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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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malen Ziel und die dadurch bewirkte Steigerung der Spannkraft des Volks
können naturgemäß nicht von allzulanger Dauer sein. Es tritr mit der Zeit
das Bedürfniß nach Ruhe ein. Als daher nach langem Harren am 27.
December 1848 dem deutschen Volk als Neujahrsgabe die verheißenen
Grundrechte dargebracht wurden, welche nachmals einen integrirenden Be¬
standtheil der Reichsverfassung vom 28. März 1849 bildeten,*) und als
dann endlich diese selbst publicirt ward, da war bereits vielfach an die
Stelle patriotischer Begeisterung -- Entnüchterung, an die Stelle nationaler
Erhebung -- Ermüdung und Gleichgültigkeit getreten, mit welcher man die
nun folgende Reaction in stumpfer Resignation über sich ergehen ließ.

Noch versuchte es Preußen, eine Reform des deutschen Staatenbundes
herbeizuführen, und der in Berlin ausgearbeitete Entwurf der Verfassung einer
deutschen Union vom 26. Mai 1849 enthielt wiederum jene Grundrechte des
deutschen Volks, welche man in der Paulskirche aufgestellt hatte, wenn auch
mit verschiedenen Modifikationen. Ebenso wurde auf den nun folgenden
Dresdener Ministerialeonferenzen eine weitere Bearbeitung dieser Grundrechte
vorgenommen. Als aber jene Reformbestrebungen kläglicher Weise-scheiterten,
da fielen mit der Restauration des alten Bundes auch die deutschen Grund¬
rechte. Ein Beschluß des reactivirten Bundestages vom 23. August 1831
setzte die Grundrechte, deren Publication inzwischen in mehreren deutschen
Staaten erfolgt war, ausdrücklich wieder außer Kraft.

Vielleicht war es aber gerade diese gewaltsame Unterdrückung der Grund¬
rechte durch den Bundestag, welchen man wohl den Polizeimeister des deutschen
Volks genannt hat, die ihnen eine gewisse Popularität verschaffte und den
Wunsch nach Wiederherstellung derselben in dem Volk rege erhielt. Zwar
fingen nicht wenige Satzungen der Grundrechte, in die Einzetverfassungen der
deutschen Staaten und namentlich in die preußische Staatsverfassung vom 31.
Januar 1820 über; zudem waren in den Grundrechten manche Bestimmungen
enthalten, welche sich eigentlich nicht als wirkliche-Rechtssätze. sondern vielmehr
aZH .Verheißungen künftiger rechtlicher Institutionen > darstellten;, auch
hatte man mancherlei Normen in dieselben mit aufgenommen, die >-nicht sowohl
rechtlicher als vielmehr socialer Natur waren, .-und manche Bestimmungen
waren überdies so allgemein gehalten, daß ihr realer Werth nur ein sehr
zweifelhafter sein konnte. Nichtsdestoweniger aber kam die deutsche Fort¬
schrittspartei immer wieder auf die Wiederherstellung der Grundrechte zurück;
und als. nach den großen Ereignissen des Jahres 1866 der constituirende
,Reichstag des norddeutschen Bundes 1867 in Berlin zusammengetreten war,
wurde bei Gelegenheit der Discussion des Art. 3 der Bundesverfassung,



') Abschnitt VI. §z. 13". 158. 161. 183 der Reichsverfassung vom 28. März 184!".

malen Ziel und die dadurch bewirkte Steigerung der Spannkraft des Volks
können naturgemäß nicht von allzulanger Dauer sein. Es tritr mit der Zeit
das Bedürfniß nach Ruhe ein. Als daher nach langem Harren am 27.
December 1848 dem deutschen Volk als Neujahrsgabe die verheißenen
Grundrechte dargebracht wurden, welche nachmals einen integrirenden Be¬
standtheil der Reichsverfassung vom 28. März 1849 bildeten,*) und als
dann endlich diese selbst publicirt ward, da war bereits vielfach an die
Stelle patriotischer Begeisterung — Entnüchterung, an die Stelle nationaler
Erhebung — Ermüdung und Gleichgültigkeit getreten, mit welcher man die
nun folgende Reaction in stumpfer Resignation über sich ergehen ließ.

Noch versuchte es Preußen, eine Reform des deutschen Staatenbundes
herbeizuführen, und der in Berlin ausgearbeitete Entwurf der Verfassung einer
deutschen Union vom 26. Mai 1849 enthielt wiederum jene Grundrechte des
deutschen Volks, welche man in der Paulskirche aufgestellt hatte, wenn auch
mit verschiedenen Modifikationen. Ebenso wurde auf den nun folgenden
Dresdener Ministerialeonferenzen eine weitere Bearbeitung dieser Grundrechte
vorgenommen. Als aber jene Reformbestrebungen kläglicher Weise-scheiterten,
da fielen mit der Restauration des alten Bundes auch die deutschen Grund¬
rechte. Ein Beschluß des reactivirten Bundestages vom 23. August 1831
setzte die Grundrechte, deren Publication inzwischen in mehreren deutschen
Staaten erfolgt war, ausdrücklich wieder außer Kraft.

Vielleicht war es aber gerade diese gewaltsame Unterdrückung der Grund¬
rechte durch den Bundestag, welchen man wohl den Polizeimeister des deutschen
Volks genannt hat, die ihnen eine gewisse Popularität verschaffte und den
Wunsch nach Wiederherstellung derselben in dem Volk rege erhielt. Zwar
fingen nicht wenige Satzungen der Grundrechte, in die Einzetverfassungen der
deutschen Staaten und namentlich in die preußische Staatsverfassung vom 31.
Januar 1820 über; zudem waren in den Grundrechten manche Bestimmungen
enthalten, welche sich eigentlich nicht als wirkliche-Rechtssätze. sondern vielmehr
aZH .Verheißungen künftiger rechtlicher Institutionen > darstellten;, auch
hatte man mancherlei Normen in dieselben mit aufgenommen, die >-nicht sowohl
rechtlicher als vielmehr socialer Natur waren, .-und manche Bestimmungen
waren überdies so allgemein gehalten, daß ihr realer Werth nur ein sehr
zweifelhafter sein konnte. Nichtsdestoweniger aber kam die deutsche Fort¬
schrittspartei immer wieder auf die Wiederherstellung der Grundrechte zurück;
und als. nach den großen Ereignissen des Jahres 1866 der constituirende
,Reichstag des norddeutschen Bundes 1867 in Berlin zusammengetreten war,
wurde bei Gelegenheit der Discussion des Art. 3 der Bundesverfassung,



') Abschnitt VI. §z. 13». 158. 161. 183 der Reichsverfassung vom 28. März 184!».
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/370>, abgerufen am 20.10.2024.