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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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welche die gegenwärtige Lage der Arbeiter für ungenügend und verbesserungs¬
bedürftig hielten und diejenigen, welche mit dem Rufe, daß die Landwirthschaft
geschädigt sei. ausschließlich eine Verbesserung in der Lage der Gutsbesitzer
erstrebt hatten. 1874 drängten die Agrarier auf die Leitung hin: sie haben
damit die Scheidung der Geister herbeigeführt.

Eingeleitet wurde die neue Phase auf dem Congreß vom Februar
1874, Da erfolgte schon die Wahl des Vorsitzenden mit Zweidrittelmehrheit,
während früher eine einstimmige Acclamationswahl üblich gewesen. Die ver¬
mittelnde Haltung des Herrn von Benda, der dem Agrarierwesen sehr
abhold sich gezeigt und die Ausfälle, die im Abgeordnetenhause auf die
Agrarier im Congresse geschehen, nur sehr lau abgewiesen hatte, mißfiel den
Agrariern ganz gewaltig. Doch wurde von ihnen auch damals noch die
Taktik befolgt, die mittleren Elemente an sich zu fesseln, indem hinter mehr¬
deutigen Redensarten die eigentlich agrarischen Gedanken versteckt wurden.
Auf dem Congresse gelangte am 27. Februar die Arbeiterfrage zur Besprechung.
In der maßlosesten Weise erging sich in Gegenwart des Kronprinzen ("vor
den hohen Ohren" desselben, wie der Redner sich auszudrücken beliebte) Herr
von Wedemeyer-Schönrade, der als der eigentliche Treiber und Leiter
der Agrarier von nun an sich gerirte, gegen die gesammte neuere wirthschaft¬
liche Gesetzgebung; -- eine reactionäre Wahlrede, die an Leidenschaftlichkeit
und Uebertreibung der Form ebenso wie an Dürftigkeit und Seichtheit des
Inhaltes auf derselben Stufe mit den socialistischen Brandreden sich bewegte.
Die Zurechtweisungen, die ihm in der Versammlung zu Theil wurden von
den Landwirthen Kraner und Witt und Sombart und den Professoren
Birnbaum und Wagner, wogen den Schaden, den er angerichtet, nicht auf;
er war unbefangen gniug, sachliche Wiederlegung durch Derbheit der Worte
zu übertrumpfen; und es stand Niemand auf, der ihm auf diesem Felde
überlegen.

Die Rede Wedemeyer's machte einen "Riß" in dem Congresse. Einer
der verdientesten Ausschußmitglieder (Sombart) erklärte, eine Wiederwahl nicht
anzunehmen; bei der Wahl des Ausschusses zeigte sich deutlich, daß die Mehr¬
heit des Kongresses agrarischer .Führung sich zuneigte und mit der Rede
Wedemeyer's einverstanden war. Die Mehrheit der jetzt Gewählten waren
Agrarier: Wedemeyer, Wedell, Leuthe, Schumacher, von Diest u. s. w. Nichts¬
destoweniger glaubte von Benda noch aushalten zu sollen; wenn es noch
gelang die Stellung des Congresses zum Landwirthschastsrath in seinem Sinne
zu regeln, konnte doch vielleicht noch das Unheil verhütet werden, daß die¬
jenigen, welche bona na<Z die Interessen der Landwirthschaft als solche im
Congreß vertreten zu sollen glaubten, allmählich in den Troß der Agrarier
sich aufnehmen und einreihen ließen.


welche die gegenwärtige Lage der Arbeiter für ungenügend und verbesserungs¬
bedürftig hielten und diejenigen, welche mit dem Rufe, daß die Landwirthschaft
geschädigt sei. ausschließlich eine Verbesserung in der Lage der Gutsbesitzer
erstrebt hatten. 1874 drängten die Agrarier auf die Leitung hin: sie haben
damit die Scheidung der Geister herbeigeführt.

Eingeleitet wurde die neue Phase auf dem Congreß vom Februar
1874, Da erfolgte schon die Wahl des Vorsitzenden mit Zweidrittelmehrheit,
während früher eine einstimmige Acclamationswahl üblich gewesen. Die ver¬
mittelnde Haltung des Herrn von Benda, der dem Agrarierwesen sehr
abhold sich gezeigt und die Ausfälle, die im Abgeordnetenhause auf die
Agrarier im Congresse geschehen, nur sehr lau abgewiesen hatte, mißfiel den
Agrariern ganz gewaltig. Doch wurde von ihnen auch damals noch die
Taktik befolgt, die mittleren Elemente an sich zu fesseln, indem hinter mehr¬
deutigen Redensarten die eigentlich agrarischen Gedanken versteckt wurden.
Auf dem Congresse gelangte am 27. Februar die Arbeiterfrage zur Besprechung.
In der maßlosesten Weise erging sich in Gegenwart des Kronprinzen („vor
den hohen Ohren" desselben, wie der Redner sich auszudrücken beliebte) Herr
von Wedemeyer-Schönrade, der als der eigentliche Treiber und Leiter
der Agrarier von nun an sich gerirte, gegen die gesammte neuere wirthschaft¬
liche Gesetzgebung; — eine reactionäre Wahlrede, die an Leidenschaftlichkeit
und Uebertreibung der Form ebenso wie an Dürftigkeit und Seichtheit des
Inhaltes auf derselben Stufe mit den socialistischen Brandreden sich bewegte.
Die Zurechtweisungen, die ihm in der Versammlung zu Theil wurden von
den Landwirthen Kraner und Witt und Sombart und den Professoren
Birnbaum und Wagner, wogen den Schaden, den er angerichtet, nicht auf;
er war unbefangen gniug, sachliche Wiederlegung durch Derbheit der Worte
zu übertrumpfen; und es stand Niemand auf, der ihm auf diesem Felde
überlegen.

Die Rede Wedemeyer's machte einen „Riß" in dem Congresse. Einer
der verdientesten Ausschußmitglieder (Sombart) erklärte, eine Wiederwahl nicht
anzunehmen; bei der Wahl des Ausschusses zeigte sich deutlich, daß die Mehr¬
heit des Kongresses agrarischer .Führung sich zuneigte und mit der Rede
Wedemeyer's einverstanden war. Die Mehrheit der jetzt Gewählten waren
Agrarier: Wedemeyer, Wedell, Leuthe, Schumacher, von Diest u. s. w. Nichts¬
destoweniger glaubte von Benda noch aushalten zu sollen; wenn es noch
gelang die Stellung des Congresses zum Landwirthschastsrath in seinem Sinne
zu regeln, konnte doch vielleicht noch das Unheil verhütet werden, daß die¬
jenigen, welche bona na<Z die Interessen der Landwirthschaft als solche im
Congreß vertreten zu sollen glaubten, allmählich in den Troß der Agrarier
sich aufnehmen und einreihen ließen.


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[0454] welche die gegenwärtige Lage der Arbeiter für ungenügend und verbesserungs¬ bedürftig hielten und diejenigen, welche mit dem Rufe, daß die Landwirthschaft geschädigt sei. ausschließlich eine Verbesserung in der Lage der Gutsbesitzer erstrebt hatten. 1874 drängten die Agrarier auf die Leitung hin: sie haben damit die Scheidung der Geister herbeigeführt. Eingeleitet wurde die neue Phase auf dem Congreß vom Februar 1874, Da erfolgte schon die Wahl des Vorsitzenden mit Zweidrittelmehrheit, während früher eine einstimmige Acclamationswahl üblich gewesen. Die ver¬ mittelnde Haltung des Herrn von Benda, der dem Agrarierwesen sehr abhold sich gezeigt und die Ausfälle, die im Abgeordnetenhause auf die Agrarier im Congresse geschehen, nur sehr lau abgewiesen hatte, mißfiel den Agrariern ganz gewaltig. Doch wurde von ihnen auch damals noch die Taktik befolgt, die mittleren Elemente an sich zu fesseln, indem hinter mehr¬ deutigen Redensarten die eigentlich agrarischen Gedanken versteckt wurden. Auf dem Congresse gelangte am 27. Februar die Arbeiterfrage zur Besprechung. In der maßlosesten Weise erging sich in Gegenwart des Kronprinzen („vor den hohen Ohren" desselben, wie der Redner sich auszudrücken beliebte) Herr von Wedemeyer-Schönrade, der als der eigentliche Treiber und Leiter der Agrarier von nun an sich gerirte, gegen die gesammte neuere wirthschaft¬ liche Gesetzgebung; — eine reactionäre Wahlrede, die an Leidenschaftlichkeit und Uebertreibung der Form ebenso wie an Dürftigkeit und Seichtheit des Inhaltes auf derselben Stufe mit den socialistischen Brandreden sich bewegte. Die Zurechtweisungen, die ihm in der Versammlung zu Theil wurden von den Landwirthen Kraner und Witt und Sombart und den Professoren Birnbaum und Wagner, wogen den Schaden, den er angerichtet, nicht auf; er war unbefangen gniug, sachliche Wiederlegung durch Derbheit der Worte zu übertrumpfen; und es stand Niemand auf, der ihm auf diesem Felde überlegen. Die Rede Wedemeyer's machte einen „Riß" in dem Congresse. Einer der verdientesten Ausschußmitglieder (Sombart) erklärte, eine Wiederwahl nicht anzunehmen; bei der Wahl des Ausschusses zeigte sich deutlich, daß die Mehr¬ heit des Kongresses agrarischer .Führung sich zuneigte und mit der Rede Wedemeyer's einverstanden war. Die Mehrheit der jetzt Gewählten waren Agrarier: Wedemeyer, Wedell, Leuthe, Schumacher, von Diest u. s. w. Nichts¬ destoweniger glaubte von Benda noch aushalten zu sollen; wenn es noch gelang die Stellung des Congresses zum Landwirthschastsrath in seinem Sinne zu regeln, konnte doch vielleicht noch das Unheil verhütet werden, daß die¬ jenigen, welche bona na<Z die Interessen der Landwirthschaft als solche im Congreß vertreten zu sollen glaubten, allmählich in den Troß der Agrarier sich aufnehmen und einreihen ließen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/454>, abgerufen am 27.09.2024.