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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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wer nicht ein hartgesottener Agrarier ist, kann nur mit Lachen oder mit
Aerger diesen Verhandlungen folgen.

Das Bezeichnendste ist/wie der Congreß und seine agrarischen Führer
die Enquete über die ländliche Arbeiterfrage behandelt haben.

Oben ist schon erwähnt worden, daß die Hauptarbeit der Untersuchung
von dem Professor von der Goltz geleistet war; er war der Generalreferent
und die Referenten hatten ihm nur ihre Mithülfe gewährt. Er trägt die
Verantwortung für das Ergebniß der Arbeit, -- wahrlich eine schwere und
gewaltige Leistung hatte er zu Stande gebracht. Das Buch hat den Titel
"Die Lage der ländlichen Arbeiter im deutschen Reich", und stellt sich dar
als "Bericht an die vom Congreß deutscher Landwirthe niedergesetzte Com¬
mission zur Ermittelung der Lage der ländlichen Arbeiter im deutschen Reich
unter Mitwirkung von Richter, Prof. in Tharand und von Langsdorff,
Generalseeretair in Dresden erstattet von Professor Dr. Th. Freiherrn von
der Goltz in Königsberg." Diesen Bericht ihrer Referenten überreichte
die Commission (unter dem Vorsitze von Griepenkerl) mit einem beglei¬
tenden Berichte an den Ausschuß des Congresses zur Vertheilung an diesen
selbst. Kurz vor der Zusammenkunft des Congresses hatte die Vertheilung be-
gonnen; aber sie war dann vom Ausschusse unterbrochen worden -- weßhalb? weil
sich herausgestellt, daß die thatsächlichen Ergebnisse der ohne
vorgefaßte Meinung angestellten Untersuchung der Arbeiter¬
verhältnisse nicht geeignet waren, als Grundlage oder Be¬
weismittel für agrarische Wünsche zu dienen.

Wenn man vorurtheilsfrei den Werth des Enquetewerkes festzustellen
versuchen will, so darf man vor Allem das Eine nicht außer Acht lassen:
nicht eine amtliche Erhebung, sondern eine Privatarbeit liegt vor uns. An
den guten Willen der Arbeitgeber hatte man sich mit den Fragebogen zu
wenden gehabt; es war ganz ausgeschlossen, daß man in contradictorischem
Verfahren Arbeitgeber und Arbeiternehmer hätte über dieselben Gegenstände
befragen können; es hatte an Mitteln gefehlt, die Richtigkeit der erhobenen
Antworten zu prüfen: der Referent war in der Lage, im Großen und Ganzen
auf Treu und Glauben die Angaben hinzunehmen, wie sie ihm gemacht
waren. Seinerseits aber war es geboten, nicht ohne Erläuterungen die er¬
hobenen statistischen Daten in die Welt ausgehen zu lassen; gerade weil aus
eigener Erfahrung ihm Zustände und Einrichtungen in den verschiedensten
Theilen Deutschlands bekannt waren, durfte er sich zutrauen, die zum Ver¬
ständniß nöthigen Bemerkungen hinzuzufügen und seinerseits Kritik an ein¬
zelnen Mittheilungen zu üben. Ein subjectives Moment kam dadurch aller¬
dings in die Enquete hinein; -- aber es ganz fern zu halten, war unter
den gegebenen Umständen unmöglich. Mit vollem Rechte und bestem Ge-


wer nicht ein hartgesottener Agrarier ist, kann nur mit Lachen oder mit
Aerger diesen Verhandlungen folgen.

Das Bezeichnendste ist/wie der Congreß und seine agrarischen Führer
die Enquete über die ländliche Arbeiterfrage behandelt haben.

Oben ist schon erwähnt worden, daß die Hauptarbeit der Untersuchung
von dem Professor von der Goltz geleistet war; er war der Generalreferent
und die Referenten hatten ihm nur ihre Mithülfe gewährt. Er trägt die
Verantwortung für das Ergebniß der Arbeit, — wahrlich eine schwere und
gewaltige Leistung hatte er zu Stande gebracht. Das Buch hat den Titel
„Die Lage der ländlichen Arbeiter im deutschen Reich", und stellt sich dar
als „Bericht an die vom Congreß deutscher Landwirthe niedergesetzte Com¬
mission zur Ermittelung der Lage der ländlichen Arbeiter im deutschen Reich
unter Mitwirkung von Richter, Prof. in Tharand und von Langsdorff,
Generalseeretair in Dresden erstattet von Professor Dr. Th. Freiherrn von
der Goltz in Königsberg." Diesen Bericht ihrer Referenten überreichte
die Commission (unter dem Vorsitze von Griepenkerl) mit einem beglei¬
tenden Berichte an den Ausschuß des Congresses zur Vertheilung an diesen
selbst. Kurz vor der Zusammenkunft des Congresses hatte die Vertheilung be-
gonnen; aber sie war dann vom Ausschusse unterbrochen worden — weßhalb? weil
sich herausgestellt, daß die thatsächlichen Ergebnisse der ohne
vorgefaßte Meinung angestellten Untersuchung der Arbeiter¬
verhältnisse nicht geeignet waren, als Grundlage oder Be¬
weismittel für agrarische Wünsche zu dienen.

Wenn man vorurtheilsfrei den Werth des Enquetewerkes festzustellen
versuchen will, so darf man vor Allem das Eine nicht außer Acht lassen:
nicht eine amtliche Erhebung, sondern eine Privatarbeit liegt vor uns. An
den guten Willen der Arbeitgeber hatte man sich mit den Fragebogen zu
wenden gehabt; es war ganz ausgeschlossen, daß man in contradictorischem
Verfahren Arbeitgeber und Arbeiternehmer hätte über dieselben Gegenstände
befragen können; es hatte an Mitteln gefehlt, die Richtigkeit der erhobenen
Antworten zu prüfen: der Referent war in der Lage, im Großen und Ganzen
auf Treu und Glauben die Angaben hinzunehmen, wie sie ihm gemacht
waren. Seinerseits aber war es geboten, nicht ohne Erläuterungen die er¬
hobenen statistischen Daten in die Welt ausgehen zu lassen; gerade weil aus
eigener Erfahrung ihm Zustände und Einrichtungen in den verschiedensten
Theilen Deutschlands bekannt waren, durfte er sich zutrauen, die zum Ver¬
ständniß nöthigen Bemerkungen hinzuzufügen und seinerseits Kritik an ein¬
zelnen Mittheilungen zu üben. Ein subjectives Moment kam dadurch aller¬
dings in die Enquete hinein; — aber es ganz fern zu halten, war unter
den gegebenen Umständen unmöglich. Mit vollem Rechte und bestem Ge-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/456>, abgerufen am 27.09.2024.