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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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Blendung der Sonne, und da es von weichem Stoff ist, auch nicht gegen
Säbelhiebe, bei Hellem Himmel erhitzt es den Kopf bis zur Unerträglichkeit,
bei nassem Wetter legt es sich um ihn wie ein Breiumschlag. Trotz alledem
behält man es bei, weil es -- beim Hersagen der vorgeschriebenen fünf täg¬
lichen Gebete den Soldaten nicht hindert, bet den letzten hiermit verbundenen
Stellungen mit der Stirn den Erdboden zu berühren. White erzählt hierzu
folgende charakteristische Anekdote.

Sultan Mahmud fand, als er den Turban bei der Armee abgeschafft
hatte, daß die Truppen viel von der Sonne litten. Er ließ sich den Scheich
ni Islam in seinen Palast holen, um mit ihm die von der Geistlichkeit hart¬
näckig verneinte Frage zu besprechen, ob dem Feß nicht ein Schirm gegeben
werden könne. Als der Herr Cultusminister gemeldet wurde, setzte sich der
Sultan mit dem Rücken gegen ein Fenster, das sich nach Süden öffnete, und
durch welches sich gerade die sengenden Strahlen der Mittagssonne ergossen.
Nachdem jener eingetreten, hieß ihn Mahmud gegen das Herkommen sich
gegenüber auf einem niedrigen Sessel Platz nehmen und begann eine Unter¬
haltung, die er lange hinauszog. Inzwischen traf die Sonne den Scheich mit
ihrer Gluth ins Gesicht, so daß er, um sich zu schützen, bald die eine, bald
die andere Hand erhob und diesen Akt der Selbstvertheidigung mit Gesichter¬
schneiden und allerlei Körperverdrehungen begleitete. "Allah! Allah!" rief
der Sultan, als er dieß bemerkte. "Was giebt's? Bist Du krank? Oder ist
der Anblick des Padischa Dir peinlich? Warum bedenkst Du Deine Augen?
Der Padischa ist doch kein Basilisk." -- "Astaz ferullah!" (behüte Gott) er¬
wiederte der halbgebratene geistliche Herr. "Der Schatten Gottes ist für seinen
Knecht Licht und Leben." -- "Nun, was fehlt Dir denn?" fragte Mahmud,
der zum Scherzen aufgelegt war. "Ach, ach, ich sehe wohl, Du wirst alt,
Du hast im Dienste des Sultans Deine Kräfte verbraucht. Es thut Dir
Ruhe noth." -- "Gott behüte, Gott behüte", erwiederte der Scheich, der
hierin eine Hindeutung auf seine bevorstehende Entlassung erblickte. .Gott
behüte! O du Allmacht! Ich bin wie ein junger Löwe. Jnschallah! Der
Knecht des Sultans wird ihm noch manches Jahr dienen." Mit diesen
Worten bemühte er sich, ruhig sitzen zu bleiben. Aber bald wurde die Hitze
unerträglich, sodaß er endlich zu Boden sank. Der Mabaindschi und die
Diener eilten ihm zu Hülfe und brachte ihn, nachdem er sich wieder erholt
hatte, auf einen schattigen Sitz. Jetzt aber heftete Mahmud seine durchbohren¬
den Blicke auf den frommen Mann und sagte: "Nun, Hoheit, was hast Du
noch gegen die ungläubigen Stirnschirme am Feß einzuwenden? Du, der Du
wie ein junger Löwe bist und im Schatten unserer Gegenwart sitzest, bist
nicht im Stande gewesen der Sonne ins Angesicht zu sehen. Wie darfst Du
Dir's unterstehen. Dich dem Augenschutze meiner Soldaten so hartnäckig zu


Äreuzbotm QI. 1876. 44

Blendung der Sonne, und da es von weichem Stoff ist, auch nicht gegen
Säbelhiebe, bei Hellem Himmel erhitzt es den Kopf bis zur Unerträglichkeit,
bei nassem Wetter legt es sich um ihn wie ein Breiumschlag. Trotz alledem
behält man es bei, weil es — beim Hersagen der vorgeschriebenen fünf täg¬
lichen Gebete den Soldaten nicht hindert, bet den letzten hiermit verbundenen
Stellungen mit der Stirn den Erdboden zu berühren. White erzählt hierzu
folgende charakteristische Anekdote.

Sultan Mahmud fand, als er den Turban bei der Armee abgeschafft
hatte, daß die Truppen viel von der Sonne litten. Er ließ sich den Scheich
ni Islam in seinen Palast holen, um mit ihm die von der Geistlichkeit hart¬
näckig verneinte Frage zu besprechen, ob dem Feß nicht ein Schirm gegeben
werden könne. Als der Herr Cultusminister gemeldet wurde, setzte sich der
Sultan mit dem Rücken gegen ein Fenster, das sich nach Süden öffnete, und
durch welches sich gerade die sengenden Strahlen der Mittagssonne ergossen.
Nachdem jener eingetreten, hieß ihn Mahmud gegen das Herkommen sich
gegenüber auf einem niedrigen Sessel Platz nehmen und begann eine Unter¬
haltung, die er lange hinauszog. Inzwischen traf die Sonne den Scheich mit
ihrer Gluth ins Gesicht, so daß er, um sich zu schützen, bald die eine, bald
die andere Hand erhob und diesen Akt der Selbstvertheidigung mit Gesichter¬
schneiden und allerlei Körperverdrehungen begleitete. „Allah! Allah!" rief
der Sultan, als er dieß bemerkte. „Was giebt's? Bist Du krank? Oder ist
der Anblick des Padischa Dir peinlich? Warum bedenkst Du Deine Augen?
Der Padischa ist doch kein Basilisk." — „Astaz ferullah!" (behüte Gott) er¬
wiederte der halbgebratene geistliche Herr. „Der Schatten Gottes ist für seinen
Knecht Licht und Leben." — „Nun, was fehlt Dir denn?" fragte Mahmud,
der zum Scherzen aufgelegt war. „Ach, ach, ich sehe wohl, Du wirst alt,
Du hast im Dienste des Sultans Deine Kräfte verbraucht. Es thut Dir
Ruhe noth." — „Gott behüte, Gott behüte", erwiederte der Scheich, der
hierin eine Hindeutung auf seine bevorstehende Entlassung erblickte. .Gott
behüte! O du Allmacht! Ich bin wie ein junger Löwe. Jnschallah! Der
Knecht des Sultans wird ihm noch manches Jahr dienen." Mit diesen
Worten bemühte er sich, ruhig sitzen zu bleiben. Aber bald wurde die Hitze
unerträglich, sodaß er endlich zu Boden sank. Der Mabaindschi und die
Diener eilten ihm zu Hülfe und brachte ihn, nachdem er sich wieder erholt
hatte, auf einen schattigen Sitz. Jetzt aber heftete Mahmud seine durchbohren¬
den Blicke auf den frommen Mann und sagte: „Nun, Hoheit, was hast Du
noch gegen die ungläubigen Stirnschirme am Feß einzuwenden? Du, der Du
wie ein junger Löwe bist und im Schatten unserer Gegenwart sitzest, bist
nicht im Stande gewesen der Sonne ins Angesicht zu sehen. Wie darfst Du
Dir's unterstehen. Dich dem Augenschutze meiner Soldaten so hartnäckig zu


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[0353] Blendung der Sonne, und da es von weichem Stoff ist, auch nicht gegen Säbelhiebe, bei Hellem Himmel erhitzt es den Kopf bis zur Unerträglichkeit, bei nassem Wetter legt es sich um ihn wie ein Breiumschlag. Trotz alledem behält man es bei, weil es — beim Hersagen der vorgeschriebenen fünf täg¬ lichen Gebete den Soldaten nicht hindert, bet den letzten hiermit verbundenen Stellungen mit der Stirn den Erdboden zu berühren. White erzählt hierzu folgende charakteristische Anekdote. Sultan Mahmud fand, als er den Turban bei der Armee abgeschafft hatte, daß die Truppen viel von der Sonne litten. Er ließ sich den Scheich ni Islam in seinen Palast holen, um mit ihm die von der Geistlichkeit hart¬ näckig verneinte Frage zu besprechen, ob dem Feß nicht ein Schirm gegeben werden könne. Als der Herr Cultusminister gemeldet wurde, setzte sich der Sultan mit dem Rücken gegen ein Fenster, das sich nach Süden öffnete, und durch welches sich gerade die sengenden Strahlen der Mittagssonne ergossen. Nachdem jener eingetreten, hieß ihn Mahmud gegen das Herkommen sich gegenüber auf einem niedrigen Sessel Platz nehmen und begann eine Unter¬ haltung, die er lange hinauszog. Inzwischen traf die Sonne den Scheich mit ihrer Gluth ins Gesicht, so daß er, um sich zu schützen, bald die eine, bald die andere Hand erhob und diesen Akt der Selbstvertheidigung mit Gesichter¬ schneiden und allerlei Körperverdrehungen begleitete. „Allah! Allah!" rief der Sultan, als er dieß bemerkte. „Was giebt's? Bist Du krank? Oder ist der Anblick des Padischa Dir peinlich? Warum bedenkst Du Deine Augen? Der Padischa ist doch kein Basilisk." — „Astaz ferullah!" (behüte Gott) er¬ wiederte der halbgebratene geistliche Herr. „Der Schatten Gottes ist für seinen Knecht Licht und Leben." — „Nun, was fehlt Dir denn?" fragte Mahmud, der zum Scherzen aufgelegt war. „Ach, ach, ich sehe wohl, Du wirst alt, Du hast im Dienste des Sultans Deine Kräfte verbraucht. Es thut Dir Ruhe noth." — „Gott behüte, Gott behüte", erwiederte der Scheich, der hierin eine Hindeutung auf seine bevorstehende Entlassung erblickte. .Gott behüte! O du Allmacht! Ich bin wie ein junger Löwe. Jnschallah! Der Knecht des Sultans wird ihm noch manches Jahr dienen." Mit diesen Worten bemühte er sich, ruhig sitzen zu bleiben. Aber bald wurde die Hitze unerträglich, sodaß er endlich zu Boden sank. Der Mabaindschi und die Diener eilten ihm zu Hülfe und brachte ihn, nachdem er sich wieder erholt hatte, auf einen schattigen Sitz. Jetzt aber heftete Mahmud seine durchbohren¬ den Blicke auf den frommen Mann und sagte: „Nun, Hoheit, was hast Du noch gegen die ungläubigen Stirnschirme am Feß einzuwenden? Du, der Du wie ein junger Löwe bist und im Schatten unserer Gegenwart sitzest, bist nicht im Stande gewesen der Sonne ins Angesicht zu sehen. Wie darfst Du Dir's unterstehen. Dich dem Augenschutze meiner Soldaten so hartnäckig zu Äreuzbotm QI. 1876. 44

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/353>, abgerufen am 27.09.2024.