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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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Landschaft. Sie liegt unmittelbar gegenüber der von demselben Sultan er¬
bauten prächtigen Moschee und krönt die Hügel am Meere. Ein längliches
Viereck von drei Stockwerken bildend, wird sie von vier hohen Thürmen
flankirt, sie hat über 2000 Fenster und könnte bequem 12.000 Mann und
4000 Pferde fassen. Auch befindet sie sich in vortrefflichem Zustande, in den
Schlafzimmern herrscht die größte Reinlichkett, man hat eiserne Betten
eingeführt, und im Innern wird streng auf gute Zucht und Ordnung
gesehen.

Alle Offiziere bis zum Obersten hinauf sind kasernirt. Stabsoffiziere
haben eigne Zimmer, Hauptleute und Subalternoffiziere bewohnen je drei
oder vier eine Stube zusammen. Etwas ganz Außerordentliches ist es, in
einer Offizierswohnung Bücher oder Karten zu sehen, oder richtiger, bis zum
Major hinauf kommt etwas der Art gar nicht vor. Die türkischen Offiziere
zerfallen in zwei Klaffen, die einander nicht freundlich gegenüberstehen, in
solche nämlich, welche aus der Militärschule (Melech i Harbije). und in solche,
welche aus dem Unteroffiziersstande hervorgegangen sind. Erstere bilden die
Minderheit; denn jährlich werden nicht mehr als 60 bis 70 Cadetten in die
verschiedenen Regimenter eingereiht. Die Militärschule zu Konstantinopel ist
1830 nach dem Muster der von Se. Cyr bei Versailles gegründet worden
und bildet Offiziere für Generalstab, Infanterie und Kavallerie sowie für das
Thierarzneiwesen. Neben ihr besteht noch eine Schule für Ausbildung von
Artillerieoffizieren. Beide Anstalten zerfallen in eine Spezial- und eine Vor¬
bereitungsschule für je 100 Zöglinge. Das Beste an ihnen ist aber ihr
Studienplan, die erzielten Erfolge sind in der Regel kaum nennenswerth.
Der aus der Militärschule in die Armee eingetretene Offizier bringt mit
einer sehr mäßigen Dosis von Kenntnissen und noch viel geringerer Leistungs¬
fähigkeit einen schwer begreiflichen Eigendünkel mit. Der aus dem Unter¬
offiziersstande aufgerückte Offizier steht hinsichtlich seiner Intelligenz und seiner
Manieren auf einer Stufe mit dem gemeinen Mann, d. h. er ist ebenso roh
als unwissend. Darnach wird er auch -- wie wir selbst einmal bei Ferhad
Pascha Zeuge waren -- von seinem General behandelt. Einem deutschen
Korporal hätte sein Vorgesetzter nicht bieten dürfen, was dort einem Major
geboten wurde. Dagegen ist die Behandlung der Soldaten von Seiten der
Unteroffiziere und Offiziere in der Regel gut. Zuweilen geschieht es wohl,
daß ein gestrenger Tschausch über einen nachlässigen Soldaten, der es gar zu
arg treibt, herfällt und ihn tüchtig abstraft. In solchen Fällen werden
Schimpfwörter und Schläge nicht gespart. Gewöhnlich aber sind die Offiziere
ganz ebenso träge und sorglos als ihre Mannschaft, und oft hört man sie
die Gemeinen mit zärtlichen Ausdrücken, wie Dschanum (meine Seele) oder
Kußum (mein Lämmchen) anreden.


Landschaft. Sie liegt unmittelbar gegenüber der von demselben Sultan er¬
bauten prächtigen Moschee und krönt die Hügel am Meere. Ein längliches
Viereck von drei Stockwerken bildend, wird sie von vier hohen Thürmen
flankirt, sie hat über 2000 Fenster und könnte bequem 12.000 Mann und
4000 Pferde fassen. Auch befindet sie sich in vortrefflichem Zustande, in den
Schlafzimmern herrscht die größte Reinlichkett, man hat eiserne Betten
eingeführt, und im Innern wird streng auf gute Zucht und Ordnung
gesehen.

Alle Offiziere bis zum Obersten hinauf sind kasernirt. Stabsoffiziere
haben eigne Zimmer, Hauptleute und Subalternoffiziere bewohnen je drei
oder vier eine Stube zusammen. Etwas ganz Außerordentliches ist es, in
einer Offizierswohnung Bücher oder Karten zu sehen, oder richtiger, bis zum
Major hinauf kommt etwas der Art gar nicht vor. Die türkischen Offiziere
zerfallen in zwei Klaffen, die einander nicht freundlich gegenüberstehen, in
solche nämlich, welche aus der Militärschule (Melech i Harbije). und in solche,
welche aus dem Unteroffiziersstande hervorgegangen sind. Erstere bilden die
Minderheit; denn jährlich werden nicht mehr als 60 bis 70 Cadetten in die
verschiedenen Regimenter eingereiht. Die Militärschule zu Konstantinopel ist
1830 nach dem Muster der von Se. Cyr bei Versailles gegründet worden
und bildet Offiziere für Generalstab, Infanterie und Kavallerie sowie für das
Thierarzneiwesen. Neben ihr besteht noch eine Schule für Ausbildung von
Artillerieoffizieren. Beide Anstalten zerfallen in eine Spezial- und eine Vor¬
bereitungsschule für je 100 Zöglinge. Das Beste an ihnen ist aber ihr
Studienplan, die erzielten Erfolge sind in der Regel kaum nennenswerth.
Der aus der Militärschule in die Armee eingetretene Offizier bringt mit
einer sehr mäßigen Dosis von Kenntnissen und noch viel geringerer Leistungs¬
fähigkeit einen schwer begreiflichen Eigendünkel mit. Der aus dem Unter¬
offiziersstande aufgerückte Offizier steht hinsichtlich seiner Intelligenz und seiner
Manieren auf einer Stufe mit dem gemeinen Mann, d. h. er ist ebenso roh
als unwissend. Darnach wird er auch — wie wir selbst einmal bei Ferhad
Pascha Zeuge waren — von seinem General behandelt. Einem deutschen
Korporal hätte sein Vorgesetzter nicht bieten dürfen, was dort einem Major
geboten wurde. Dagegen ist die Behandlung der Soldaten von Seiten der
Unteroffiziere und Offiziere in der Regel gut. Zuweilen geschieht es wohl,
daß ein gestrenger Tschausch über einen nachlässigen Soldaten, der es gar zu
arg treibt, herfällt und ihn tüchtig abstraft. In solchen Fällen werden
Schimpfwörter und Schläge nicht gespart. Gewöhnlich aber sind die Offiziere
ganz ebenso träge und sorglos als ihre Mannschaft, und oft hört man sie
die Gemeinen mit zärtlichen Ausdrücken, wie Dschanum (meine Seele) oder
Kußum (mein Lämmchen) anreden.


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[0356] Landschaft. Sie liegt unmittelbar gegenüber der von demselben Sultan er¬ bauten prächtigen Moschee und krönt die Hügel am Meere. Ein längliches Viereck von drei Stockwerken bildend, wird sie von vier hohen Thürmen flankirt, sie hat über 2000 Fenster und könnte bequem 12.000 Mann und 4000 Pferde fassen. Auch befindet sie sich in vortrefflichem Zustande, in den Schlafzimmern herrscht die größte Reinlichkett, man hat eiserne Betten eingeführt, und im Innern wird streng auf gute Zucht und Ordnung gesehen. Alle Offiziere bis zum Obersten hinauf sind kasernirt. Stabsoffiziere haben eigne Zimmer, Hauptleute und Subalternoffiziere bewohnen je drei oder vier eine Stube zusammen. Etwas ganz Außerordentliches ist es, in einer Offizierswohnung Bücher oder Karten zu sehen, oder richtiger, bis zum Major hinauf kommt etwas der Art gar nicht vor. Die türkischen Offiziere zerfallen in zwei Klaffen, die einander nicht freundlich gegenüberstehen, in solche nämlich, welche aus der Militärschule (Melech i Harbije). und in solche, welche aus dem Unteroffiziersstande hervorgegangen sind. Erstere bilden die Minderheit; denn jährlich werden nicht mehr als 60 bis 70 Cadetten in die verschiedenen Regimenter eingereiht. Die Militärschule zu Konstantinopel ist 1830 nach dem Muster der von Se. Cyr bei Versailles gegründet worden und bildet Offiziere für Generalstab, Infanterie und Kavallerie sowie für das Thierarzneiwesen. Neben ihr besteht noch eine Schule für Ausbildung von Artillerieoffizieren. Beide Anstalten zerfallen in eine Spezial- und eine Vor¬ bereitungsschule für je 100 Zöglinge. Das Beste an ihnen ist aber ihr Studienplan, die erzielten Erfolge sind in der Regel kaum nennenswerth. Der aus der Militärschule in die Armee eingetretene Offizier bringt mit einer sehr mäßigen Dosis von Kenntnissen und noch viel geringerer Leistungs¬ fähigkeit einen schwer begreiflichen Eigendünkel mit. Der aus dem Unter¬ offiziersstande aufgerückte Offizier steht hinsichtlich seiner Intelligenz und seiner Manieren auf einer Stufe mit dem gemeinen Mann, d. h. er ist ebenso roh als unwissend. Darnach wird er auch — wie wir selbst einmal bei Ferhad Pascha Zeuge waren — von seinem General behandelt. Einem deutschen Korporal hätte sein Vorgesetzter nicht bieten dürfen, was dort einem Major geboten wurde. Dagegen ist die Behandlung der Soldaten von Seiten der Unteroffiziere und Offiziere in der Regel gut. Zuweilen geschieht es wohl, daß ein gestrenger Tschausch über einen nachlässigen Soldaten, der es gar zu arg treibt, herfällt und ihn tüchtig abstraft. In solchen Fällen werden Schimpfwörter und Schläge nicht gespart. Gewöhnlich aber sind die Offiziere ganz ebenso träge und sorglos als ihre Mannschaft, und oft hört man sie die Gemeinen mit zärtlichen Ausdrücken, wie Dschanum (meine Seele) oder Kußum (mein Lämmchen) anreden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/356>, abgerufen am 27.09.2024.