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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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Wenn auch der Koran die Vielweiberei gutheißt, so sorgt er doch für
gleiche Verkeilung der ehelichen Rechte. Frauen, die in dieser Beziehung von
ihren Männern vernachlässigt werden, können bei den Behörden Klage führen
und die Scheidung verlangen, wobei sie stets von ihren Verwandten unter¬
stützt werden. Die Pflichten, welchen sich Andere in dieser Hinsicht unter¬
werfen müssen, werden auch vom Sultan geachtet, nicht weil er dem Gesetz
deshalb verantwortlich ist -- seine Kadinnen sind ja nicht seine Ehefrauen --
sondern weil er ebenso wie jene Andern Frieden im Hause zu haben wünscht.

Ehe der Sultan sich am Abend in das Harem begiebt, theilt er dem
dienstthuenden Aga den Namen der Kabir mit, welche er mit seinem Besuche
beehren will, und dieser überbringt die Botschaft der Chet Chota. die ihrer¬
seits wieder die erste dienstthuende Kammerfrau der Kabir davon benach¬
richtigt. Zu bestimmter Zeit, gewöhnlich unmittelbar nach dem Jatsi Na-
mazi oder Nachtgebet, welches anderthalb Stunden nach Sonnenuntergang
ausgerufen wird, begiebt sich der Großherr an die Thür, die aus dem Selam-
lik in das Harem führt. Hier entfernen sich mit Ausnahme eines leuchter¬
tragenden Eunuchen alle seine Diener, worauf die drinnen stehende Thür¬
hüterin ihm öffnet. Alle Ausgänge, welche auf die innern Corridore führen,
die der Sultan Passiren muß, werden sorgfältig verschlossen. Niemand darf
sich sehen lassen, und allenthalben herrscht tiefe Stille. Der Sultan hat
eine Reihe von Zimmern im Harem, wohin die auserwählte Dame geführt
wird, und die sie mit Tagesanbruch wieder verläßt. Zuweilen besucht er je¬
doch die Kabir in ihrem eignen Gemach, wo er von ihr und ihren Skla¬
vinnen mit allen Zeichen der Ehrfurcht und Untertänigkeit empfangen wird.
Gelüstet es den Sultan, in den Zimmern einer der Kadinnen Erfrischungen
einzunehmen, so wird er von deren Sklavinnen damit bedient. Man trägt
Kuchen, Confect, Früchte, Scherbet, Kaffee und allerlei andere Delicatessen
auf, die man selbst bereitet; denn jede Kabir hat eine kleine Küche, und es
herrscht großer Wetteifer in dem Bestreben, den Monarchen mit den Lecker¬
bissen zu erfreuen, die er besonders liebt. Ist die Kabir Mutter, so wird
der Abend damit verbracht, daß man mit den Kindern spielt, sonst hört
man den Gesangsvorträgen und Erzählungen der begabtesten Sklavinnen
zu oder besieht sich Geschmeide und Gewänder. Bei diesen Gelegenheiten zieht
sich der Sultan um die gewöhnliche Zeit der Ruhe zurück; denn es kommt
nur selten vor, daß er die Nacht außerhalb seines eignen Zimmers zubringt.
Die Nachttoilette ist einfach und rasch fertig. In seinen Privatgemächern
trägt der Sultan im Sommer gewöhnlich einen leichten Kaftan und weite
Beinkleider, im Winter einen Pelzrock mit warmen Schalwars (Hosen), und
ist die Stunde zum Schlafengehen gekommen, so werden diese Oberkleider ab¬
gelegt, und an die Stelle des Feß kommt eine Mütze von weißer Leinwand.


Wenn auch der Koran die Vielweiberei gutheißt, so sorgt er doch für
gleiche Verkeilung der ehelichen Rechte. Frauen, die in dieser Beziehung von
ihren Männern vernachlässigt werden, können bei den Behörden Klage führen
und die Scheidung verlangen, wobei sie stets von ihren Verwandten unter¬
stützt werden. Die Pflichten, welchen sich Andere in dieser Hinsicht unter¬
werfen müssen, werden auch vom Sultan geachtet, nicht weil er dem Gesetz
deshalb verantwortlich ist — seine Kadinnen sind ja nicht seine Ehefrauen —
sondern weil er ebenso wie jene Andern Frieden im Hause zu haben wünscht.

Ehe der Sultan sich am Abend in das Harem begiebt, theilt er dem
dienstthuenden Aga den Namen der Kabir mit, welche er mit seinem Besuche
beehren will, und dieser überbringt die Botschaft der Chet Chota. die ihrer¬
seits wieder die erste dienstthuende Kammerfrau der Kabir davon benach¬
richtigt. Zu bestimmter Zeit, gewöhnlich unmittelbar nach dem Jatsi Na-
mazi oder Nachtgebet, welches anderthalb Stunden nach Sonnenuntergang
ausgerufen wird, begiebt sich der Großherr an die Thür, die aus dem Selam-
lik in das Harem führt. Hier entfernen sich mit Ausnahme eines leuchter¬
tragenden Eunuchen alle seine Diener, worauf die drinnen stehende Thür¬
hüterin ihm öffnet. Alle Ausgänge, welche auf die innern Corridore führen,
die der Sultan Passiren muß, werden sorgfältig verschlossen. Niemand darf
sich sehen lassen, und allenthalben herrscht tiefe Stille. Der Sultan hat
eine Reihe von Zimmern im Harem, wohin die auserwählte Dame geführt
wird, und die sie mit Tagesanbruch wieder verläßt. Zuweilen besucht er je¬
doch die Kabir in ihrem eignen Gemach, wo er von ihr und ihren Skla¬
vinnen mit allen Zeichen der Ehrfurcht und Untertänigkeit empfangen wird.
Gelüstet es den Sultan, in den Zimmern einer der Kadinnen Erfrischungen
einzunehmen, so wird er von deren Sklavinnen damit bedient. Man trägt
Kuchen, Confect, Früchte, Scherbet, Kaffee und allerlei andere Delicatessen
auf, die man selbst bereitet; denn jede Kabir hat eine kleine Küche, und es
herrscht großer Wetteifer in dem Bestreben, den Monarchen mit den Lecker¬
bissen zu erfreuen, die er besonders liebt. Ist die Kabir Mutter, so wird
der Abend damit verbracht, daß man mit den Kindern spielt, sonst hört
man den Gesangsvorträgen und Erzählungen der begabtesten Sklavinnen
zu oder besieht sich Geschmeide und Gewänder. Bei diesen Gelegenheiten zieht
sich der Sultan um die gewöhnliche Zeit der Ruhe zurück; denn es kommt
nur selten vor, daß er die Nacht außerhalb seines eignen Zimmers zubringt.
Die Nachttoilette ist einfach und rasch fertig. In seinen Privatgemächern
trägt der Sultan im Sommer gewöhnlich einen leichten Kaftan und weite
Beinkleider, im Winter einen Pelzrock mit warmen Schalwars (Hosen), und
ist die Stunde zum Schlafengehen gekommen, so werden diese Oberkleider ab¬
gelegt, und an die Stelle des Feß kommt eine Mütze von weißer Leinwand.


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[0431] Wenn auch der Koran die Vielweiberei gutheißt, so sorgt er doch für gleiche Verkeilung der ehelichen Rechte. Frauen, die in dieser Beziehung von ihren Männern vernachlässigt werden, können bei den Behörden Klage führen und die Scheidung verlangen, wobei sie stets von ihren Verwandten unter¬ stützt werden. Die Pflichten, welchen sich Andere in dieser Hinsicht unter¬ werfen müssen, werden auch vom Sultan geachtet, nicht weil er dem Gesetz deshalb verantwortlich ist — seine Kadinnen sind ja nicht seine Ehefrauen — sondern weil er ebenso wie jene Andern Frieden im Hause zu haben wünscht. Ehe der Sultan sich am Abend in das Harem begiebt, theilt er dem dienstthuenden Aga den Namen der Kabir mit, welche er mit seinem Besuche beehren will, und dieser überbringt die Botschaft der Chet Chota. die ihrer¬ seits wieder die erste dienstthuende Kammerfrau der Kabir davon benach¬ richtigt. Zu bestimmter Zeit, gewöhnlich unmittelbar nach dem Jatsi Na- mazi oder Nachtgebet, welches anderthalb Stunden nach Sonnenuntergang ausgerufen wird, begiebt sich der Großherr an die Thür, die aus dem Selam- lik in das Harem führt. Hier entfernen sich mit Ausnahme eines leuchter¬ tragenden Eunuchen alle seine Diener, worauf die drinnen stehende Thür¬ hüterin ihm öffnet. Alle Ausgänge, welche auf die innern Corridore führen, die der Sultan Passiren muß, werden sorgfältig verschlossen. Niemand darf sich sehen lassen, und allenthalben herrscht tiefe Stille. Der Sultan hat eine Reihe von Zimmern im Harem, wohin die auserwählte Dame geführt wird, und die sie mit Tagesanbruch wieder verläßt. Zuweilen besucht er je¬ doch die Kabir in ihrem eignen Gemach, wo er von ihr und ihren Skla¬ vinnen mit allen Zeichen der Ehrfurcht und Untertänigkeit empfangen wird. Gelüstet es den Sultan, in den Zimmern einer der Kadinnen Erfrischungen einzunehmen, so wird er von deren Sklavinnen damit bedient. Man trägt Kuchen, Confect, Früchte, Scherbet, Kaffee und allerlei andere Delicatessen auf, die man selbst bereitet; denn jede Kabir hat eine kleine Küche, und es herrscht großer Wetteifer in dem Bestreben, den Monarchen mit den Lecker¬ bissen zu erfreuen, die er besonders liebt. Ist die Kabir Mutter, so wird der Abend damit verbracht, daß man mit den Kindern spielt, sonst hört man den Gesangsvorträgen und Erzählungen der begabtesten Sklavinnen zu oder besieht sich Geschmeide und Gewänder. Bei diesen Gelegenheiten zieht sich der Sultan um die gewöhnliche Zeit der Ruhe zurück; denn es kommt nur selten vor, daß er die Nacht außerhalb seines eignen Zimmers zubringt. Die Nachttoilette ist einfach und rasch fertig. In seinen Privatgemächern trägt der Sultan im Sommer gewöhnlich einen leichten Kaftan und weite Beinkleider, im Winter einen Pelzrock mit warmen Schalwars (Hosen), und ist die Stunde zum Schlafengehen gekommen, so werden diese Oberkleider ab¬ gelegt, und an die Stelle des Feß kommt eine Mütze von weißer Leinwand.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/431>, abgerufen am 27.09.2024.