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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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gefunden hat. Es wird hier nachgewiesen, daß der Name Jao, wo er vor¬
kommt, auf das Tetragamm zurückzuführen ist, daß dieses, soweit gegen¬
wärtig unsre Kenntniß reicht, ausschließliches Eigenthum des israelitischen
Volkes ist, und daß auch ein Gottesname Jahwe im heidnischen Semiten-
thum sich nicht nachweisen läßt. Möglich ist indeß, daß der Name Jahwe, den
der Verfasser nicht mit "der Seiende", sondern mit "der Leben Gebende" über¬
setzt, noch einmal durch neue assyrische oder andere Funde als Gemeingut der
Jsraeliten mit den heidnischen Semiten nachgewiesen wird; denn es ist nicht
sehr wahrscheinlich, daß Mose oder wer sonst unter den Jsraeliten diesen
Namen erst erfunden haben sollte.

In der vierten Abhandlung beschäftigt sich der Verfasser mit der Sym¬
bolik der Schlange im Semitismus, besonders im Alten Testamente. In den
Mythologien aller Völker nimmt die Schlange eine hervorragende Stellung
ein. Bald erscheint sie als ein dem Menschen freundliches, bald als ein ihm
feindliches Wesen, bald wird sie guten und wohlthätigen, bald bösen Göttern
und Mächten der Geisterwelt als Begleiterin beigesellt. Auch im Alten
Testament finden wir sie in verschiedener Weise aufgefaßt: ihr Bild wurde
von Mose als Heilung bringend aufgerichtet, und zu Jerusalem wurde noch
in der späteren Königszeit einer ehernen Schlange Verehrung erwiesen; andrer¬
seits erscheint in der Erzählung vom Paradiese die Schlange als Urheberin
der Sünde und alles Uebels in der Welt. Man hat das Letztere als Ent¬
lehnung aus dem Parstsmus angesehen. Der Verfasser hält dieß für irr¬
thümlich und macht den Versuch, zu zeigen, ob sich nicht etwa die verschiedenen
alttestamentlichen Aussagen von der Schlange auf eine den Jsraeliten mit
den übrigen Semiten gemeinsame Anschauung von derselben zurückführen
lassen. Er findet, daß nach jenen Aussagen die Schlange als ein mit Klug¬
heit begabtes Thier betrachtet wurde; denn sie ist ein magisches Thier, und
ihr Bild gilt eben deshalb für heilkräftig. Schon hieraus läßt sich die Er¬
zählung von der Paradiesesschlange erklären. Dieselbe erscheint hier nicht als
Verkörperung einer übermenschlichen Macht, und daß der Satan aus ihr
redet, ist erst von späteren Auslegern in die Erzählung hineinphantastrt
worden. Dadurch, daß sie spricht, ist sie nicht der Thiersphäre entnommen,
auch Bileam's Eselin redet bekanntlich. Endlich wird ihr mit keinem Worte
Bosheit zugeschrieben. Es soll nur gezeigt werden, wie in den von Gott
guterschaffenen Menschen durch ein anderes Wesen die Sünde entstand, und
hierzu schien die Schlange besonders geeignet, da sie einerseits Grauen erweckte,
andrerseits bei den Semiten als klug vor allen andern Thieren betrachtet
wurde. 'Daß sie als kluges Thier die Rolle der Verführerin erlangt hat.
zeigt auch ihre Zusammenstellung mit dem Baume der Erkenntniß. Der
Baum hat diese Bedeutung deshalb, weil im Alterthume überhaupt das Wahr-


gefunden hat. Es wird hier nachgewiesen, daß der Name Jao, wo er vor¬
kommt, auf das Tetragamm zurückzuführen ist, daß dieses, soweit gegen¬
wärtig unsre Kenntniß reicht, ausschließliches Eigenthum des israelitischen
Volkes ist, und daß auch ein Gottesname Jahwe im heidnischen Semiten-
thum sich nicht nachweisen läßt. Möglich ist indeß, daß der Name Jahwe, den
der Verfasser nicht mit „der Seiende", sondern mit „der Leben Gebende" über¬
setzt, noch einmal durch neue assyrische oder andere Funde als Gemeingut der
Jsraeliten mit den heidnischen Semiten nachgewiesen wird; denn es ist nicht
sehr wahrscheinlich, daß Mose oder wer sonst unter den Jsraeliten diesen
Namen erst erfunden haben sollte.

In der vierten Abhandlung beschäftigt sich der Verfasser mit der Sym¬
bolik der Schlange im Semitismus, besonders im Alten Testamente. In den
Mythologien aller Völker nimmt die Schlange eine hervorragende Stellung
ein. Bald erscheint sie als ein dem Menschen freundliches, bald als ein ihm
feindliches Wesen, bald wird sie guten und wohlthätigen, bald bösen Göttern
und Mächten der Geisterwelt als Begleiterin beigesellt. Auch im Alten
Testament finden wir sie in verschiedener Weise aufgefaßt: ihr Bild wurde
von Mose als Heilung bringend aufgerichtet, und zu Jerusalem wurde noch
in der späteren Königszeit einer ehernen Schlange Verehrung erwiesen; andrer¬
seits erscheint in der Erzählung vom Paradiese die Schlange als Urheberin
der Sünde und alles Uebels in der Welt. Man hat das Letztere als Ent¬
lehnung aus dem Parstsmus angesehen. Der Verfasser hält dieß für irr¬
thümlich und macht den Versuch, zu zeigen, ob sich nicht etwa die verschiedenen
alttestamentlichen Aussagen von der Schlange auf eine den Jsraeliten mit
den übrigen Semiten gemeinsame Anschauung von derselben zurückführen
lassen. Er findet, daß nach jenen Aussagen die Schlange als ein mit Klug¬
heit begabtes Thier betrachtet wurde; denn sie ist ein magisches Thier, und
ihr Bild gilt eben deshalb für heilkräftig. Schon hieraus läßt sich die Er¬
zählung von der Paradiesesschlange erklären. Dieselbe erscheint hier nicht als
Verkörperung einer übermenschlichen Macht, und daß der Satan aus ihr
redet, ist erst von späteren Auslegern in die Erzählung hineinphantastrt
worden. Dadurch, daß sie spricht, ist sie nicht der Thiersphäre entnommen,
auch Bileam's Eselin redet bekanntlich. Endlich wird ihr mit keinem Worte
Bosheit zugeschrieben. Es soll nur gezeigt werden, wie in den von Gott
guterschaffenen Menschen durch ein anderes Wesen die Sünde entstand, und
hierzu schien die Schlange besonders geeignet, da sie einerseits Grauen erweckte,
andrerseits bei den Semiten als klug vor allen andern Thieren betrachtet
wurde. 'Daß sie als kluges Thier die Rolle der Verführerin erlangt hat.
zeigt auch ihre Zusammenstellung mit dem Baume der Erkenntniß. Der
Baum hat diese Bedeutung deshalb, weil im Alterthume überhaupt das Wahr-


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[0405] gefunden hat. Es wird hier nachgewiesen, daß der Name Jao, wo er vor¬ kommt, auf das Tetragamm zurückzuführen ist, daß dieses, soweit gegen¬ wärtig unsre Kenntniß reicht, ausschließliches Eigenthum des israelitischen Volkes ist, und daß auch ein Gottesname Jahwe im heidnischen Semiten- thum sich nicht nachweisen läßt. Möglich ist indeß, daß der Name Jahwe, den der Verfasser nicht mit „der Seiende", sondern mit „der Leben Gebende" über¬ setzt, noch einmal durch neue assyrische oder andere Funde als Gemeingut der Jsraeliten mit den heidnischen Semiten nachgewiesen wird; denn es ist nicht sehr wahrscheinlich, daß Mose oder wer sonst unter den Jsraeliten diesen Namen erst erfunden haben sollte. In der vierten Abhandlung beschäftigt sich der Verfasser mit der Sym¬ bolik der Schlange im Semitismus, besonders im Alten Testamente. In den Mythologien aller Völker nimmt die Schlange eine hervorragende Stellung ein. Bald erscheint sie als ein dem Menschen freundliches, bald als ein ihm feindliches Wesen, bald wird sie guten und wohlthätigen, bald bösen Göttern und Mächten der Geisterwelt als Begleiterin beigesellt. Auch im Alten Testament finden wir sie in verschiedener Weise aufgefaßt: ihr Bild wurde von Mose als Heilung bringend aufgerichtet, und zu Jerusalem wurde noch in der späteren Königszeit einer ehernen Schlange Verehrung erwiesen; andrer¬ seits erscheint in der Erzählung vom Paradiese die Schlange als Urheberin der Sünde und alles Uebels in der Welt. Man hat das Letztere als Ent¬ lehnung aus dem Parstsmus angesehen. Der Verfasser hält dieß für irr¬ thümlich und macht den Versuch, zu zeigen, ob sich nicht etwa die verschiedenen alttestamentlichen Aussagen von der Schlange auf eine den Jsraeliten mit den übrigen Semiten gemeinsame Anschauung von derselben zurückführen lassen. Er findet, daß nach jenen Aussagen die Schlange als ein mit Klug¬ heit begabtes Thier betrachtet wurde; denn sie ist ein magisches Thier, und ihr Bild gilt eben deshalb für heilkräftig. Schon hieraus läßt sich die Er¬ zählung von der Paradiesesschlange erklären. Dieselbe erscheint hier nicht als Verkörperung einer übermenschlichen Macht, und daß der Satan aus ihr redet, ist erst von späteren Auslegern in die Erzählung hineinphantastrt worden. Dadurch, daß sie spricht, ist sie nicht der Thiersphäre entnommen, auch Bileam's Eselin redet bekanntlich. Endlich wird ihr mit keinem Worte Bosheit zugeschrieben. Es soll nur gezeigt werden, wie in den von Gott guterschaffenen Menschen durch ein anderes Wesen die Sünde entstand, und hierzu schien die Schlange besonders geeignet, da sie einerseits Grauen erweckte, andrerseits bei den Semiten als klug vor allen andern Thieren betrachtet wurde. 'Daß sie als kluges Thier die Rolle der Verführerin erlangt hat. zeigt auch ihre Zusammenstellung mit dem Baume der Erkenntniß. Der Baum hat diese Bedeutung deshalb, weil im Alterthume überhaupt das Wahr-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/405>, abgerufen am 20.10.2024.