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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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essen gewonnen war, der Gedanke sehr nahe, den Congreß der Land Wirthe
mit dieser aus den landwirtschaftlichen Vereinen hervorgegangenen Organi¬
sation in angemessener Weise zu verschmelzen. Wenn die Vertretung der
landwirthschaftlichen Interessen der wirkliche Grund der Congreßbildung und
nicht nur ein Aushängeschild war. hinter dem sich ganz andere Dinge ver¬
bargen, so konnte man sich damit beruhigen, daß dies bisher erstrebte Ziel
erreicht war: die localen Vereine boten Gelegenheit dar, landwirthschaftliche
Angelegenheiten zu besprechen; in dem Landwirthschaftsrath vereinigten sich
die Stimmen der localen Vereine in einer Weise, daß die staatlichen Behörden
und die parlamentarischen Körperschaften wohl veranlaßt wurden, auf sie zu
hören. Neben dieser Vertretung noch eine weitere Vereinigung zu bilden,
die ganz unabhängig von dem Landwirthschaftsrath der Angabe nach ver¬
wandte oder identische Ziele sich gesetzt, dazu lag ganz gewiß keine Noth¬
wendigkeit vor. Ferner hatte der Congreß für die ländliche Arbeiterfrage aus
sich eine werthvolle Anregung gegeben; ganz im Einklang mit den hier ge¬
äußerten Tendenzen, eine Besserung der Arbeiterzustände zu schaffen, be¬
mühte sich der Verein ländlicher Arbeitgeber 1872 und 1873 -- kurz, von
welcher Seite man auch die Sache ansieht, die bisher aufgestellten Aufgaben
des Congresses waren in gute Bahn geleitet: der Congreß durfte yuasi re
Vene Msts, in den Landwirthschaftsrath aufgehen.

Aber es geschah dies nicht. Eine neue Wendung trat vielmehr 1874
ein. Eine bisher mit den andern Gruppen und Richtungen unter den deutschen
Landwirthen einträchtig zusammenhaltende Tendenz maßte sich die Leitung
an. Die Agrarier wollten den Congreß zu ihrem Organ machen; damit
aber wurde alles bisher Gethane in Frage gestellt, der Charakter der land¬
wirthschaftlichen Interessenvertretung total geändert. Erfolg und Ansehen der
landwirthschaftlichen Congresse hatte darauf beruht, daß nicht einseitige und
nicht politischen Parteien dienende Beschlüsse gefaßt waren: wo derartige
Tendenzen zu Tage getreten, waren sie von der Mehrheit zurückgehalten
worden. Dies wurde anders. Die politische Partei der extremsten Rechten
empfand den Gegensatz zur Regierungspolitik immer stärker, und ihr Bedürf¬
niß wurde immer dringender, Lärm gegen die Regierung und was die Re-
gierung stützte, zu schlagen. Die großen Grundbesitzer machten einseitig ihre
Interessen geltend; immer heftiger wurde ihr Gegensatz zu der Anforderung
der Neuzeit, daß sie ihre leitende und herrschende Stellung auf dem Lande
durch Arbeit verdienen und nicht als etwas Selbstverständliches genießen sollten:
nur durch Knechtung der ländlichen Arbeiter glaubten sie herrschen zu können;
und somit war es diesen agrarischen Junkern nicht länger möglich, mit den¬
jenigen Männern zusammenzugehen, welche wirklich die Lage der Arbeiter
aufbissern -rollten. Bisher waren in dem Congresse gemischt diejenigen,


essen gewonnen war, der Gedanke sehr nahe, den Congreß der Land Wirthe
mit dieser aus den landwirtschaftlichen Vereinen hervorgegangenen Organi¬
sation in angemessener Weise zu verschmelzen. Wenn die Vertretung der
landwirthschaftlichen Interessen der wirkliche Grund der Congreßbildung und
nicht nur ein Aushängeschild war. hinter dem sich ganz andere Dinge ver¬
bargen, so konnte man sich damit beruhigen, daß dies bisher erstrebte Ziel
erreicht war: die localen Vereine boten Gelegenheit dar, landwirthschaftliche
Angelegenheiten zu besprechen; in dem Landwirthschaftsrath vereinigten sich
die Stimmen der localen Vereine in einer Weise, daß die staatlichen Behörden
und die parlamentarischen Körperschaften wohl veranlaßt wurden, auf sie zu
hören. Neben dieser Vertretung noch eine weitere Vereinigung zu bilden,
die ganz unabhängig von dem Landwirthschaftsrath der Angabe nach ver¬
wandte oder identische Ziele sich gesetzt, dazu lag ganz gewiß keine Noth¬
wendigkeit vor. Ferner hatte der Congreß für die ländliche Arbeiterfrage aus
sich eine werthvolle Anregung gegeben; ganz im Einklang mit den hier ge¬
äußerten Tendenzen, eine Besserung der Arbeiterzustände zu schaffen, be¬
mühte sich der Verein ländlicher Arbeitgeber 1872 und 1873 — kurz, von
welcher Seite man auch die Sache ansieht, die bisher aufgestellten Aufgaben
des Congresses waren in gute Bahn geleitet: der Congreß durfte yuasi re
Vene Msts, in den Landwirthschaftsrath aufgehen.

Aber es geschah dies nicht. Eine neue Wendung trat vielmehr 1874
ein. Eine bisher mit den andern Gruppen und Richtungen unter den deutschen
Landwirthen einträchtig zusammenhaltende Tendenz maßte sich die Leitung
an. Die Agrarier wollten den Congreß zu ihrem Organ machen; damit
aber wurde alles bisher Gethane in Frage gestellt, der Charakter der land¬
wirthschaftlichen Interessenvertretung total geändert. Erfolg und Ansehen der
landwirthschaftlichen Congresse hatte darauf beruht, daß nicht einseitige und
nicht politischen Parteien dienende Beschlüsse gefaßt waren: wo derartige
Tendenzen zu Tage getreten, waren sie von der Mehrheit zurückgehalten
worden. Dies wurde anders. Die politische Partei der extremsten Rechten
empfand den Gegensatz zur Regierungspolitik immer stärker, und ihr Bedürf¬
niß wurde immer dringender, Lärm gegen die Regierung und was die Re-
gierung stützte, zu schlagen. Die großen Grundbesitzer machten einseitig ihre
Interessen geltend; immer heftiger wurde ihr Gegensatz zu der Anforderung
der Neuzeit, daß sie ihre leitende und herrschende Stellung auf dem Lande
durch Arbeit verdienen und nicht als etwas Selbstverständliches genießen sollten:
nur durch Knechtung der ländlichen Arbeiter glaubten sie herrschen zu können;
und somit war es diesen agrarischen Junkern nicht länger möglich, mit den¬
jenigen Männern zusammenzugehen, welche wirklich die Lage der Arbeiter
aufbissern -rollten. Bisher waren in dem Congresse gemischt diejenigen,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/453>, abgerufen am 27.09.2024.