Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.die junge Prinzessin wußte, daß das Kind, das sie unter dem Herzen trug, Im Jahre 1842 hatte Ateya Sultana, eine zweite Schwester Abdul Der männliche Hofhalt des Sultans zählt ebenfalls eine große Menge die junge Prinzessin wußte, daß das Kind, das sie unter dem Herzen trug, Im Jahre 1842 hatte Ateya Sultana, eine zweite Schwester Abdul Der männliche Hofhalt des Sultans zählt ebenfalls eine große Menge <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0435" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/136546"/> <p xml:id="ID_1119" prev="#ID_1118"> die junge Prinzessin wußte, daß das Kind, das sie unter dem Herzen trug,<lb/> umgebracht werden würde, beschloß sie, es vor der Geburt zu todten und so<lb/> dem Werke des Mörders zuvorzukommen. Eine Quacksalberin besorgte ihr den<lb/> dazu erforderlichen Trank, die Sultanin verschlang ihn, und nach achtund¬<lb/> vierzig Stunden war das ungeborne Kind todt und die Mutter ebenfalls.</p><lb/> <p xml:id="ID_1120"> Im Jahre 1842 hatte Ateya Sultana, eine zweite Schwester Abdul<lb/> Medschid's, Gemahlin Haut Paschas, nach der Meinung der Sterndeuter<lb/> Hoffnung, einen Sohn zu bekommen. Die Eltern waren in Verzweiflung;<lb/> denn schon war ihr erstes Kind, auch ein Sohn, geopfert worden. Haut, ein<lb/> reicher und mächtiger Mann, verschenkte ungeheure Summen an Personen,<lb/> von welchen er glaubte, daß sie eine Aenderung der unmenschlichen Sitte<lb/> würden durchsetzen können, auch der Sultan, der seine Schwester sehr liebte,<lb/> schien der Rettung des erwarteten Kindes günstig gesinnt. Es wurde ge¬<lb/> boren und war wirklich ein Sohn. Die Prinzessin glaubte es geborgen und<lb/> frohlockte. Aber sie täuschte sich. Die Mütter der kaiserlichen Prinzen, unter denen<lb/> sich der jetzige Sultan befand, geriethen in Eifersucht und Aufruhr, als sie er¬<lb/> fuhren, daß der Knabe Ateya's am Leben bleiben sollte, vielleicht, um der Neben¬<lb/> buhler ihrer eigenen Söhne zu werden. Auch die Räthe der Krone mischten sich<lb/> ein und machten aus die mit einer solchen Ausnahme verbundene Gefahr auf¬<lb/> merksam. Der Sultan, wie immer willensschwach, ließ sich überreden und<lb/> ertheilte die Erlaubniß zur Tödtung des Kindes. Als daher Haut's Gemahlin<lb/> am dritten Morgen erwachte und den Dienerinnen befahl, ihr aus der reich¬<lb/> eingelegten Wiege neben ihrem Lager das Söhnchen zu geben, brachen sie in<lb/> Thränen aus und boten ihr einen leblosen Körper dar. „Das Kind," sagten<lb/> sie, „ist diese Nacht an Krämpfen gestorben — die Etikette verbot uns, unsre<lb/> Gebieterin zu wecken." Als die unglückliche Prinzessin das hörte, verfiel sie<lb/> in heftige Krämpfe und dann ins Delirium, von dem sie sich nur erholte, um<lb/> an unheilbarer Auszehrung dahin zu siechen. Fünfundsiebzig Tage noch, und<lb/> man setzte sie im Grabmal ihres Vaters bei.</p><lb/> <p xml:id="ID_1121" next="#ID_1122"> Der männliche Hofhalt des Sultans zählt ebenfalls eine große Menge<lb/> Personen. White nennt allein 24 hohe Beamte, die sich um die Person des<lb/> Herrn der Gläubigen befinden, in verschiedenen Departements mit einer An¬<lb/> zahl Unterbeamten, Pagen, Köchen und Lakaien zerfallen und unter der Con¬<lb/> trols des Chassa Muschiri oder Palastmarschalls stehen. Mit Ausnahme des<lb/> letzteren, welcher Staatsminister ist. wird keiner derselben als Regierungs¬<lb/> beamter betrachtet. Sie haben keine Stimme bei öffentlichen Berathungen<lb/> und genießen außerhalb der Umgebung der großherrlichen Person<lb/> keine Privilegien. Diejenigen .aber, welche Mabaindschi (Beamte des Vor¬<lb/> zimmers) genannt werden, bilden eine Camarilla, die häufig den nach¬<lb/> theiligsten Einfluß auf den Sultan ausübte. Diese Personen, die lediglich</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0435]
die junge Prinzessin wußte, daß das Kind, das sie unter dem Herzen trug,
umgebracht werden würde, beschloß sie, es vor der Geburt zu todten und so
dem Werke des Mörders zuvorzukommen. Eine Quacksalberin besorgte ihr den
dazu erforderlichen Trank, die Sultanin verschlang ihn, und nach achtund¬
vierzig Stunden war das ungeborne Kind todt und die Mutter ebenfalls.
Im Jahre 1842 hatte Ateya Sultana, eine zweite Schwester Abdul
Medschid's, Gemahlin Haut Paschas, nach der Meinung der Sterndeuter
Hoffnung, einen Sohn zu bekommen. Die Eltern waren in Verzweiflung;
denn schon war ihr erstes Kind, auch ein Sohn, geopfert worden. Haut, ein
reicher und mächtiger Mann, verschenkte ungeheure Summen an Personen,
von welchen er glaubte, daß sie eine Aenderung der unmenschlichen Sitte
würden durchsetzen können, auch der Sultan, der seine Schwester sehr liebte,
schien der Rettung des erwarteten Kindes günstig gesinnt. Es wurde ge¬
boren und war wirklich ein Sohn. Die Prinzessin glaubte es geborgen und
frohlockte. Aber sie täuschte sich. Die Mütter der kaiserlichen Prinzen, unter denen
sich der jetzige Sultan befand, geriethen in Eifersucht und Aufruhr, als sie er¬
fuhren, daß der Knabe Ateya's am Leben bleiben sollte, vielleicht, um der Neben¬
buhler ihrer eigenen Söhne zu werden. Auch die Räthe der Krone mischten sich
ein und machten aus die mit einer solchen Ausnahme verbundene Gefahr auf¬
merksam. Der Sultan, wie immer willensschwach, ließ sich überreden und
ertheilte die Erlaubniß zur Tödtung des Kindes. Als daher Haut's Gemahlin
am dritten Morgen erwachte und den Dienerinnen befahl, ihr aus der reich¬
eingelegten Wiege neben ihrem Lager das Söhnchen zu geben, brachen sie in
Thränen aus und boten ihr einen leblosen Körper dar. „Das Kind," sagten
sie, „ist diese Nacht an Krämpfen gestorben — die Etikette verbot uns, unsre
Gebieterin zu wecken." Als die unglückliche Prinzessin das hörte, verfiel sie
in heftige Krämpfe und dann ins Delirium, von dem sie sich nur erholte, um
an unheilbarer Auszehrung dahin zu siechen. Fünfundsiebzig Tage noch, und
man setzte sie im Grabmal ihres Vaters bei.
Der männliche Hofhalt des Sultans zählt ebenfalls eine große Menge
Personen. White nennt allein 24 hohe Beamte, die sich um die Person des
Herrn der Gläubigen befinden, in verschiedenen Departements mit einer An¬
zahl Unterbeamten, Pagen, Köchen und Lakaien zerfallen und unter der Con¬
trols des Chassa Muschiri oder Palastmarschalls stehen. Mit Ausnahme des
letzteren, welcher Staatsminister ist. wird keiner derselben als Regierungs¬
beamter betrachtet. Sie haben keine Stimme bei öffentlichen Berathungen
und genießen außerhalb der Umgebung der großherrlichen Person
keine Privilegien. Diejenigen .aber, welche Mabaindschi (Beamte des Vor¬
zimmers) genannt werden, bilden eine Camarilla, die häufig den nach¬
theiligsten Einfluß auf den Sultan ausübte. Diese Personen, die lediglich
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |