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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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und Grupptrungen von dieser Verstandsthätigkeit begleiten und controliren
lassen, und das ist bisher vielfach versäumt worden. Die Phantasie lief mit
den Unvorsichtigen davon, sie verliebten sich in ihre Hypothesen, sie entwickelten
aus ihnen und häufig genug nur aus ihnen wettere Hypothesen und geriethen
zuletzt ins Halt- und Bodenlose. Mit großer Freude begrüßen wir daher
jede Hand, die hier aufräumt und die Todtgeborenen zu den Todten wirft,
und eine solche Hand haben wir im obengenannten Buche vor uns. Der
Verfasser zeigt sich in diesen Abhandlungen durchweg als der nüchterne, vor¬
sichtige Forscher, und abgesehen von einigen wenigen Stellen, z. B. in Ur. 4
der Aufsätze, wo er uns etwas zu viel auf die bisherigen Ergebnisse der
Assyriologen zu geben scheint, denen er sonst mit Behutsamkeit gegenübersteht,
sind die Resultate zu denen er gelangt, in allem Wesentlichen wohl unwider¬
legbar und damit ein wirklicher Gewinn für die Wissenschaft. Wir sind in
d. B. außer Stande, der Beweisführung des Verfassers zu folgen, wollen
aber wenigstens die letzten Schlußfolgerungen mittheilen, zu denen dieselbe sich
bei den behandelten fünf Gegenständen zuspitzt.

Der erste Aufsatz handelt von dem Werthe der phönizischen Geschichte
Sanchuniathons für die semitische Mythologie und kommt zu folgendem Er¬
gebniß. Die Phoinikika sind das Werk eines Phöniziers aus der Seleuciden-
zeit, der die alten Göttergeschichten seines Volkes und den Namen des San-
chuniathon nur benutzte, um seinem euhemeristischen Urtheile Ausdruck und
Ansehen zu geben. Trotzdem haben diese von Philo zusammengestellten Frag¬
mente hohen Werth. Wenn wir die htstorisirende Auslegung bei Seite lassen,
und von allen Namen absehen, für welche sich ein phönizisches Analogon
nicht nachweisen läßt, so dürfen wir den allerdings sehr geringen Rest als
echt phönizisch betrachten. Die Namen der Götter, die Philo als phönizisch
giebt, sind unzweifelhaft echt, was er von ihnen erzählt, ist Historisirende
Deutung alter Mythen, bildlicher Dastellungen oder ritueller Handlungen.
Bemerkenswerth ist ferner die Ordnung der Götter in Triaden, die wir auch
bei den Assyrern und Babyloniern finden, bei denen die Triaden aber nur
aus männlichen Göttern bestehen, während Sanchuniathon wenigstens einmal
eine weibliche Gottheit unter den Dreien (Astarte) erwähnt. Ferner erhalten
wir auch über die letzte Bedeutung der phönizischen Gottheiten Aufschluß,
wenn er neben selner sonst histortsirenden Erklärung derselben an einer Stelle
sagt, daß "Sonne. Mond und Planeten, die Elemente und was sonst damit
verwandt." von den Phöniziern für Götter gehalten worden seien. So weit
wir die phönizische Religion verfolgen können, beruht sie in der That aus
Vergötterung der Naturkräfte. Endlich können wir auch für die Erklärung
des Alten Testaments wenigstens einen Gewinn aus Sachuniathon ziehen.
In wie späte Zeit wir auch die Formung seiner beiden Kosmogonien ver-


und Grupptrungen von dieser Verstandsthätigkeit begleiten und controliren
lassen, und das ist bisher vielfach versäumt worden. Die Phantasie lief mit
den Unvorsichtigen davon, sie verliebten sich in ihre Hypothesen, sie entwickelten
aus ihnen und häufig genug nur aus ihnen wettere Hypothesen und geriethen
zuletzt ins Halt- und Bodenlose. Mit großer Freude begrüßen wir daher
jede Hand, die hier aufräumt und die Todtgeborenen zu den Todten wirft,
und eine solche Hand haben wir im obengenannten Buche vor uns. Der
Verfasser zeigt sich in diesen Abhandlungen durchweg als der nüchterne, vor¬
sichtige Forscher, und abgesehen von einigen wenigen Stellen, z. B. in Ur. 4
der Aufsätze, wo er uns etwas zu viel auf die bisherigen Ergebnisse der
Assyriologen zu geben scheint, denen er sonst mit Behutsamkeit gegenübersteht,
sind die Resultate zu denen er gelangt, in allem Wesentlichen wohl unwider¬
legbar und damit ein wirklicher Gewinn für die Wissenschaft. Wir sind in
d. B. außer Stande, der Beweisführung des Verfassers zu folgen, wollen
aber wenigstens die letzten Schlußfolgerungen mittheilen, zu denen dieselbe sich
bei den behandelten fünf Gegenständen zuspitzt.

Der erste Aufsatz handelt von dem Werthe der phönizischen Geschichte
Sanchuniathons für die semitische Mythologie und kommt zu folgendem Er¬
gebniß. Die Phoinikika sind das Werk eines Phöniziers aus der Seleuciden-
zeit, der die alten Göttergeschichten seines Volkes und den Namen des San-
chuniathon nur benutzte, um seinem euhemeristischen Urtheile Ausdruck und
Ansehen zu geben. Trotzdem haben diese von Philo zusammengestellten Frag¬
mente hohen Werth. Wenn wir die htstorisirende Auslegung bei Seite lassen,
und von allen Namen absehen, für welche sich ein phönizisches Analogon
nicht nachweisen läßt, so dürfen wir den allerdings sehr geringen Rest als
echt phönizisch betrachten. Die Namen der Götter, die Philo als phönizisch
giebt, sind unzweifelhaft echt, was er von ihnen erzählt, ist Historisirende
Deutung alter Mythen, bildlicher Dastellungen oder ritueller Handlungen.
Bemerkenswerth ist ferner die Ordnung der Götter in Triaden, die wir auch
bei den Assyrern und Babyloniern finden, bei denen die Triaden aber nur
aus männlichen Göttern bestehen, während Sanchuniathon wenigstens einmal
eine weibliche Gottheit unter den Dreien (Astarte) erwähnt. Ferner erhalten
wir auch über die letzte Bedeutung der phönizischen Gottheiten Aufschluß,
wenn er neben selner sonst histortsirenden Erklärung derselben an einer Stelle
sagt, daß „Sonne. Mond und Planeten, die Elemente und was sonst damit
verwandt." von den Phöniziern für Götter gehalten worden seien. So weit
wir die phönizische Religion verfolgen können, beruht sie in der That aus
Vergötterung der Naturkräfte. Endlich können wir auch für die Erklärung
des Alten Testaments wenigstens einen Gewinn aus Sachuniathon ziehen.
In wie späte Zeit wir auch die Formung seiner beiden Kosmogonien ver-


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[0403] und Grupptrungen von dieser Verstandsthätigkeit begleiten und controliren lassen, und das ist bisher vielfach versäumt worden. Die Phantasie lief mit den Unvorsichtigen davon, sie verliebten sich in ihre Hypothesen, sie entwickelten aus ihnen und häufig genug nur aus ihnen wettere Hypothesen und geriethen zuletzt ins Halt- und Bodenlose. Mit großer Freude begrüßen wir daher jede Hand, die hier aufräumt und die Todtgeborenen zu den Todten wirft, und eine solche Hand haben wir im obengenannten Buche vor uns. Der Verfasser zeigt sich in diesen Abhandlungen durchweg als der nüchterne, vor¬ sichtige Forscher, und abgesehen von einigen wenigen Stellen, z. B. in Ur. 4 der Aufsätze, wo er uns etwas zu viel auf die bisherigen Ergebnisse der Assyriologen zu geben scheint, denen er sonst mit Behutsamkeit gegenübersteht, sind die Resultate zu denen er gelangt, in allem Wesentlichen wohl unwider¬ legbar und damit ein wirklicher Gewinn für die Wissenschaft. Wir sind in d. B. außer Stande, der Beweisführung des Verfassers zu folgen, wollen aber wenigstens die letzten Schlußfolgerungen mittheilen, zu denen dieselbe sich bei den behandelten fünf Gegenständen zuspitzt. Der erste Aufsatz handelt von dem Werthe der phönizischen Geschichte Sanchuniathons für die semitische Mythologie und kommt zu folgendem Er¬ gebniß. Die Phoinikika sind das Werk eines Phöniziers aus der Seleuciden- zeit, der die alten Göttergeschichten seines Volkes und den Namen des San- chuniathon nur benutzte, um seinem euhemeristischen Urtheile Ausdruck und Ansehen zu geben. Trotzdem haben diese von Philo zusammengestellten Frag¬ mente hohen Werth. Wenn wir die htstorisirende Auslegung bei Seite lassen, und von allen Namen absehen, für welche sich ein phönizisches Analogon nicht nachweisen läßt, so dürfen wir den allerdings sehr geringen Rest als echt phönizisch betrachten. Die Namen der Götter, die Philo als phönizisch giebt, sind unzweifelhaft echt, was er von ihnen erzählt, ist Historisirende Deutung alter Mythen, bildlicher Dastellungen oder ritueller Handlungen. Bemerkenswerth ist ferner die Ordnung der Götter in Triaden, die wir auch bei den Assyrern und Babyloniern finden, bei denen die Triaden aber nur aus männlichen Göttern bestehen, während Sanchuniathon wenigstens einmal eine weibliche Gottheit unter den Dreien (Astarte) erwähnt. Ferner erhalten wir auch über die letzte Bedeutung der phönizischen Gottheiten Aufschluß, wenn er neben selner sonst histortsirenden Erklärung derselben an einer Stelle sagt, daß „Sonne. Mond und Planeten, die Elemente und was sonst damit verwandt." von den Phöniziern für Götter gehalten worden seien. So weit wir die phönizische Religion verfolgen können, beruht sie in der That aus Vergötterung der Naturkräfte. Endlich können wir auch für die Erklärung des Alten Testaments wenigstens einen Gewinn aus Sachuniathon ziehen. In wie späte Zeit wir auch die Formung seiner beiden Kosmogonien ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/403>, abgerufen am 27.09.2024.