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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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gewonnen ist. daß diese vielmehr nur als Wegweiser für die künftige Gesetz¬
gebung zu betrachten sind, darüber scheint man sich auch schon in der Frank¬
furter Nationalversammlung keinen Illusionen hingegeben zu haben; denn
im Art, I. ist ferner gesagt: "Die Bedingungen für den Aufenthalt und
Wohnsitz werden durch ein Heimathsgesetz, jene für den Gewerbebetrieb durch
eine Gewerbe-Ordnung für ganz Deutschland von der Reichsgewalt festgesetzt." --

Die Gesetzgebung des norddeutschen Bundes und des neuen deutschen
Reichs ist darauf bedacht gewesen, für die Aus- und Durchführung jenes
aufgestellten Princips Sorge zu tragen. Dahin gehört in erster Linie das
Bundes- (Reichs-)Gesetz über die Freizügigkeit vom 1. November 1867, welches
den Reichsangehörigen die Gleichstellung innerhalb der einzelnen Bundesstaaten
sichert und die Regel aufstellt, daß jeder Reichsangehörige ohne Rücksicht auf
die bisherige Territorialgesetzgebung, die vielfach in der engherzigsten Wise
dem eigenen Staatsangehörigen die Aufenthalts- und Niederlassungs-Freiheit
verkümmerte, an jedem Ort innerhalb des Reichsgebiets sich aufhalten oder
niederlassen dürfe, wo er eine eigene Wohnung oder ein Unterkommen sich
zu verschaffen im Stande sei. Gewisse Einschränkungen des Rechtes der Frei¬
zügigkeit haben sich nachmals allerdings durch die Opposition der römisch¬
katholischen Kirche gegen die Staatsgewalt nöthig gemacht und sind durch
Gesetz vom 4. Juli 1872, betr. den Orden der Gesellschaft Jesu, durch Be¬
kanntmachung des Reichskanzlers vom 20. Mai 1873, betreffend die Aus¬
führung dieses Gesetzes, und durch Gesetz vom 4. Mai 1874, betreffend die
Verhinderung der unbefugten Ausübung von Kirchenämtern, verfügt worden.
-- Auch das Bundesgesetz über das Paßwesen vom 12. October 1867,
welches nunmehr auch auf die süddeutschen Staaten ausgedehnt, und durch
welches der Paßzwang beseitigt worden ist. gehört hierher. -- Um aber den
Grundsatz der Freizügigkeit vollständig zu verwirklichen, galt es Wetter die
staatspolizeiltchen Hindernisse der Eheschließung in den einzelnen deutschen
Staaten zu beseitigen, und dies ist durch Gesetz vom 4. Mai 1868 geschehen.
Allerdings hat dies Gesetz für Bayern keine Geltung erlangt, allein, nachdem
durch das für das ganze deutsche Reich ergangene Gesetz vom 6. Februar
1876 über die Beurkundung des Personenstands und die Eheschließung die
Ehehindernisse überhaupt festgestellt worden sind, ist auch in dieser Hinsicht
die Rechtseinheit hergestellt. -- Wir haben hier ferner des (Reichs-)Gesetzes
über die Beseitigung der Doppelbesteuerung vom 13. Mai 1870 zu gedenken,
durch welches namentlich der Mißstand beseitigt worden ist, daß Personen,
welche kraft des Rechts der Freizügigkeit in einem anderen Staate, als in
demjenigen, zu welchem sie im Verhältniß der Staatsangehörigkeit standen,
ihren Wohnsitz oder Aufenthalt genommen hatten, in beiden Staaten zu den
directen Steuern herangezogen wurden. Weiter ist aber das Recht der Staats-


gewonnen ist. daß diese vielmehr nur als Wegweiser für die künftige Gesetz¬
gebung zu betrachten sind, darüber scheint man sich auch schon in der Frank¬
furter Nationalversammlung keinen Illusionen hingegeben zu haben; denn
im Art, I. ist ferner gesagt: „Die Bedingungen für den Aufenthalt und
Wohnsitz werden durch ein Heimathsgesetz, jene für den Gewerbebetrieb durch
eine Gewerbe-Ordnung für ganz Deutschland von der Reichsgewalt festgesetzt." —

Die Gesetzgebung des norddeutschen Bundes und des neuen deutschen
Reichs ist darauf bedacht gewesen, für die Aus- und Durchführung jenes
aufgestellten Princips Sorge zu tragen. Dahin gehört in erster Linie das
Bundes- (Reichs-)Gesetz über die Freizügigkeit vom 1. November 1867, welches
den Reichsangehörigen die Gleichstellung innerhalb der einzelnen Bundesstaaten
sichert und die Regel aufstellt, daß jeder Reichsangehörige ohne Rücksicht auf
die bisherige Territorialgesetzgebung, die vielfach in der engherzigsten Wise
dem eigenen Staatsangehörigen die Aufenthalts- und Niederlassungs-Freiheit
verkümmerte, an jedem Ort innerhalb des Reichsgebiets sich aufhalten oder
niederlassen dürfe, wo er eine eigene Wohnung oder ein Unterkommen sich
zu verschaffen im Stande sei. Gewisse Einschränkungen des Rechtes der Frei¬
zügigkeit haben sich nachmals allerdings durch die Opposition der römisch¬
katholischen Kirche gegen die Staatsgewalt nöthig gemacht und sind durch
Gesetz vom 4. Juli 1872, betr. den Orden der Gesellschaft Jesu, durch Be¬
kanntmachung des Reichskanzlers vom 20. Mai 1873, betreffend die Aus¬
führung dieses Gesetzes, und durch Gesetz vom 4. Mai 1874, betreffend die
Verhinderung der unbefugten Ausübung von Kirchenämtern, verfügt worden.
— Auch das Bundesgesetz über das Paßwesen vom 12. October 1867,
welches nunmehr auch auf die süddeutschen Staaten ausgedehnt, und durch
welches der Paßzwang beseitigt worden ist. gehört hierher. — Um aber den
Grundsatz der Freizügigkeit vollständig zu verwirklichen, galt es Wetter die
staatspolizeiltchen Hindernisse der Eheschließung in den einzelnen deutschen
Staaten zu beseitigen, und dies ist durch Gesetz vom 4. Mai 1868 geschehen.
Allerdings hat dies Gesetz für Bayern keine Geltung erlangt, allein, nachdem
durch das für das ganze deutsche Reich ergangene Gesetz vom 6. Februar
1876 über die Beurkundung des Personenstands und die Eheschließung die
Ehehindernisse überhaupt festgestellt worden sind, ist auch in dieser Hinsicht
die Rechtseinheit hergestellt. — Wir haben hier ferner des (Reichs-)Gesetzes
über die Beseitigung der Doppelbesteuerung vom 13. Mai 1870 zu gedenken,
durch welches namentlich der Mißstand beseitigt worden ist, daß Personen,
welche kraft des Rechts der Freizügigkeit in einem anderen Staate, als in
demjenigen, zu welchem sie im Verhältniß der Staatsangehörigkeit standen,
ihren Wohnsitz oder Aufenthalt genommen hatten, in beiden Staaten zu den
directen Steuern herangezogen wurden. Weiter ist aber das Recht der Staats-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/373>, abgerufen am 27.09.2024.