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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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eine mächtige Agitation geltend. Ueber ein Dutzend Candidatenlisten hatte
man drucken und vertheilen lassen. Die Liberalen erlangten schließlich eine
Stimme Majorität in dem bislang durchschnittlich schwarz gefärbten Muni-
zipalrath von Colmar. Der bisherige Bürgermeister ging erst an siebenter
Stelle aus der Wahlurne hervor. Der Beigeordnete fiel dagegen in beiden
Wahlgängen durch, trotzdem er schon über zwei Dezennien treuer und umsich¬
tiger Dienstjahre hinter sich hatte und seine Wiederwahl von verschiedenen
Seiten warm befürwortet worden war. Das "Elsässer Journ." erklärt diesen
unerwarteten Ausfall der Wahlen für eine "Ungerechtigkeit des allgemeinen
Stimmrechts." Soviel ich die dortigen Localverhältnisse kenne, liegt des Pu¬
dels Kern ganz wo anders.

Auch in Lothringen war die heurige Wahlbewegung und Betheili¬
gung durchschnittlich eine zufriedenstellende, in einzelnen Gemeinden sogar
eine überraschende. Selbst das traurige Metz ging dieses Mal den kleinern
Städten seines Bezirks mit gutem Beispiele voran und sah seine Mitbürger
ziemlich vollzähltch bei den Wahlurnen erscheinen. In dem noch als sehr
chauvinistisch verschrienen Städtchen Pfalz bürg gelangte sogar ein einge¬
wanderter Altdeutscher zu der Ehre, einen curulischen Sessel in seiner Adopttv-
Vaterstadt zu erringen.

Die unterelsässis es e Metropole endlich mußte aus Ihnen bekannten
Gründen für diesmal aus das heißersehnte Vergnügen verzichten, an der all¬
gemeinen Wahlbewegung Theil zu nehmen. Diese Strafe für die Sünden
des frühern Munizipalrathes ist vielleicht doch etwas zu hart, in Anbetracht
der Umstände. Ein Einlenken zur Güte und Verständigung war auch hier
meiner unmaßgeblichen Meinung nach wohl am Platze, zumal nach dem Ur¬
theile der Meisten die "munizipale Diktatur" in Straßburg lang genug
gedauert hat. In den übrigen, namentlich den Landgemeinden des
Unterelsasses ging es dagegen am 30. und 31. vorigen Monats unge¬
heuer lebhaft zu. In einer kleinen Gemeinde des Cantons Erstem, deren
Name gewöhnlich von den Deutschen falsch accentuirt wird, in Krauter¬
gersheim, war der Wahlkampf ein so hitziger, daß es zu Mord und Tod¬
schlag kam. Der ganz unschuldige Gemeindediener, der von einer Partei be¬
auftragt war, ihre Wahlzettel herum zu tragen, wurde von einem wüthenden
Anhänger der Gegenpartei im Handgemenge umgebracht. Ländlich --sittlich!
Der Mörder sitzt nunmehr hinter Schloß und Riegel und wird seiner Ver-
urtheilung vor den nächsten Assisen kaum entgehen; der Maire und Adjunct,
die bei der ganzen Affaire sich ziemlich säumig in Handhabung der Ortspo¬
lizei benommen haben, sehen einer scharfen disciplinartschen Rüge und wahr¬
scheinlich ihrer Absetzung entgegen.




Verantwortlicher Redakteur: or. Haus Blum in Leipzig.
Verl.la von A. L. Hrrbi" in Leipzia. -- Druck von Hüthel " Herrman" in Leipzifl.

eine mächtige Agitation geltend. Ueber ein Dutzend Candidatenlisten hatte
man drucken und vertheilen lassen. Die Liberalen erlangten schließlich eine
Stimme Majorität in dem bislang durchschnittlich schwarz gefärbten Muni-
zipalrath von Colmar. Der bisherige Bürgermeister ging erst an siebenter
Stelle aus der Wahlurne hervor. Der Beigeordnete fiel dagegen in beiden
Wahlgängen durch, trotzdem er schon über zwei Dezennien treuer und umsich¬
tiger Dienstjahre hinter sich hatte und seine Wiederwahl von verschiedenen
Seiten warm befürwortet worden war. Das „Elsässer Journ." erklärt diesen
unerwarteten Ausfall der Wahlen für eine „Ungerechtigkeit des allgemeinen
Stimmrechts." Soviel ich die dortigen Localverhältnisse kenne, liegt des Pu¬
dels Kern ganz wo anders.

Auch in Lothringen war die heurige Wahlbewegung und Betheili¬
gung durchschnittlich eine zufriedenstellende, in einzelnen Gemeinden sogar
eine überraschende. Selbst das traurige Metz ging dieses Mal den kleinern
Städten seines Bezirks mit gutem Beispiele voran und sah seine Mitbürger
ziemlich vollzähltch bei den Wahlurnen erscheinen. In dem noch als sehr
chauvinistisch verschrienen Städtchen Pfalz bürg gelangte sogar ein einge¬
wanderter Altdeutscher zu der Ehre, einen curulischen Sessel in seiner Adopttv-
Vaterstadt zu erringen.

Die unterelsässis es e Metropole endlich mußte aus Ihnen bekannten
Gründen für diesmal aus das heißersehnte Vergnügen verzichten, an der all¬
gemeinen Wahlbewegung Theil zu nehmen. Diese Strafe für die Sünden
des frühern Munizipalrathes ist vielleicht doch etwas zu hart, in Anbetracht
der Umstände. Ein Einlenken zur Güte und Verständigung war auch hier
meiner unmaßgeblichen Meinung nach wohl am Platze, zumal nach dem Ur¬
theile der Meisten die „munizipale Diktatur" in Straßburg lang genug
gedauert hat. In den übrigen, namentlich den Landgemeinden des
Unterelsasses ging es dagegen am 30. und 31. vorigen Monats unge¬
heuer lebhaft zu. In einer kleinen Gemeinde des Cantons Erstem, deren
Name gewöhnlich von den Deutschen falsch accentuirt wird, in Krauter¬
gersheim, war der Wahlkampf ein so hitziger, daß es zu Mord und Tod¬
schlag kam. Der ganz unschuldige Gemeindediener, der von einer Partei be¬
auftragt war, ihre Wahlzettel herum zu tragen, wurde von einem wüthenden
Anhänger der Gegenpartei im Handgemenge umgebracht. Ländlich —sittlich!
Der Mörder sitzt nunmehr hinter Schloß und Riegel und wird seiner Ver-
urtheilung vor den nächsten Assisen kaum entgehen; der Maire und Adjunct,
die bei der ganzen Affaire sich ziemlich säumig in Handhabung der Ortspo¬
lizei benommen haben, sehen einer scharfen disciplinartschen Rüge und wahr¬
scheinlich ihrer Absetzung entgegen.




Verantwortlicher Redakteur: or. Haus Blum in Leipzig.
Verl.la von A. L. Hrrbi» in Leipzia. — Druck von Hüthel « Herrman« in Leipzifl.
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[0368] eine mächtige Agitation geltend. Ueber ein Dutzend Candidatenlisten hatte man drucken und vertheilen lassen. Die Liberalen erlangten schließlich eine Stimme Majorität in dem bislang durchschnittlich schwarz gefärbten Muni- zipalrath von Colmar. Der bisherige Bürgermeister ging erst an siebenter Stelle aus der Wahlurne hervor. Der Beigeordnete fiel dagegen in beiden Wahlgängen durch, trotzdem er schon über zwei Dezennien treuer und umsich¬ tiger Dienstjahre hinter sich hatte und seine Wiederwahl von verschiedenen Seiten warm befürwortet worden war. Das „Elsässer Journ." erklärt diesen unerwarteten Ausfall der Wahlen für eine „Ungerechtigkeit des allgemeinen Stimmrechts." Soviel ich die dortigen Localverhältnisse kenne, liegt des Pu¬ dels Kern ganz wo anders. Auch in Lothringen war die heurige Wahlbewegung und Betheili¬ gung durchschnittlich eine zufriedenstellende, in einzelnen Gemeinden sogar eine überraschende. Selbst das traurige Metz ging dieses Mal den kleinern Städten seines Bezirks mit gutem Beispiele voran und sah seine Mitbürger ziemlich vollzähltch bei den Wahlurnen erscheinen. In dem noch als sehr chauvinistisch verschrienen Städtchen Pfalz bürg gelangte sogar ein einge¬ wanderter Altdeutscher zu der Ehre, einen curulischen Sessel in seiner Adopttv- Vaterstadt zu erringen. Die unterelsässis es e Metropole endlich mußte aus Ihnen bekannten Gründen für diesmal aus das heißersehnte Vergnügen verzichten, an der all¬ gemeinen Wahlbewegung Theil zu nehmen. Diese Strafe für die Sünden des frühern Munizipalrathes ist vielleicht doch etwas zu hart, in Anbetracht der Umstände. Ein Einlenken zur Güte und Verständigung war auch hier meiner unmaßgeblichen Meinung nach wohl am Platze, zumal nach dem Ur¬ theile der Meisten die „munizipale Diktatur" in Straßburg lang genug gedauert hat. In den übrigen, namentlich den Landgemeinden des Unterelsasses ging es dagegen am 30. und 31. vorigen Monats unge¬ heuer lebhaft zu. In einer kleinen Gemeinde des Cantons Erstem, deren Name gewöhnlich von den Deutschen falsch accentuirt wird, in Krauter¬ gersheim, war der Wahlkampf ein so hitziger, daß es zu Mord und Tod¬ schlag kam. Der ganz unschuldige Gemeindediener, der von einer Partei be¬ auftragt war, ihre Wahlzettel herum zu tragen, wurde von einem wüthenden Anhänger der Gegenpartei im Handgemenge umgebracht. Ländlich —sittlich! Der Mörder sitzt nunmehr hinter Schloß und Riegel und wird seiner Ver- urtheilung vor den nächsten Assisen kaum entgehen; der Maire und Adjunct, die bei der ganzen Affaire sich ziemlich säumig in Handhabung der Ortspo¬ lizei benommen haben, sehen einer scharfen disciplinartschen Rüge und wahr¬ scheinlich ihrer Absetzung entgegen. Verantwortlicher Redakteur: or. Haus Blum in Leipzig. Verl.la von A. L. Hrrbi» in Leipzia. — Druck von Hüthel « Herrman« in Leipzifl.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/368>, abgerufen am 20.10.2024.