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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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machte, so wird es sich doch bedenken, unter allen Umständen den kranken
Mann halten zu wollen. Eine Wiederholung des Krimkrieges hat keine
Aussicht. Daß man heute wieder auf demselben Punkte angelangt ist, be¬
weist ja zu Genüge, wie wenig der Krimkrieg seinen eigentlichen Zweck er¬
füllte. Es liegt nur im Interesse Englands, daß Rußlands Stellung nicht
übermächtig werde und dadurch den britischen Beziehungen namentlich zu
Indien Abbruch thun könnte. Vielleicht läßt sich der britische Gesichtspunkt
dahin zusammenfassen, daß der Weg durch den Bosporus nicht in russische
Hände falle und daß jener nach Indien unbedroht bleibe. Nebenbei haben
die Briten ein gewisses Interesse, die Söhne des Islam gegen Vergewalti¬
gung zu schützen, weil sie gern damit einen moralischen Eindruck auf ihre eigenen
störrigen muselmännischen Unterthanen in Asten üben würden. Wenn aber
England auch den Türken eine gewisse Unterstützung leiht und vielleicht den
arg bedrängten Cassen derselben beigesprungen ist, so wird es doch vor der
Eventualität eines Krieges zurückschrecken, namentlich solange es nicht der
Allianz mit einer starken continentalen Militärmacht sicher ist.

Viel schwieriger liegen die Dinge für Oesterreich. Die Bestrebungen der
auf türkischem Boden siegenden Slaven können bis zu einem Punkte gelangen,
welcher die Lebensinteressen der Monarchie verletzt. Würde die von der Omladina
geplanteJdee des großserbischen Reiches als die Weiterentwickelung des beiKossovo
gewaltsam unterbrochenen Strebens verwirklicht, dann würde die Anziehungs¬
kraft dieses starken Kernes alsbald zurGeltung gelangen. Man müßte sich abrun¬
den, man müßte den Weg zur See mit zwingender Nothwendigkeit suchen, und beides
könnte nur auf Kosten des Nachbarn geschehen. Ein serbisches Reich kann nicht
Oesterreichs Freund sein, solange es nicht in seinen Wünschen vollkommen befriedigt
ist. Darum aber kann Oesterreich die Bildung eines solchen Reiches nie zugeben.
Andererseits aber vermag es nicht den Bestrebungen der Serben und Monte¬
negriner von vornherein feindlich entgegenzutreten, weil ein Staat mit einer
so zahlreichen slavischen Bevölkerung, wie Oesterreich den Gefühlen und
Sympathien dieser Bevölkerung Rechnung tragen muß. Unter den Magyaren
herrscht ein wahrer Abscheu vor der jüngsten Bewegung; denn sie fühlen recht
gut, wie sehr ihnen auch die österreichischen Slaven abhold sind, und sie
wissen recht wohl, welches Schicksal ihrer wartet, wenn die Slaven einmal die
Oberhand erlangen. Die ganze Existenz des heutigen Ungarn hängt nur
von der Entwickelung des Slaventhums ab. Darum ist man in Pest so
sehr für den Status quo eingenommen und wünscht den Sieg den Türken.
Aber auch diesseits der Leitha erfüllt die südslavische Bewegung nicht mit
Freude. Schon einmal hatten wir in diesen Blättern Gelegenheit darauf
hinzuweisen, daß eine starke südslavische Strömung, welche sich aus den Er¬
eignissen an der Südgrenze entwickeln könnte, wie ein Keil den Dualis-


machte, so wird es sich doch bedenken, unter allen Umständen den kranken
Mann halten zu wollen. Eine Wiederholung des Krimkrieges hat keine
Aussicht. Daß man heute wieder auf demselben Punkte angelangt ist, be¬
weist ja zu Genüge, wie wenig der Krimkrieg seinen eigentlichen Zweck er¬
füllte. Es liegt nur im Interesse Englands, daß Rußlands Stellung nicht
übermächtig werde und dadurch den britischen Beziehungen namentlich zu
Indien Abbruch thun könnte. Vielleicht läßt sich der britische Gesichtspunkt
dahin zusammenfassen, daß der Weg durch den Bosporus nicht in russische
Hände falle und daß jener nach Indien unbedroht bleibe. Nebenbei haben
die Briten ein gewisses Interesse, die Söhne des Islam gegen Vergewalti¬
gung zu schützen, weil sie gern damit einen moralischen Eindruck auf ihre eigenen
störrigen muselmännischen Unterthanen in Asten üben würden. Wenn aber
England auch den Türken eine gewisse Unterstützung leiht und vielleicht den
arg bedrängten Cassen derselben beigesprungen ist, so wird es doch vor der
Eventualität eines Krieges zurückschrecken, namentlich solange es nicht der
Allianz mit einer starken continentalen Militärmacht sicher ist.

Viel schwieriger liegen die Dinge für Oesterreich. Die Bestrebungen der
auf türkischem Boden siegenden Slaven können bis zu einem Punkte gelangen,
welcher die Lebensinteressen der Monarchie verletzt. Würde die von der Omladina
geplanteJdee des großserbischen Reiches als die Weiterentwickelung des beiKossovo
gewaltsam unterbrochenen Strebens verwirklicht, dann würde die Anziehungs¬
kraft dieses starken Kernes alsbald zurGeltung gelangen. Man müßte sich abrun¬
den, man müßte den Weg zur See mit zwingender Nothwendigkeit suchen, und beides
könnte nur auf Kosten des Nachbarn geschehen. Ein serbisches Reich kann nicht
Oesterreichs Freund sein, solange es nicht in seinen Wünschen vollkommen befriedigt
ist. Darum aber kann Oesterreich die Bildung eines solchen Reiches nie zugeben.
Andererseits aber vermag es nicht den Bestrebungen der Serben und Monte¬
negriner von vornherein feindlich entgegenzutreten, weil ein Staat mit einer
so zahlreichen slavischen Bevölkerung, wie Oesterreich den Gefühlen und
Sympathien dieser Bevölkerung Rechnung tragen muß. Unter den Magyaren
herrscht ein wahrer Abscheu vor der jüngsten Bewegung; denn sie fühlen recht
gut, wie sehr ihnen auch die österreichischen Slaven abhold sind, und sie
wissen recht wohl, welches Schicksal ihrer wartet, wenn die Slaven einmal die
Oberhand erlangen. Die ganze Existenz des heutigen Ungarn hängt nur
von der Entwickelung des Slaventhums ab. Darum ist man in Pest so
sehr für den Status quo eingenommen und wünscht den Sieg den Türken.
Aber auch diesseits der Leitha erfüllt die südslavische Bewegung nicht mit
Freude. Schon einmal hatten wir in diesen Blättern Gelegenheit darauf
hinzuweisen, daß eine starke südslavische Strömung, welche sich aus den Er¬
eignissen an der Südgrenze entwickeln könnte, wie ein Keil den Dualis-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/381>, abgerufen am 20.10.2024.