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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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feste Ueberzeugung -- erstens der oder jener Professor der Archäologie, um
zu sehen, was sein College in Königsberg neuerdings für Allotria treibt,
möglicherweise auch der eine oder der andere Student, vor allen Dingen aber
werden es kaufen die Lehrer der deutschen Sprache an unseren Gelehrten¬
schulen. In ihnen wird der Herausgeber sein zahlreichstes und dankbarstes
Publikum haben.

Denn auf was für unzulängliche Hilfsmittel waren diese bei ihrer
Interpretation des "Laokoon" bisher angewiesen, wenn sie nicht selber zu¬
fällig von der Universität aus Archäologen waren! Es gab bisher drei Aus¬
gaben des "Laokoon" mit erläuternden Anmerkungen: von Cosack, von
Buschmann und von Gosche. Die erstgenannte Ausgabe*) ist gewiß
mit vielem gutem Willen gemacht, leider ist Cosack aber gar nicht zu einer
derartigen Arbeit befähigt gewesen. Die Art und Weise, wie er mit dem
Lessing'schen Texte umspringt, den er nach seinem Belieben "bearbeitet", wie
es auf dem Titelblatte heißt, -- "verarbeitet" sollte es richtiger heißen --
möchte hingehen; sie wird erklärlich dadurch, daß er seine Ausgabe "für
den weiteren Kreis der Gebildeten" berechnet hat. Wenn er in der zweiten
Auflage hinzufügt "und die oberste Stufe höherer Lehranstalten", so müssen
diese höheren Lehranstalten sich dies höflichst verbitten. Es ist schlechterdings
unmöglich, eine Laokoonausgabe für Primaner eines Gymnasiums und zu¬
gleich für junge Mädchen einzurichten; die letzteren aber scheint Cosack mit
Vorliebe berücksichtigt zu haben. Er beseitigt Stellen, an denen höchstens ein
Backfisch Anstoß nehmen kann, jedes Citat aus einer fremden Sprache über¬
setzt er oder läßt es weg, er modernisirt, leider ohne jede Conseguenz, die
Lessing'sche Sprache; außerdem aber ist der Text reich an allerhand Nach¬
lässigkeiten, die hoffentlich nicht mit unter die Kategorie der "Bearbeitung"
gehören. Noch schlimmer ergeht es den Lessing'schen Anmerkungen. Bald
theilt sie Cosack wörtlich mit, bald läßt er sie ganz weg; bald giebt er einen
Theil wörtlich, den andern Theil im Auszuge, bald giebt er sie ganz im Aus¬
zuge, bald erweitert er sie. Und nun vollends der Commentar! Cosack hat
offenbar gar keine Vorstellung von der Aufgabe, die ein Commentar zum
"Laokoon" zu erfüllen hat. Hätte er eine Ahnung davon gehabt, so würde
er vielleicht gar nicht gewagt haben, eine solche Arbeit zu unternehmen.
Daß ein sachlicher Commentar zum "Laokoon" heutzutage vor allen Dingen
Kritik zu üben hat, wie kann diese Einsicht einem Manne aufgehen, t>er
augenscheinlich weder Philolog noch Archäolog, weder Kunsthistoriker noch



") Lessing's Laokoon. Für den weiteren Kreis der Gebildeten bearbeitet und erläutert von
Dr. W. Cosack, Oberlehrer an der Realschule zu Se. Petri in Danzig. Berlin, 186". Hände
und Spener. 2. Auflage ehb. 187S.
Grenzboten III, 1876. 52

feste Ueberzeugung — erstens der oder jener Professor der Archäologie, um
zu sehen, was sein College in Königsberg neuerdings für Allotria treibt,
möglicherweise auch der eine oder der andere Student, vor allen Dingen aber
werden es kaufen die Lehrer der deutschen Sprache an unseren Gelehrten¬
schulen. In ihnen wird der Herausgeber sein zahlreichstes und dankbarstes
Publikum haben.

Denn auf was für unzulängliche Hilfsmittel waren diese bei ihrer
Interpretation des „Laokoon" bisher angewiesen, wenn sie nicht selber zu¬
fällig von der Universität aus Archäologen waren! Es gab bisher drei Aus¬
gaben des „Laokoon" mit erläuternden Anmerkungen: von Cosack, von
Buschmann und von Gosche. Die erstgenannte Ausgabe*) ist gewiß
mit vielem gutem Willen gemacht, leider ist Cosack aber gar nicht zu einer
derartigen Arbeit befähigt gewesen. Die Art und Weise, wie er mit dem
Lessing'schen Texte umspringt, den er nach seinem Belieben „bearbeitet", wie
es auf dem Titelblatte heißt, — „verarbeitet" sollte es richtiger heißen —
möchte hingehen; sie wird erklärlich dadurch, daß er seine Ausgabe „für
den weiteren Kreis der Gebildeten" berechnet hat. Wenn er in der zweiten
Auflage hinzufügt „und die oberste Stufe höherer Lehranstalten", so müssen
diese höheren Lehranstalten sich dies höflichst verbitten. Es ist schlechterdings
unmöglich, eine Laokoonausgabe für Primaner eines Gymnasiums und zu¬
gleich für junge Mädchen einzurichten; die letzteren aber scheint Cosack mit
Vorliebe berücksichtigt zu haben. Er beseitigt Stellen, an denen höchstens ein
Backfisch Anstoß nehmen kann, jedes Citat aus einer fremden Sprache über¬
setzt er oder läßt es weg, er modernisirt, leider ohne jede Conseguenz, die
Lessing'sche Sprache; außerdem aber ist der Text reich an allerhand Nach¬
lässigkeiten, die hoffentlich nicht mit unter die Kategorie der „Bearbeitung"
gehören. Noch schlimmer ergeht es den Lessing'schen Anmerkungen. Bald
theilt sie Cosack wörtlich mit, bald läßt er sie ganz weg; bald giebt er einen
Theil wörtlich, den andern Theil im Auszuge, bald giebt er sie ganz im Aus¬
zuge, bald erweitert er sie. Und nun vollends der Commentar! Cosack hat
offenbar gar keine Vorstellung von der Aufgabe, die ein Commentar zum
„Laokoon" zu erfüllen hat. Hätte er eine Ahnung davon gehabt, so würde
er vielleicht gar nicht gewagt haben, eine solche Arbeit zu unternehmen.
Daß ein sachlicher Commentar zum „Laokoon" heutzutage vor allen Dingen
Kritik zu üben hat, wie kann diese Einsicht einem Manne aufgehen, t>er
augenscheinlich weder Philolog noch Archäolog, weder Kunsthistoriker noch



") Lessing's Laokoon. Für den weiteren Kreis der Gebildeten bearbeitet und erläutert von
Dr. W. Cosack, Oberlehrer an der Realschule zu Se. Petri in Danzig. Berlin, 186». Hände
und Spener. 2. Auflage ehb. 187S.
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[0417] feste Ueberzeugung — erstens der oder jener Professor der Archäologie, um zu sehen, was sein College in Königsberg neuerdings für Allotria treibt, möglicherweise auch der eine oder der andere Student, vor allen Dingen aber werden es kaufen die Lehrer der deutschen Sprache an unseren Gelehrten¬ schulen. In ihnen wird der Herausgeber sein zahlreichstes und dankbarstes Publikum haben. Denn auf was für unzulängliche Hilfsmittel waren diese bei ihrer Interpretation des „Laokoon" bisher angewiesen, wenn sie nicht selber zu¬ fällig von der Universität aus Archäologen waren! Es gab bisher drei Aus¬ gaben des „Laokoon" mit erläuternden Anmerkungen: von Cosack, von Buschmann und von Gosche. Die erstgenannte Ausgabe*) ist gewiß mit vielem gutem Willen gemacht, leider ist Cosack aber gar nicht zu einer derartigen Arbeit befähigt gewesen. Die Art und Weise, wie er mit dem Lessing'schen Texte umspringt, den er nach seinem Belieben „bearbeitet", wie es auf dem Titelblatte heißt, — „verarbeitet" sollte es richtiger heißen — möchte hingehen; sie wird erklärlich dadurch, daß er seine Ausgabe „für den weiteren Kreis der Gebildeten" berechnet hat. Wenn er in der zweiten Auflage hinzufügt „und die oberste Stufe höherer Lehranstalten", so müssen diese höheren Lehranstalten sich dies höflichst verbitten. Es ist schlechterdings unmöglich, eine Laokoonausgabe für Primaner eines Gymnasiums und zu¬ gleich für junge Mädchen einzurichten; die letzteren aber scheint Cosack mit Vorliebe berücksichtigt zu haben. Er beseitigt Stellen, an denen höchstens ein Backfisch Anstoß nehmen kann, jedes Citat aus einer fremden Sprache über¬ setzt er oder läßt es weg, er modernisirt, leider ohne jede Conseguenz, die Lessing'sche Sprache; außerdem aber ist der Text reich an allerhand Nach¬ lässigkeiten, die hoffentlich nicht mit unter die Kategorie der „Bearbeitung" gehören. Noch schlimmer ergeht es den Lessing'schen Anmerkungen. Bald theilt sie Cosack wörtlich mit, bald läßt er sie ganz weg; bald giebt er einen Theil wörtlich, den andern Theil im Auszuge, bald giebt er sie ganz im Aus¬ zuge, bald erweitert er sie. Und nun vollends der Commentar! Cosack hat offenbar gar keine Vorstellung von der Aufgabe, die ein Commentar zum „Laokoon" zu erfüllen hat. Hätte er eine Ahnung davon gehabt, so würde er vielleicht gar nicht gewagt haben, eine solche Arbeit zu unternehmen. Daß ein sachlicher Commentar zum „Laokoon" heutzutage vor allen Dingen Kritik zu üben hat, wie kann diese Einsicht einem Manne aufgehen, t>er augenscheinlich weder Philolog noch Archäolog, weder Kunsthistoriker noch ") Lessing's Laokoon. Für den weiteren Kreis der Gebildeten bearbeitet und erläutert von Dr. W. Cosack, Oberlehrer an der Realschule zu Se. Petri in Danzig. Berlin, 186». Hände und Spener. 2. Auflage ehb. 187S. Grenzboten III, 1876. 52

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/417>, abgerufen am 27.09.2024.