Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

als Genossen und Anhänger der Agrarier hinzustellen. Die eigenen sehr ein¬
seitigen und egoistischen Ziele der grundbesitzenden Junker wurden durch das
Vorgeben verhüllt, die Interessen der gesammten Landwirthschaft zu vertreten.
Erst nach und nach enthüllte sich der im Grunde treibende Gedanke. So¬
lange noch Aussicht war, auch nicht agrarisch gesinnte Landwirthe in der Ge¬
meinschaft zu halten, bediente man sich des landwirthschaftlichen Congresses,
aus dem zuerst die entschieden antiagrarisch gerichteten Elemente hinausge¬
trieben und dann auch die gemäßigteren, vermittelnden Personen nach und
nach zum Rückzüge veranlaßt wurden. Die Krisis brachte das Enquetewerk
über die Lage der ländlichen Arbeiter. So offenbar widersprachen die aus
den thatsächlichen Ermittelungen sich ergebenden Sätze allen Behauptungen,
die das Programm der Agrarier geziert, daß eine Annahme und Überreichung
des Enquetewerkes durch den Congreß eine Lossagung von den Agrariern
bedeutet haben würde. Die sachliche Vernichtung und Widerlegung des
agrarischen Programmes ist durch das Product des von den Agrariern be¬
herrschten Congresses, d. h. die Enquete, schon gegeben; daß dennoch der
Congreß in Folge seiner agrarischen Tendenzen es vorzog, sein eigenes Pro¬
duct zu verleugnen und zu ertödten, befremdet uns weniger als die Art und
Weise, in der dieser Proceß vor sich gegangen ist. Die Folge dieser Wendung
war nun aber unabwendbar die Sprengung des Congresses, wie er bisher
existirt, d. h. die Ablösung aller nicht agrarisch gesinnten Landwirthe.

In Folge des Auftretens Wedemeher's und der Entscheidung der Aus¬
schußmehrheit schieden Griepenkerl, Wagner, Richter, von Langsdorff, Neumann
(Posegnick), die in der Enquetecommission gesessen, aus dem Ausschuß und
dem Congresse selbst aus. Die in der Sitzung vorgekommenen Extravaganzen
bewogen auch Herrn von Rath den Vorsitz niederzulegen, und der Vicepräsident
Herr von Wedell (Vehlingsdorf) leitete nun die weiteren Geschäfte. Herr
von Wedemeyer war vor seiner definitiven Erkrankung mit dem Referate
immer noch nicht fertig geworden; er zog zwar Hülse an sich heran: ein
Mitglied der Enquetecommisston. Schumacher (Zarchlin), der sich in jener
Commission isolirt gesehen, seine Mitarbeiterschaft thatsächlich eingestellt, aber
trotz seiner agrarischen Gesinnung den Commissionsbericht vom 9. Februar
(mit seinen antiagrarischen "Resultaten") unterzeichnet hatte*) und außer ihm
noch den sehr rührigen und sehr sedergewandten Vorkämpfer der Agrarier,
Herrn Wilmanns aus Berlin; aber trotz des Succurses ist das "Referat"



") Die ganze Haltung des Herrn Schumacher gegenüber der Enquete ist eine sehr un¬
klare und uns unverständliche; seine eigenen Erläuterungen und Rechtfertigungen in den
Mecklenburgischen Anzeigen (vom 27. März und 2", April 187K) verbreiten nur noch größeres
Dunkel über die Gründe seines Verhaltens in der ganzen Angelegenheit. Diese Frage zu ent¬
scheiden , ist auch aus dem uns sonst vorliegenden Material unmöglich.

als Genossen und Anhänger der Agrarier hinzustellen. Die eigenen sehr ein¬
seitigen und egoistischen Ziele der grundbesitzenden Junker wurden durch das
Vorgeben verhüllt, die Interessen der gesammten Landwirthschaft zu vertreten.
Erst nach und nach enthüllte sich der im Grunde treibende Gedanke. So¬
lange noch Aussicht war, auch nicht agrarisch gesinnte Landwirthe in der Ge¬
meinschaft zu halten, bediente man sich des landwirthschaftlichen Congresses,
aus dem zuerst die entschieden antiagrarisch gerichteten Elemente hinausge¬
trieben und dann auch die gemäßigteren, vermittelnden Personen nach und
nach zum Rückzüge veranlaßt wurden. Die Krisis brachte das Enquetewerk
über die Lage der ländlichen Arbeiter. So offenbar widersprachen die aus
den thatsächlichen Ermittelungen sich ergebenden Sätze allen Behauptungen,
die das Programm der Agrarier geziert, daß eine Annahme und Überreichung
des Enquetewerkes durch den Congreß eine Lossagung von den Agrariern
bedeutet haben würde. Die sachliche Vernichtung und Widerlegung des
agrarischen Programmes ist durch das Product des von den Agrariern be¬
herrschten Congresses, d. h. die Enquete, schon gegeben; daß dennoch der
Congreß in Folge seiner agrarischen Tendenzen es vorzog, sein eigenes Pro¬
duct zu verleugnen und zu ertödten, befremdet uns weniger als die Art und
Weise, in der dieser Proceß vor sich gegangen ist. Die Folge dieser Wendung
war nun aber unabwendbar die Sprengung des Congresses, wie er bisher
existirt, d. h. die Ablösung aller nicht agrarisch gesinnten Landwirthe.

In Folge des Auftretens Wedemeher's und der Entscheidung der Aus¬
schußmehrheit schieden Griepenkerl, Wagner, Richter, von Langsdorff, Neumann
(Posegnick), die in der Enquetecommission gesessen, aus dem Ausschuß und
dem Congresse selbst aus. Die in der Sitzung vorgekommenen Extravaganzen
bewogen auch Herrn von Rath den Vorsitz niederzulegen, und der Vicepräsident
Herr von Wedell (Vehlingsdorf) leitete nun die weiteren Geschäfte. Herr
von Wedemeyer war vor seiner definitiven Erkrankung mit dem Referate
immer noch nicht fertig geworden; er zog zwar Hülse an sich heran: ein
Mitglied der Enquetecommisston. Schumacher (Zarchlin), der sich in jener
Commission isolirt gesehen, seine Mitarbeiterschaft thatsächlich eingestellt, aber
trotz seiner agrarischen Gesinnung den Commissionsbericht vom 9. Februar
(mit seinen antiagrarischen „Resultaten") unterzeichnet hatte*) und außer ihm
noch den sehr rührigen und sehr sedergewandten Vorkämpfer der Agrarier,
Herrn Wilmanns aus Berlin; aber trotz des Succurses ist das „Referat"



") Die ganze Haltung des Herrn Schumacher gegenüber der Enquete ist eine sehr un¬
klare und uns unverständliche; seine eigenen Erläuterungen und Rechtfertigungen in den
Mecklenburgischen Anzeigen (vom 27. März und 2», April 187K) verbreiten nur noch größeres
Dunkel über die Gründe seines Verhaltens in der ganzen Angelegenheit. Diese Frage zu ent¬
scheiden , ist auch aus dem uns sonst vorliegenden Material unmöglich.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0459" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/136570"/>
          <p xml:id="ID_1188" prev="#ID_1187"> als Genossen und Anhänger der Agrarier hinzustellen. Die eigenen sehr ein¬<lb/>
seitigen und egoistischen Ziele der grundbesitzenden Junker wurden durch das<lb/>
Vorgeben verhüllt, die Interessen der gesammten Landwirthschaft zu vertreten.<lb/>
Erst nach und nach enthüllte sich der im Grunde treibende Gedanke. So¬<lb/>
lange noch Aussicht war, auch nicht agrarisch gesinnte Landwirthe in der Ge¬<lb/>
meinschaft zu halten, bediente man sich des landwirthschaftlichen Congresses,<lb/>
aus dem zuerst die entschieden antiagrarisch gerichteten Elemente hinausge¬<lb/>
trieben und dann auch die gemäßigteren, vermittelnden Personen nach und<lb/>
nach zum Rückzüge veranlaßt wurden. Die Krisis brachte das Enquetewerk<lb/>
über die Lage der ländlichen Arbeiter. So offenbar widersprachen die aus<lb/>
den thatsächlichen Ermittelungen sich ergebenden Sätze allen Behauptungen,<lb/>
die das Programm der Agrarier geziert, daß eine Annahme und Überreichung<lb/>
des Enquetewerkes durch den Congreß eine Lossagung von den Agrariern<lb/>
bedeutet haben würde. Die sachliche Vernichtung und Widerlegung des<lb/>
agrarischen Programmes ist durch das Product des von den Agrariern be¬<lb/>
herrschten Congresses, d. h. die Enquete, schon gegeben; daß dennoch der<lb/>
Congreß in Folge seiner agrarischen Tendenzen es vorzog, sein eigenes Pro¬<lb/>
duct zu verleugnen und zu ertödten, befremdet uns weniger als die Art und<lb/>
Weise, in der dieser Proceß vor sich gegangen ist. Die Folge dieser Wendung<lb/>
war nun aber unabwendbar die Sprengung des Congresses, wie er bisher<lb/>
existirt, d. h. die Ablösung aller nicht agrarisch gesinnten Landwirthe.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1189" next="#ID_1190"> In Folge des Auftretens Wedemeher's und der Entscheidung der Aus¬<lb/>
schußmehrheit schieden Griepenkerl, Wagner, Richter, von Langsdorff, Neumann<lb/>
(Posegnick), die in der Enquetecommission gesessen, aus dem Ausschuß und<lb/>
dem Congresse selbst aus. Die in der Sitzung vorgekommenen Extravaganzen<lb/>
bewogen auch Herrn von Rath den Vorsitz niederzulegen, und der Vicepräsident<lb/>
Herr von Wedell (Vehlingsdorf) leitete nun die weiteren Geschäfte. Herr<lb/>
von Wedemeyer war vor seiner definitiven Erkrankung mit dem Referate<lb/>
immer noch nicht fertig geworden; er zog zwar Hülse an sich heran: ein<lb/>
Mitglied der Enquetecommisston. Schumacher (Zarchlin), der sich in jener<lb/>
Commission isolirt gesehen, seine Mitarbeiterschaft thatsächlich eingestellt, aber<lb/>
trotz seiner agrarischen Gesinnung den Commissionsbericht vom 9. Februar<lb/>
(mit seinen antiagrarischen &#x201E;Resultaten") unterzeichnet hatte*) und außer ihm<lb/>
noch den sehr rührigen und sehr sedergewandten Vorkämpfer der Agrarier,<lb/>
Herrn Wilmanns aus Berlin; aber trotz des Succurses ist das &#x201E;Referat"</p><lb/>
          <note xml:id="FID_45" place="foot"> ") Die ganze Haltung des Herrn Schumacher gegenüber der Enquete ist eine sehr un¬<lb/>
klare und uns unverständliche; seine eigenen Erläuterungen und Rechtfertigungen in den<lb/>
Mecklenburgischen Anzeigen (vom 27. März und 2», April 187K) verbreiten nur noch größeres<lb/>
Dunkel über die Gründe seines Verhaltens in der ganzen Angelegenheit. Diese Frage zu ent¬<lb/>
scheiden , ist auch aus dem uns sonst vorliegenden Material unmöglich.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0459] als Genossen und Anhänger der Agrarier hinzustellen. Die eigenen sehr ein¬ seitigen und egoistischen Ziele der grundbesitzenden Junker wurden durch das Vorgeben verhüllt, die Interessen der gesammten Landwirthschaft zu vertreten. Erst nach und nach enthüllte sich der im Grunde treibende Gedanke. So¬ lange noch Aussicht war, auch nicht agrarisch gesinnte Landwirthe in der Ge¬ meinschaft zu halten, bediente man sich des landwirthschaftlichen Congresses, aus dem zuerst die entschieden antiagrarisch gerichteten Elemente hinausge¬ trieben und dann auch die gemäßigteren, vermittelnden Personen nach und nach zum Rückzüge veranlaßt wurden. Die Krisis brachte das Enquetewerk über die Lage der ländlichen Arbeiter. So offenbar widersprachen die aus den thatsächlichen Ermittelungen sich ergebenden Sätze allen Behauptungen, die das Programm der Agrarier geziert, daß eine Annahme und Überreichung des Enquetewerkes durch den Congreß eine Lossagung von den Agrariern bedeutet haben würde. Die sachliche Vernichtung und Widerlegung des agrarischen Programmes ist durch das Product des von den Agrariern be¬ herrschten Congresses, d. h. die Enquete, schon gegeben; daß dennoch der Congreß in Folge seiner agrarischen Tendenzen es vorzog, sein eigenes Pro¬ duct zu verleugnen und zu ertödten, befremdet uns weniger als die Art und Weise, in der dieser Proceß vor sich gegangen ist. Die Folge dieser Wendung war nun aber unabwendbar die Sprengung des Congresses, wie er bisher existirt, d. h. die Ablösung aller nicht agrarisch gesinnten Landwirthe. In Folge des Auftretens Wedemeher's und der Entscheidung der Aus¬ schußmehrheit schieden Griepenkerl, Wagner, Richter, von Langsdorff, Neumann (Posegnick), die in der Enquetecommission gesessen, aus dem Ausschuß und dem Congresse selbst aus. Die in der Sitzung vorgekommenen Extravaganzen bewogen auch Herrn von Rath den Vorsitz niederzulegen, und der Vicepräsident Herr von Wedell (Vehlingsdorf) leitete nun die weiteren Geschäfte. Herr von Wedemeyer war vor seiner definitiven Erkrankung mit dem Referate immer noch nicht fertig geworden; er zog zwar Hülse an sich heran: ein Mitglied der Enquetecommisston. Schumacher (Zarchlin), der sich in jener Commission isolirt gesehen, seine Mitarbeiterschaft thatsächlich eingestellt, aber trotz seiner agrarischen Gesinnung den Commissionsbericht vom 9. Februar (mit seinen antiagrarischen „Resultaten") unterzeichnet hatte*) und außer ihm noch den sehr rührigen und sehr sedergewandten Vorkämpfer der Agrarier, Herrn Wilmanns aus Berlin; aber trotz des Succurses ist das „Referat" ") Die ganze Haltung des Herrn Schumacher gegenüber der Enquete ist eine sehr un¬ klare und uns unverständliche; seine eigenen Erläuterungen und Rechtfertigungen in den Mecklenburgischen Anzeigen (vom 27. März und 2», April 187K) verbreiten nur noch größeres Dunkel über die Gründe seines Verhaltens in der ganzen Angelegenheit. Diese Frage zu ent¬ scheiden , ist auch aus dem uns sonst vorliegenden Material unmöglich.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/459
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/459>, abgerufen am 27.09.2024.