und mehrere schöne Proben türkischer Kalligraphie, unter denen eine Abschrift des Divans des Gründers selbst ist. Ragib überlebte die Vollendung seiner Stiftung nur um einige Jahre. Seine Ueberreste ruhen in der nordöstlichen Ecke des Hofes, der das Bibliothekgebäude umgiebt, auf einer Terasse unter einem offnen Marmorbaldachin, den ein Drahtgitter schützt. Letzteres giebt nebst den innerhalb desselben angepflanzten Rosen, Myrthen, Cypressen, Reben und Granatbüschen, die ringsumher ihre Schatten werfen, dem Ganzen eher das Aussehen eines großen Vogelkäfigs als das einer Grabstätte. Die Tauben, die in den überhangenden Zweigen nisten und die Lüfte mit ihrem melan¬ cholischen Girren erfüllen, erhöhen diesen Eindruck. Wir sehen hieraus, daß namentlich in früheren Zeiten sowohl von Seiten der Sultane als von Privatleuten der vornehmen und wohlhabenden Klasse Mancherlei für die Pflege der Literatur und Wissenschaft geschehen ist; nur war höchst selten*) von einer Nutzbarmachung der abendländischen Cultur, soweit sie sich in Büchern ausprägt, für die türkische Welt die Rede, und seit einem halben Jahrhundert stagnirt auch das geistige Leben und Produciren unter den Türken fast gänzlich. Die Gesammtzahl der in den öffentlichen Bibliotheken befindlichen Bände, die wohl nicht über siebzigtausend hinausgeht, ist verhältnißmäßig gering, wozu noch kommt, daß ohne Zweifel mehr als ein Viertel derselben aus Doubletten besteht. Man muß indeß bedenken, ") Unter Selim dem Dritten wurden einige militärische Werke aus dem Französischen ins Türkische übersetzt, auch in dem letzten dreißig Jahren erschienen einige Übersetzungen aus abendländischen Sprachen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/480>, abgerufen am 27.09.2024.