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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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Diesen Antrag seiner Commission verwarf der Congreß; er nahm da¬
gegen zwei andere Vorschläge an, deren einer, von einem Commissionsmitglied
befürwortet und von dem Vorsitzenden der Commission acceptirt, dahin ging,
dem Reichskanzler das Werk des Congresses zu überreichen und zugleich ihn
um Veranstaltung einer amtlichen Untersuchung derselben Verhältnisse zu
bitten. Der zweite Antrag dagegen enthielt, nicht ganz offen, aber indirect
deutlich genug, ein Mißtrauensvotum gegen die Enquetecommission; er war
auf Anlaß des Herrn von Wedemeyer gestellt und wollte dem Congreßaus-
schuß die Enquete übergeben, der nach sorgfältiger Kenntnißnahme ihres In¬
haltes dann über ihr weiteres Schicksal verfügen sollte. Nachdem Herr von
Wedemeyer in sehr heftigem Tone dem Werke Fehler vorgeworfen hatte, wurde
dieser Antrag angenommen.

Der Congreßausschuß, dessen Mehrheit Agrarier, sollte nun sorgfältig
Kenntniß nehmen von dem Werke der C ommission. Seine Unparteilichkeit
zu bezeugen, wurde im Ausschuß das Referat an Herrn von Wedemeyer über¬
tragen, und einige Monate nachher zu einer Ausschußsitzung auch Prof. von
der Goltz als "Correferent" eingeladen. Am 5. Mai 1875 sollte die Ver¬
handlung stattfinden, bei der der Referent als Angreifer und der Correferent
als Vertheidiger der Enquete in mündlicher Debatte ihre entgegenstehenden
Behauptungen beweisen sollten. Beide Herren waren im Termine er¬
schienen. Aber der Angreifer, der mehrere Monate zur Abfassung seines
"Referates" und zur Vorbereitung seiner Angriffe, d. h. zum Nachweise der
öffentlich gegen die Enquete gemachten schweren Vorwürfe Zeit gehabt hatte,
erklärte noch nicht fertig zu sein und trug auf Vertagung an. Sowohl
Griepenkerl als von der Goltz widersprachen dieser Zumuthung: nach sehr heftigen
Scenen, in welchen von Wedemeyer sichtbar schon Spuren der geistigen Er¬
regtheit und Reizbarkeit verrieth, die ihn bald nachher in eine maison Ah
sant,6 geführt und ihm ein vorzeitiges Ende bereitet, nahm trotz allem die
Mehrheit des Ausschusses die Vertagung der angesagten Debatte an; es
wurde dem schwer angegriffenen Professor von der Goltz die ihm zuerst an¬
gebotene Gelegenheit abgeschnitten, von Angesicht zu Angesicht den Agrariern
die Grundlosigkeit ihrer Behauptungen und die Richtigkeit der Ergebnisse der
Enquete zu beweisen. Natürlich haben die Agrarier in richtiger Selbster¬
kenntniß recht lebhafte Scheu gefühlt,' in Gegenwart eines sachverständigen
und im Detail unterrichteten Gegners ihre Parteibehauptungen zu dtscutiren.
Wirksamer declamirt man vor der gläubigen Gemeinde und ohne Gefahr,
widerlegt zu werden.

Es haben hier diese Vorgänge angeführt werden müssen, weil sie die
Taktik und die Methode der Agrarier besser als alles andere illustriren.
Lange Zeit war es darauf angelegt, die sämmtlichen deutschen Landwirthe


Diesen Antrag seiner Commission verwarf der Congreß; er nahm da¬
gegen zwei andere Vorschläge an, deren einer, von einem Commissionsmitglied
befürwortet und von dem Vorsitzenden der Commission acceptirt, dahin ging,
dem Reichskanzler das Werk des Congresses zu überreichen und zugleich ihn
um Veranstaltung einer amtlichen Untersuchung derselben Verhältnisse zu
bitten. Der zweite Antrag dagegen enthielt, nicht ganz offen, aber indirect
deutlich genug, ein Mißtrauensvotum gegen die Enquetecommission; er war
auf Anlaß des Herrn von Wedemeyer gestellt und wollte dem Congreßaus-
schuß die Enquete übergeben, der nach sorgfältiger Kenntnißnahme ihres In¬
haltes dann über ihr weiteres Schicksal verfügen sollte. Nachdem Herr von
Wedemeyer in sehr heftigem Tone dem Werke Fehler vorgeworfen hatte, wurde
dieser Antrag angenommen.

Der Congreßausschuß, dessen Mehrheit Agrarier, sollte nun sorgfältig
Kenntniß nehmen von dem Werke der C ommission. Seine Unparteilichkeit
zu bezeugen, wurde im Ausschuß das Referat an Herrn von Wedemeyer über¬
tragen, und einige Monate nachher zu einer Ausschußsitzung auch Prof. von
der Goltz als „Correferent" eingeladen. Am 5. Mai 1875 sollte die Ver¬
handlung stattfinden, bei der der Referent als Angreifer und der Correferent
als Vertheidiger der Enquete in mündlicher Debatte ihre entgegenstehenden
Behauptungen beweisen sollten. Beide Herren waren im Termine er¬
schienen. Aber der Angreifer, der mehrere Monate zur Abfassung seines
„Referates" und zur Vorbereitung seiner Angriffe, d. h. zum Nachweise der
öffentlich gegen die Enquete gemachten schweren Vorwürfe Zeit gehabt hatte,
erklärte noch nicht fertig zu sein und trug auf Vertagung an. Sowohl
Griepenkerl als von der Goltz widersprachen dieser Zumuthung: nach sehr heftigen
Scenen, in welchen von Wedemeyer sichtbar schon Spuren der geistigen Er¬
regtheit und Reizbarkeit verrieth, die ihn bald nachher in eine maison Ah
sant,6 geführt und ihm ein vorzeitiges Ende bereitet, nahm trotz allem die
Mehrheit des Ausschusses die Vertagung der angesagten Debatte an; es
wurde dem schwer angegriffenen Professor von der Goltz die ihm zuerst an¬
gebotene Gelegenheit abgeschnitten, von Angesicht zu Angesicht den Agrariern
die Grundlosigkeit ihrer Behauptungen und die Richtigkeit der Ergebnisse der
Enquete zu beweisen. Natürlich haben die Agrarier in richtiger Selbster¬
kenntniß recht lebhafte Scheu gefühlt,' in Gegenwart eines sachverständigen
und im Detail unterrichteten Gegners ihre Parteibehauptungen zu dtscutiren.
Wirksamer declamirt man vor der gläubigen Gemeinde und ohne Gefahr,
widerlegt zu werden.

Es haben hier diese Vorgänge angeführt werden müssen, weil sie die
Taktik und die Methode der Agrarier besser als alles andere illustriren.
Lange Zeit war es darauf angelegt, die sämmtlichen deutschen Landwirthe


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[0458] Diesen Antrag seiner Commission verwarf der Congreß; er nahm da¬ gegen zwei andere Vorschläge an, deren einer, von einem Commissionsmitglied befürwortet und von dem Vorsitzenden der Commission acceptirt, dahin ging, dem Reichskanzler das Werk des Congresses zu überreichen und zugleich ihn um Veranstaltung einer amtlichen Untersuchung derselben Verhältnisse zu bitten. Der zweite Antrag dagegen enthielt, nicht ganz offen, aber indirect deutlich genug, ein Mißtrauensvotum gegen die Enquetecommission; er war auf Anlaß des Herrn von Wedemeyer gestellt und wollte dem Congreßaus- schuß die Enquete übergeben, der nach sorgfältiger Kenntnißnahme ihres In¬ haltes dann über ihr weiteres Schicksal verfügen sollte. Nachdem Herr von Wedemeyer in sehr heftigem Tone dem Werke Fehler vorgeworfen hatte, wurde dieser Antrag angenommen. Der Congreßausschuß, dessen Mehrheit Agrarier, sollte nun sorgfältig Kenntniß nehmen von dem Werke der C ommission. Seine Unparteilichkeit zu bezeugen, wurde im Ausschuß das Referat an Herrn von Wedemeyer über¬ tragen, und einige Monate nachher zu einer Ausschußsitzung auch Prof. von der Goltz als „Correferent" eingeladen. Am 5. Mai 1875 sollte die Ver¬ handlung stattfinden, bei der der Referent als Angreifer und der Correferent als Vertheidiger der Enquete in mündlicher Debatte ihre entgegenstehenden Behauptungen beweisen sollten. Beide Herren waren im Termine er¬ schienen. Aber der Angreifer, der mehrere Monate zur Abfassung seines „Referates" und zur Vorbereitung seiner Angriffe, d. h. zum Nachweise der öffentlich gegen die Enquete gemachten schweren Vorwürfe Zeit gehabt hatte, erklärte noch nicht fertig zu sein und trug auf Vertagung an. Sowohl Griepenkerl als von der Goltz widersprachen dieser Zumuthung: nach sehr heftigen Scenen, in welchen von Wedemeyer sichtbar schon Spuren der geistigen Er¬ regtheit und Reizbarkeit verrieth, die ihn bald nachher in eine maison Ah sant,6 geführt und ihm ein vorzeitiges Ende bereitet, nahm trotz allem die Mehrheit des Ausschusses die Vertagung der angesagten Debatte an; es wurde dem schwer angegriffenen Professor von der Goltz die ihm zuerst an¬ gebotene Gelegenheit abgeschnitten, von Angesicht zu Angesicht den Agrariern die Grundlosigkeit ihrer Behauptungen und die Richtigkeit der Ergebnisse der Enquete zu beweisen. Natürlich haben die Agrarier in richtiger Selbster¬ kenntniß recht lebhafte Scheu gefühlt,' in Gegenwart eines sachverständigen und im Detail unterrichteten Gegners ihre Parteibehauptungen zu dtscutiren. Wirksamer declamirt man vor der gläubigen Gemeinde und ohne Gefahr, widerlegt zu werden. Es haben hier diese Vorgänge angeführt werden müssen, weil sie die Taktik und die Methode der Agrarier besser als alles andere illustriren. Lange Zeit war es darauf angelegt, die sämmtlichen deutschen Landwirthe

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/458>, abgerufen am 27.09.2024.