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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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eine fundamentale Veränderung in den Beziehungen zwischen den Eisenbahnen
und dem Staate vorzunehmen. Hierauf antworten wir ' dieser Zustand kann
allerdings eintreten, und soweit die Zeugenaussagen Aufschluß geben, ist das
einzige Mittel dagegen die Erwerbung der Eisenbahnen durch die Regierung."

Aus diesen und anderen Erfahrungen, welche in England gemacht worden
sind, geht durchaus nicht hervor, daß dieses Land am besten daran gethan
hat, das System der Privatbahnen zu ergreifen, sondern vielmehr, daß dort
die Concurrenz zu Koalitionen und Fusionen von solcher Ausdehnung ge¬
führt hat, daß der Staat zum Ankauf gezwungen wird, wenn er ver¬
hüten will, daß seine Autorität zuletzt von der Plutokratie untergraben wird.
In der Schweiz und in den Vereinigten Staaten von Nordamerika hat das
System der Privatbahnen wieder andere Auswüchse im Gefolge gehabt,
welche bei Staatsbahnen so gut wie unmöglich sind. Die widerlichste dieser
Erscheinungen war, daß ausländisches Capital mittelst trügerischer Ver¬
sprechungen und Vorspiegelungen zum Eisenbahnbau ins Land gelockt wurde,
und daß in Folge dieser leichten Weise, mit welcher solches Capital sich fand,
zu viele unrentable und sogar unberechtigte Linien gebaut wurden, bei denen
viele Millionen verloren gingen. So ist es in der Schweiz mit den West¬
bahnen ergangen, welche vorzugsweise mit französischem Capital gebaut wurden,
so mit dem -Win iuäustriol, bei welchem zum Theil süddeutsches Capital und
sogar Sparpfennige von Wittwen und Waisen, welche in dem Irrthum ge¬
lassen wurden, daß sie verhypothecirte Prioritäten erhielren, verloren gingen;
so ist es mit der liig'us ä'ItM" in Wallis gegangen, welche Bankerott machte.
In welcher Weise bei der Gotthardtbahn sogar Subsidien benachbarter
Staaten in colossalem Betrage (65 Millionen Fras.) erlangt wurden und
hinterdrein zum Vorschein kam, daß die Bahn 110 Mill. Fras. mehr kosten
sollte, als im Voranschlag angenommen war, auf welchen gestützt eben jene
Subventionen zugesagt worden waren, dies zu schildern ist noch eine Auf¬
gabe der Geschichte.

In den Vereinigten Staaten von Nordamerika war bis zum Ausbruch
der letzten Krisis die schwindelhafte Herbeilockung ausländischen Capitals zum
Bau inländischer Eisenbahnen zu einem förmlichen Gewerbe geworden. Wie
wäre es auch möglich gewesen, ohne ausländisches Capital in Amerika ein
Eisenbahnnetz zu bauen, welches fast dem von ganz Europa gleichkommt.
Eine Haupttaktik war es dabei, den Antheil des Actiencapitals an der ganzen
Bausumme auf ein Minimum herabzusetzen und dadurch das Risico der
Obligationenbesitzer zu erhöhen. Dadurch wurden viele europäische Capitalisten,
welche in ihrem Lande daran gewöhnt waren, daß das Prioritätscapital nicht
die Hälfte der gesammten Bausumme überschritt, verlockt, ihre Ersparnisse in
der Meinung hinzugeben, daß auch in Amerika das Actiencapital einen so


eine fundamentale Veränderung in den Beziehungen zwischen den Eisenbahnen
und dem Staate vorzunehmen. Hierauf antworten wir ' dieser Zustand kann
allerdings eintreten, und soweit die Zeugenaussagen Aufschluß geben, ist das
einzige Mittel dagegen die Erwerbung der Eisenbahnen durch die Regierung."

Aus diesen und anderen Erfahrungen, welche in England gemacht worden
sind, geht durchaus nicht hervor, daß dieses Land am besten daran gethan
hat, das System der Privatbahnen zu ergreifen, sondern vielmehr, daß dort
die Concurrenz zu Koalitionen und Fusionen von solcher Ausdehnung ge¬
führt hat, daß der Staat zum Ankauf gezwungen wird, wenn er ver¬
hüten will, daß seine Autorität zuletzt von der Plutokratie untergraben wird.
In der Schweiz und in den Vereinigten Staaten von Nordamerika hat das
System der Privatbahnen wieder andere Auswüchse im Gefolge gehabt,
welche bei Staatsbahnen so gut wie unmöglich sind. Die widerlichste dieser
Erscheinungen war, daß ausländisches Capital mittelst trügerischer Ver¬
sprechungen und Vorspiegelungen zum Eisenbahnbau ins Land gelockt wurde,
und daß in Folge dieser leichten Weise, mit welcher solches Capital sich fand,
zu viele unrentable und sogar unberechtigte Linien gebaut wurden, bei denen
viele Millionen verloren gingen. So ist es in der Schweiz mit den West¬
bahnen ergangen, welche vorzugsweise mit französischem Capital gebaut wurden,
so mit dem -Win iuäustriol, bei welchem zum Theil süddeutsches Capital und
sogar Sparpfennige von Wittwen und Waisen, welche in dem Irrthum ge¬
lassen wurden, daß sie verhypothecirte Prioritäten erhielren, verloren gingen;
so ist es mit der liig'us ä'ItM« in Wallis gegangen, welche Bankerott machte.
In welcher Weise bei der Gotthardtbahn sogar Subsidien benachbarter
Staaten in colossalem Betrage (65 Millionen Fras.) erlangt wurden und
hinterdrein zum Vorschein kam, daß die Bahn 110 Mill. Fras. mehr kosten
sollte, als im Voranschlag angenommen war, auf welchen gestützt eben jene
Subventionen zugesagt worden waren, dies zu schildern ist noch eine Auf¬
gabe der Geschichte.

In den Vereinigten Staaten von Nordamerika war bis zum Ausbruch
der letzten Krisis die schwindelhafte Herbeilockung ausländischen Capitals zum
Bau inländischer Eisenbahnen zu einem förmlichen Gewerbe geworden. Wie
wäre es auch möglich gewesen, ohne ausländisches Capital in Amerika ein
Eisenbahnnetz zu bauen, welches fast dem von ganz Europa gleichkommt.
Eine Haupttaktik war es dabei, den Antheil des Actiencapitals an der ganzen
Bausumme auf ein Minimum herabzusetzen und dadurch das Risico der
Obligationenbesitzer zu erhöhen. Dadurch wurden viele europäische Capitalisten,
welche in ihrem Lande daran gewöhnt waren, daß das Prioritätscapital nicht
die Hälfte der gesammten Bausumme überschritt, verlockt, ihre Ersparnisse in
der Meinung hinzugeben, daß auch in Amerika das Actiencapital einen so


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[0363] eine fundamentale Veränderung in den Beziehungen zwischen den Eisenbahnen und dem Staate vorzunehmen. Hierauf antworten wir ' dieser Zustand kann allerdings eintreten, und soweit die Zeugenaussagen Aufschluß geben, ist das einzige Mittel dagegen die Erwerbung der Eisenbahnen durch die Regierung." Aus diesen und anderen Erfahrungen, welche in England gemacht worden sind, geht durchaus nicht hervor, daß dieses Land am besten daran gethan hat, das System der Privatbahnen zu ergreifen, sondern vielmehr, daß dort die Concurrenz zu Koalitionen und Fusionen von solcher Ausdehnung ge¬ führt hat, daß der Staat zum Ankauf gezwungen wird, wenn er ver¬ hüten will, daß seine Autorität zuletzt von der Plutokratie untergraben wird. In der Schweiz und in den Vereinigten Staaten von Nordamerika hat das System der Privatbahnen wieder andere Auswüchse im Gefolge gehabt, welche bei Staatsbahnen so gut wie unmöglich sind. Die widerlichste dieser Erscheinungen war, daß ausländisches Capital mittelst trügerischer Ver¬ sprechungen und Vorspiegelungen zum Eisenbahnbau ins Land gelockt wurde, und daß in Folge dieser leichten Weise, mit welcher solches Capital sich fand, zu viele unrentable und sogar unberechtigte Linien gebaut wurden, bei denen viele Millionen verloren gingen. So ist es in der Schweiz mit den West¬ bahnen ergangen, welche vorzugsweise mit französischem Capital gebaut wurden, so mit dem -Win iuäustriol, bei welchem zum Theil süddeutsches Capital und sogar Sparpfennige von Wittwen und Waisen, welche in dem Irrthum ge¬ lassen wurden, daß sie verhypothecirte Prioritäten erhielren, verloren gingen; so ist es mit der liig'us ä'ItM« in Wallis gegangen, welche Bankerott machte. In welcher Weise bei der Gotthardtbahn sogar Subsidien benachbarter Staaten in colossalem Betrage (65 Millionen Fras.) erlangt wurden und hinterdrein zum Vorschein kam, daß die Bahn 110 Mill. Fras. mehr kosten sollte, als im Voranschlag angenommen war, auf welchen gestützt eben jene Subventionen zugesagt worden waren, dies zu schildern ist noch eine Auf¬ gabe der Geschichte. In den Vereinigten Staaten von Nordamerika war bis zum Ausbruch der letzten Krisis die schwindelhafte Herbeilockung ausländischen Capitals zum Bau inländischer Eisenbahnen zu einem förmlichen Gewerbe geworden. Wie wäre es auch möglich gewesen, ohne ausländisches Capital in Amerika ein Eisenbahnnetz zu bauen, welches fast dem von ganz Europa gleichkommt. Eine Haupttaktik war es dabei, den Antheil des Actiencapitals an der ganzen Bausumme auf ein Minimum herabzusetzen und dadurch das Risico der Obligationenbesitzer zu erhöhen. Dadurch wurden viele europäische Capitalisten, welche in ihrem Lande daran gewöhnt waren, daß das Prioritätscapital nicht die Hälfte der gesammten Bausumme überschritt, verlockt, ihre Ersparnisse in der Meinung hinzugeben, daß auch in Amerika das Actiencapital einen so

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/363>, abgerufen am 27.09.2024.