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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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Aber auf der schiefen Ebene, auf die man einmal gerathen, ging es
weiter bergab.

Den Männern mittlerer Richtungen in politischen, kirchlichen, wirth¬
schaftlichen Fragen, welche gerne jeder Seite ihr relatives Recht zugestehen
und nicht mit radikalen Principien verwickelte und schwierige Verhältnisse
zerschneiden, sondern mit Berücksichtigung aller Momente eine möglichst alle
Interessenten befriedigende Lösung herbeiführen wollen, -- ihnen entsteht die
Versuchung nur zu leicht, den extremeren Genossen eine kleine Concession nach
der anderen zu machen, Gegensätze zu verdecken, nur um nicht schlimme Ent¬
zweiung entstehen oder nicht zu radikale Schritte geschehen zu lassen. So
auch hier. Nachdem die Mehrheit des Congresses den agrarischen Forderungen
nicht nur nicht widerstanden, sondern die Uebereinstimmung mit Herrn von
Wedemeyer unverkennbar an den Tag gelegt, hätten die gemäßigten Ele¬
mente, hätten die Freunde der ländlichen Arbeitnehmer sich vom Congresse
lossagen sollen: aut -- aut, Ihr oder Wir: so hätte die Parole lauten sollen!
Ehe es so weit kam, erperimentirte man noch eine lange Zeit und ließ sich
stärkere Dosen der Liebenswürdigkeiten des agrarischen Führers verabreichen.

Herr von Benda machte im Laufe des Jahres 1874 den wiederholten
Versuch, den Ausschuß des Congresses mit dem Landwirthschaftsrathe zu ver¬
schmelzen: das hätte allerdings die agrarischen Gelüste unschädlich gemacht!
Aber eben deßhalb wurde sein Antrag nach harten Kämpfen mit 18 gegen
6 Stimmen abgelehnt. Und nun legte auch von Benda den Vorsitz selbst
nieder. An seine Stelle wählte der Ausschuß -- sehr vorsichtig, ganz nach
seiner die eigentlichen Ziele verhüllenden Politik -- den Herrn von Rath
(Lauersfort). Der neue Vorsitzende zeigte sich selbst von dem besten Willen
erfüllt, die politischen Gegensätze im Congresse zu versöhnen und auf der Linie
des früheren Verhaltens (von 1868--1872) weiter zu gehen. Aber es ge¬
lang, ihm noch weniger als seinem Vorgänger, die agrarischen Heißsporne zu
zügeln.

Die Entscheidung des Schicksals des Congresses brachte die Versammlung,
die vom 22. bis 26. Februar 1873 in Berlin tagte. Die Anträge von
Benda's fielen auch hier zu Boden, -- manche der Gegner wurden offenbar von
dem Motive geleitet, den Landwirthschastsrath vor der Vermischung mit den Depu¬
taten des Agrariereongresses zu bewahren! -- und die jetzt die Herrschaft be¬
sitzende Agrarierpartei zeigte ihr wahres Angesicht immer ungescheuter. Die Herren
von Leuthe, von Diest und von Wedemeyer in erster Reihe, Stadtgerichtsrath
Wilmanns in zweiter Reihe waren die tonangebenden Redner. Kein Mensch
auf der Welt wird behaupten, sachlich aus den Debatten über die Lage der
Landwirthschaft und ihre berechtigten Wünsche irgend etwas gelernt zu haben:


Aber auf der schiefen Ebene, auf die man einmal gerathen, ging es
weiter bergab.

Den Männern mittlerer Richtungen in politischen, kirchlichen, wirth¬
schaftlichen Fragen, welche gerne jeder Seite ihr relatives Recht zugestehen
und nicht mit radikalen Principien verwickelte und schwierige Verhältnisse
zerschneiden, sondern mit Berücksichtigung aller Momente eine möglichst alle
Interessenten befriedigende Lösung herbeiführen wollen, — ihnen entsteht die
Versuchung nur zu leicht, den extremeren Genossen eine kleine Concession nach
der anderen zu machen, Gegensätze zu verdecken, nur um nicht schlimme Ent¬
zweiung entstehen oder nicht zu radikale Schritte geschehen zu lassen. So
auch hier. Nachdem die Mehrheit des Congresses den agrarischen Forderungen
nicht nur nicht widerstanden, sondern die Uebereinstimmung mit Herrn von
Wedemeyer unverkennbar an den Tag gelegt, hätten die gemäßigten Ele¬
mente, hätten die Freunde der ländlichen Arbeitnehmer sich vom Congresse
lossagen sollen: aut — aut, Ihr oder Wir: so hätte die Parole lauten sollen!
Ehe es so weit kam, erperimentirte man noch eine lange Zeit und ließ sich
stärkere Dosen der Liebenswürdigkeiten des agrarischen Führers verabreichen.

Herr von Benda machte im Laufe des Jahres 1874 den wiederholten
Versuch, den Ausschuß des Congresses mit dem Landwirthschaftsrathe zu ver¬
schmelzen: das hätte allerdings die agrarischen Gelüste unschädlich gemacht!
Aber eben deßhalb wurde sein Antrag nach harten Kämpfen mit 18 gegen
6 Stimmen abgelehnt. Und nun legte auch von Benda den Vorsitz selbst
nieder. An seine Stelle wählte der Ausschuß — sehr vorsichtig, ganz nach
seiner die eigentlichen Ziele verhüllenden Politik — den Herrn von Rath
(Lauersfort). Der neue Vorsitzende zeigte sich selbst von dem besten Willen
erfüllt, die politischen Gegensätze im Congresse zu versöhnen und auf der Linie
des früheren Verhaltens (von 1868—1872) weiter zu gehen. Aber es ge¬
lang, ihm noch weniger als seinem Vorgänger, die agrarischen Heißsporne zu
zügeln.

Die Entscheidung des Schicksals des Congresses brachte die Versammlung,
die vom 22. bis 26. Februar 1873 in Berlin tagte. Die Anträge von
Benda's fielen auch hier zu Boden, — manche der Gegner wurden offenbar von
dem Motive geleitet, den Landwirthschastsrath vor der Vermischung mit den Depu¬
taten des Agrariereongresses zu bewahren! — und die jetzt die Herrschaft be¬
sitzende Agrarierpartei zeigte ihr wahres Angesicht immer ungescheuter. Die Herren
von Leuthe, von Diest und von Wedemeyer in erster Reihe, Stadtgerichtsrath
Wilmanns in zweiter Reihe waren die tonangebenden Redner. Kein Mensch
auf der Welt wird behaupten, sachlich aus den Debatten über die Lage der
Landwirthschaft und ihre berechtigten Wünsche irgend etwas gelernt zu haben:


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[0455] Aber auf der schiefen Ebene, auf die man einmal gerathen, ging es weiter bergab. Den Männern mittlerer Richtungen in politischen, kirchlichen, wirth¬ schaftlichen Fragen, welche gerne jeder Seite ihr relatives Recht zugestehen und nicht mit radikalen Principien verwickelte und schwierige Verhältnisse zerschneiden, sondern mit Berücksichtigung aller Momente eine möglichst alle Interessenten befriedigende Lösung herbeiführen wollen, — ihnen entsteht die Versuchung nur zu leicht, den extremeren Genossen eine kleine Concession nach der anderen zu machen, Gegensätze zu verdecken, nur um nicht schlimme Ent¬ zweiung entstehen oder nicht zu radikale Schritte geschehen zu lassen. So auch hier. Nachdem die Mehrheit des Congresses den agrarischen Forderungen nicht nur nicht widerstanden, sondern die Uebereinstimmung mit Herrn von Wedemeyer unverkennbar an den Tag gelegt, hätten die gemäßigten Ele¬ mente, hätten die Freunde der ländlichen Arbeitnehmer sich vom Congresse lossagen sollen: aut — aut, Ihr oder Wir: so hätte die Parole lauten sollen! Ehe es so weit kam, erperimentirte man noch eine lange Zeit und ließ sich stärkere Dosen der Liebenswürdigkeiten des agrarischen Führers verabreichen. Herr von Benda machte im Laufe des Jahres 1874 den wiederholten Versuch, den Ausschuß des Congresses mit dem Landwirthschaftsrathe zu ver¬ schmelzen: das hätte allerdings die agrarischen Gelüste unschädlich gemacht! Aber eben deßhalb wurde sein Antrag nach harten Kämpfen mit 18 gegen 6 Stimmen abgelehnt. Und nun legte auch von Benda den Vorsitz selbst nieder. An seine Stelle wählte der Ausschuß — sehr vorsichtig, ganz nach seiner die eigentlichen Ziele verhüllenden Politik — den Herrn von Rath (Lauersfort). Der neue Vorsitzende zeigte sich selbst von dem besten Willen erfüllt, die politischen Gegensätze im Congresse zu versöhnen und auf der Linie des früheren Verhaltens (von 1868—1872) weiter zu gehen. Aber es ge¬ lang, ihm noch weniger als seinem Vorgänger, die agrarischen Heißsporne zu zügeln. Die Entscheidung des Schicksals des Congresses brachte die Versammlung, die vom 22. bis 26. Februar 1873 in Berlin tagte. Die Anträge von Benda's fielen auch hier zu Boden, — manche der Gegner wurden offenbar von dem Motive geleitet, den Landwirthschastsrath vor der Vermischung mit den Depu¬ taten des Agrariereongresses zu bewahren! — und die jetzt die Herrschaft be¬ sitzende Agrarierpartei zeigte ihr wahres Angesicht immer ungescheuter. Die Herren von Leuthe, von Diest und von Wedemeyer in erster Reihe, Stadtgerichtsrath Wilmanns in zweiter Reihe waren die tonangebenden Redner. Kein Mensch auf der Welt wird behaupten, sachlich aus den Debatten über die Lage der Landwirthschaft und ihre berechtigten Wünsche irgend etwas gelernt zu haben:

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/455>, abgerufen am 27.09.2024.