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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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Halts nicht Schuld sein wolle, und begnügte sich, das Ministerium auf jede
mögliche Weise mit kleinlichen Chikanen und Nörgeleien zu ärgern. Man
fing damit an, gleich die Principalfrage bei Feststellung des Budgets gegen
die Absicht der Staatsregierung zu entscheiden. Diese bestand nämlich darin,
den Beamten in Anbetracht der Zettverhältnisse, wie schon in der letzten
Finanzpertode, so auch in dieser, Theuerungszulagen zu geben, diesen aber
pragmatischen Charakter nicht zu verleihen. Bei der Berathung des letzten
Budgets hatte die ultramontane Logik mit Einstimmigkeit den Beweis ge¬
führt, wie sehr man sich von einer Mehrung der pragmatischen Beamten¬
gehalte und der damit zusammenhängenden Erhöhung der Pensionslast zu
hüten -- jetzt auf einmal warf sich jene Logik auf die Gegenargumen-
tation: die das letztemal als einziges Auskunftsmittel erklärten Theuerungs¬
zulagen wurden als höchst verwerflich hingestellt, die bisher als solche ge¬
gebenen Summen zum pragmatischen Gehalt zugeschlagen und die von der
Regulirung postulirten neuen Theuerungszulagen abgewiesen. Man schwärmte
nun auf einmal für höhere Pensionen, weil man (des Pudels Kern!) die
wackere Anzahl ultramontaner Beamten in der Kammer für den Fall ihrer doch
möglichen Jnruhesetzung etwas sichern wollte, und kümmerte sich nichts darum,
daß so und so viele schlechtsituirte Beamte sehnsuchtsvoll auf jene Theuerungs¬
zulage warteten, die momentaner Noth abzuhelfen ausreichend gewesen wäre,
und nun in ihren berechtigten Hoffnungen sich getäuscht sahen.

Aber diese neue Theorie der ultramontanen Wahrheit, früher, erst vor
Jahresfrist aufgestellte, mit Leidenschaft durch ihre vornehmsten Führer ver¬
theidigte Axiome und Principien diesmal gänzlich umzustoßen und durch neue,
geradezu gegentheilige zu ersetzen, sollte sich bald noch viel greller auch noch
bei andern Gelegenheiten zeigen. Nicht nur bei der Verhandlung über die
bayrischen, außerdeutschen Gesandschaften, bei welcher die liberalen Redner
gegen diese fast ausschließlich mit den erst vor zwei Jahren gehörten, die
Nutz- und Wirkungslosigkeit bayrischer Spezialdiplomaten aufs schärfste
oeclarirenden Argumenten der Herren Freytag und Jörg und deren eigenen
Worten ihre Beweise führten, und die genannten Herren heute auf einmal
wieder die begeisterten Lobredner der bayrischen Gesandten waren -- sondern
vor allen bet Prüfung und Bestätigung oder Cassation der verschiedenen an¬
gefochtenen Wahlen. Hier zeigte sich die tendenziöse Inconsequenz der Macht¬
haber in der bayrischen Kammer auf das Glänzendste.

Wie wir auch schon früher berichtet, hatte im Oktober vor. I. gleich bei
Beginn des Landtags der klerikale Abgeordnete Horn den Antrag gestellt,
die Wahlprüfungen nicht nach Maßgabe ihrer kürzern oder längeren Erle¬
digung, sondern nach der amtlichen Reihenfolge der einzelnen Wahlbezirke,
vorzunehmen und in der Kammer zur Verhandlung zu bringen. Die in die


Halts nicht Schuld sein wolle, und begnügte sich, das Ministerium auf jede
mögliche Weise mit kleinlichen Chikanen und Nörgeleien zu ärgern. Man
fing damit an, gleich die Principalfrage bei Feststellung des Budgets gegen
die Absicht der Staatsregierung zu entscheiden. Diese bestand nämlich darin,
den Beamten in Anbetracht der Zettverhältnisse, wie schon in der letzten
Finanzpertode, so auch in dieser, Theuerungszulagen zu geben, diesen aber
pragmatischen Charakter nicht zu verleihen. Bei der Berathung des letzten
Budgets hatte die ultramontane Logik mit Einstimmigkeit den Beweis ge¬
führt, wie sehr man sich von einer Mehrung der pragmatischen Beamten¬
gehalte und der damit zusammenhängenden Erhöhung der Pensionslast zu
hüten — jetzt auf einmal warf sich jene Logik auf die Gegenargumen-
tation: die das letztemal als einziges Auskunftsmittel erklärten Theuerungs¬
zulagen wurden als höchst verwerflich hingestellt, die bisher als solche ge¬
gebenen Summen zum pragmatischen Gehalt zugeschlagen und die von der
Regulirung postulirten neuen Theuerungszulagen abgewiesen. Man schwärmte
nun auf einmal für höhere Pensionen, weil man (des Pudels Kern!) die
wackere Anzahl ultramontaner Beamten in der Kammer für den Fall ihrer doch
möglichen Jnruhesetzung etwas sichern wollte, und kümmerte sich nichts darum,
daß so und so viele schlechtsituirte Beamte sehnsuchtsvoll auf jene Theuerungs¬
zulage warteten, die momentaner Noth abzuhelfen ausreichend gewesen wäre,
und nun in ihren berechtigten Hoffnungen sich getäuscht sahen.

Aber diese neue Theorie der ultramontanen Wahrheit, früher, erst vor
Jahresfrist aufgestellte, mit Leidenschaft durch ihre vornehmsten Führer ver¬
theidigte Axiome und Principien diesmal gänzlich umzustoßen und durch neue,
geradezu gegentheilige zu ersetzen, sollte sich bald noch viel greller auch noch
bei andern Gelegenheiten zeigen. Nicht nur bei der Verhandlung über die
bayrischen, außerdeutschen Gesandschaften, bei welcher die liberalen Redner
gegen diese fast ausschließlich mit den erst vor zwei Jahren gehörten, die
Nutz- und Wirkungslosigkeit bayrischer Spezialdiplomaten aufs schärfste
oeclarirenden Argumenten der Herren Freytag und Jörg und deren eigenen
Worten ihre Beweise führten, und die genannten Herren heute auf einmal
wieder die begeisterten Lobredner der bayrischen Gesandten waren — sondern
vor allen bet Prüfung und Bestätigung oder Cassation der verschiedenen an¬
gefochtenen Wahlen. Hier zeigte sich die tendenziöse Inconsequenz der Macht¬
haber in der bayrischen Kammer auf das Glänzendste.

Wie wir auch schon früher berichtet, hatte im Oktober vor. I. gleich bei
Beginn des Landtags der klerikale Abgeordnete Horn den Antrag gestellt,
die Wahlprüfungen nicht nach Maßgabe ihrer kürzern oder längeren Erle¬
digung, sondern nach der amtlichen Reihenfolge der einzelnen Wahlbezirke,
vorzunehmen und in der Kammer zur Verhandlung zu bringen. Die in die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/36>, abgerufen am 27.09.2024.