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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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aber die Mehrzahl der hochgestellten Leute in Stambul über die abendländi¬
sche Bildung denken, mag eine Anekdote von Derwisch Effendi, der in den
letzten vierziger Jahren Professor der Naturgeschichte und der exacten
Wissenschaften an der medicinischen Schule von Galata Serai war, an¬
deuten.

Als Hafiz Pascha während der Abwesenheit des Oberstbefehlshabers
Mustapha Nuri Pascha in Syrien zum Stellvertreter desselben ernannt
worden war, stattete er auch jener Schule seinen offiziellen Besuch ab. Der
Hellm Baschi oder Director der letzteren, stellte ihm unter den Professoren
der Akademie auch den jungen, erst kürzlich von seinen Reisen ins Franken¬
land zurückgekehrten Derwisch Effendi vor und lobte ihn sehr, indem er sagte:
"Er weiß viele nützliche Dinge. Er hat seine Zeit in Frandschestan nicht
vergeudet wie so viele Andere. Er ist zurückgekehrt wie ein unter einer Last
von Büchern schreiender Esel. Er spricht wenig, aber thut desto mehr."

"Hamdulillah!" (Gott sei Dank) rief Hafiz, "was leistet er denn?"

"Leisten?" erwiederte der Oberarzt und Director der Medicinschule dem
-General. "Maschallah!" (Wie Gott will) "Er kann unter Anderm nicht
nur Vögel zergliedern, sondern auch ausstopfen, so daß sie aussehen, als ob
sie lebendig wären und fliegen wollten." --

"Allah! Allah!" schrie Hafiz. "Das ist allerdings Etwas. Wie viel
Gehalt bezieht er?"

"Soviel wie die fränkischen Professoren", lautete die Antwort des Hellm
Baschi.

"Was? Nicht mehr?" sagte der General, "kann Vögel ausstopfen und
bekommt nicht mehr? Das ist ungerecht. Die Franken stopfen sich selbst
aus und keine Vögel. Derwisch Effendi's Gehalt muß erhöht werden, ein
solches Verdienst muß man ermuntern."

Wie es aber um die medicinischen Kenntnisse des Herrn Oberarztes und
obersten Leiters der medicinischen Akademie Stambuls stand, wird folgende
Geschichte erkennen lassen. Ein Verwandter von ihm erhielt Befehl, sich mit
Depeschen ins Innere von Anatolien zu begeben. Da seine Gesundheit nicht
die beste war, so befragte er, natürlich nicht seinen Vetter, sondern einen
jener fränkischen Professoren der Schule von Galata Serai, einen Deutschen,
Und dieser verschrieb ihm etwas und verordnete zugleich die geeignete Diät.
Bald darauf begegnete der Professor dem Hellm Baschi, der nach verschiedenen
Fragen nach dem Befinden seines Verwandten sich erkundigte, woraus die
ihm verschriebene Medicin hauptsächlich bestehe.

"Aus Belladonna", erwiederte der Professor.

"Belladonna!" wiederholte der weise Abdullah Effendi, indem er an die
italienische della äonng, dachte. "Et, lieber Freund, er hat ja schon eine


aber die Mehrzahl der hochgestellten Leute in Stambul über die abendländi¬
sche Bildung denken, mag eine Anekdote von Derwisch Effendi, der in den
letzten vierziger Jahren Professor der Naturgeschichte und der exacten
Wissenschaften an der medicinischen Schule von Galata Serai war, an¬
deuten.

Als Hafiz Pascha während der Abwesenheit des Oberstbefehlshabers
Mustapha Nuri Pascha in Syrien zum Stellvertreter desselben ernannt
worden war, stattete er auch jener Schule seinen offiziellen Besuch ab. Der
Hellm Baschi oder Director der letzteren, stellte ihm unter den Professoren
der Akademie auch den jungen, erst kürzlich von seinen Reisen ins Franken¬
land zurückgekehrten Derwisch Effendi vor und lobte ihn sehr, indem er sagte:
„Er weiß viele nützliche Dinge. Er hat seine Zeit in Frandschestan nicht
vergeudet wie so viele Andere. Er ist zurückgekehrt wie ein unter einer Last
von Büchern schreiender Esel. Er spricht wenig, aber thut desto mehr."

„Hamdulillah!" (Gott sei Dank) rief Hafiz, „was leistet er denn?"

„Leisten?" erwiederte der Oberarzt und Director der Medicinschule dem
-General. „Maschallah!" (Wie Gott will) „Er kann unter Anderm nicht
nur Vögel zergliedern, sondern auch ausstopfen, so daß sie aussehen, als ob
sie lebendig wären und fliegen wollten." —

„Allah! Allah!" schrie Hafiz. „Das ist allerdings Etwas. Wie viel
Gehalt bezieht er?"

„Soviel wie die fränkischen Professoren", lautete die Antwort des Hellm
Baschi.

„Was? Nicht mehr?" sagte der General, „kann Vögel ausstopfen und
bekommt nicht mehr? Das ist ungerecht. Die Franken stopfen sich selbst
aus und keine Vögel. Derwisch Effendi's Gehalt muß erhöht werden, ein
solches Verdienst muß man ermuntern."

Wie es aber um die medicinischen Kenntnisse des Herrn Oberarztes und
obersten Leiters der medicinischen Akademie Stambuls stand, wird folgende
Geschichte erkennen lassen. Ein Verwandter von ihm erhielt Befehl, sich mit
Depeschen ins Innere von Anatolien zu begeben. Da seine Gesundheit nicht
die beste war, so befragte er, natürlich nicht seinen Vetter, sondern einen
jener fränkischen Professoren der Schule von Galata Serai, einen Deutschen,
Und dieser verschrieb ihm etwas und verordnete zugleich die geeignete Diät.
Bald darauf begegnete der Professor dem Hellm Baschi, der nach verschiedenen
Fragen nach dem Befinden seines Verwandten sich erkundigte, woraus die
ihm verschriebene Medicin hauptsächlich bestehe.

„Aus Belladonna", erwiederte der Professor.

„Belladonna!" wiederholte der weise Abdullah Effendi, indem er an die
italienische della äonng, dachte. „Et, lieber Freund, er hat ja schon eine


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/475>, abgerufen am 27.09.2024.