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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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Grund theils in der Plan- und Gedankenlosigkeit der Behörden, theils in
der nie enden wollenden Unfertigkeit der Zustände hat, ist die, daß man im
Nothfalle kaum eine vollständige Division zusammenziehen kann, ohne aber¬
mals zu combinirten Formationen seine Zuflucht nehmen zu müssen. Da
Abtheilungen eines und desselben Regiments in den verschiedensten Gegenden
zerstreut sind, bilden im Frieden gewöhnlich Bataillone die höheren taktischen
Einheiten, welche direct ohne Zwischenstellen mit dem Kriegsministerium in
Verbindung stehen. Ebenso sind Truppen, welche in den durch innere Un¬
ruhen häufig bedrohten Provinzen stehen, Befehlshabern untergeordnet, die
unmittelbar vom Kriegsministerium abhängen. Die unaufhörliche Bewegung
der Truppen und die stete Ersetzung der Commandeure durch andere, machen
alle Organisation zu nichte und beeinträchtigen wesentlich die Ausbildung
und den Geist der Soldaten.

Die Rekrutirungsbezirke für die einzelnen Armeecorps sind folgende: für
das erste Corps Kleinasien, für das zweite Bulgarien, Rumelien und ein
Theil von Anatolien, für das dritte Bosnien, Albanien, Thessalien und das
südwestliche Kleinasien, für das vierte Armenien, Karamanien und einige Ge¬
biete von Kurdistan, für das fünfte Syrien mit Einschluß von Palästina,
für das sechste Südkurdistan, Mesopotamien und Irak, endlich für das siebente
Corps Aemen und Hedschas. Jeder Corpsbezirk zerfällt nach deutschem
Muster in ebensoviele Landwehrbataillonsbezirke als das Corps Bataillone
der stehenden Armee hat. In jedem dieser kleineren Bezirke werden die Re¬
kruten für das entsprechende Bataillon ausgehoben und die Mannschaften der
Landwehr ersten und zweiten Aufgebots sowie des Landsturms geführt. Die
Rekruten für die Reiterei und die Artillerie dagegen hebt man im ganzen Be¬
zirke des Armeecorps aus. In den Mittelpunkten der Bataillonsbezirke
(Merkes), welche mit den Hauptquartieren in telegraphischer Verbindung stehen,
sollen Waffen, Ausrüstung und Bekleidung für je zwei Bataillone der
Landwehr sowie für ein Landsturmbataillon niedergelegt sein, was aber sicher
bei nicht wenigen frommer Wunsch ist und bleiben wird.

Die Wehrpflicht beginnt mit dem zwanzigsten Lebensjahre. Nachdem
der Infanterist vier Jahre bei der Fahne gedient hat, wird er bis zu seinem
Uebergang in die Landwehr beurlaubt, bei der Reiterei und den technischen
Truppen dagegen findet die Beurlaubung erst nach dem fünften Dienstjahre
statt. Die Urlauber werden niemals zu Uebungen herangezogen. In der
Landwehr gehört der Mann drei Jahre dem ersten und vier Jahre dem
zweiten Aufgebot an. Beide Aufgebote sollen gesetzlich jedes Jahr auf einen
Monat zu Uebungen eintreffen und zwar -- wenn die Finanzen dieß über¬
haupt erlauben, was oft nicht der Fall ist -- in der Weise, daß, wenn das
erste Aufgebot seine Uebungen beendigt hat, das zweite, für das weder Cadres


Grund theils in der Plan- und Gedankenlosigkeit der Behörden, theils in
der nie enden wollenden Unfertigkeit der Zustände hat, ist die, daß man im
Nothfalle kaum eine vollständige Division zusammenziehen kann, ohne aber¬
mals zu combinirten Formationen seine Zuflucht nehmen zu müssen. Da
Abtheilungen eines und desselben Regiments in den verschiedensten Gegenden
zerstreut sind, bilden im Frieden gewöhnlich Bataillone die höheren taktischen
Einheiten, welche direct ohne Zwischenstellen mit dem Kriegsministerium in
Verbindung stehen. Ebenso sind Truppen, welche in den durch innere Un¬
ruhen häufig bedrohten Provinzen stehen, Befehlshabern untergeordnet, die
unmittelbar vom Kriegsministerium abhängen. Die unaufhörliche Bewegung
der Truppen und die stete Ersetzung der Commandeure durch andere, machen
alle Organisation zu nichte und beeinträchtigen wesentlich die Ausbildung
und den Geist der Soldaten.

Die Rekrutirungsbezirke für die einzelnen Armeecorps sind folgende: für
das erste Corps Kleinasien, für das zweite Bulgarien, Rumelien und ein
Theil von Anatolien, für das dritte Bosnien, Albanien, Thessalien und das
südwestliche Kleinasien, für das vierte Armenien, Karamanien und einige Ge¬
biete von Kurdistan, für das fünfte Syrien mit Einschluß von Palästina,
für das sechste Südkurdistan, Mesopotamien und Irak, endlich für das siebente
Corps Aemen und Hedschas. Jeder Corpsbezirk zerfällt nach deutschem
Muster in ebensoviele Landwehrbataillonsbezirke als das Corps Bataillone
der stehenden Armee hat. In jedem dieser kleineren Bezirke werden die Re¬
kruten für das entsprechende Bataillon ausgehoben und die Mannschaften der
Landwehr ersten und zweiten Aufgebots sowie des Landsturms geführt. Die
Rekruten für die Reiterei und die Artillerie dagegen hebt man im ganzen Be¬
zirke des Armeecorps aus. In den Mittelpunkten der Bataillonsbezirke
(Merkes), welche mit den Hauptquartieren in telegraphischer Verbindung stehen,
sollen Waffen, Ausrüstung und Bekleidung für je zwei Bataillone der
Landwehr sowie für ein Landsturmbataillon niedergelegt sein, was aber sicher
bei nicht wenigen frommer Wunsch ist und bleiben wird.

Die Wehrpflicht beginnt mit dem zwanzigsten Lebensjahre. Nachdem
der Infanterist vier Jahre bei der Fahne gedient hat, wird er bis zu seinem
Uebergang in die Landwehr beurlaubt, bei der Reiterei und den technischen
Truppen dagegen findet die Beurlaubung erst nach dem fünften Dienstjahre
statt. Die Urlauber werden niemals zu Uebungen herangezogen. In der
Landwehr gehört der Mann drei Jahre dem ersten und vier Jahre dem
zweiten Aufgebot an. Beide Aufgebote sollen gesetzlich jedes Jahr auf einen
Monat zu Uebungen eintreffen und zwar — wenn die Finanzen dieß über¬
haupt erlauben, was oft nicht der Fall ist — in der Weise, daß, wenn das
erste Aufgebot seine Uebungen beendigt hat, das zweite, für das weder Cadres


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/351>, abgerufen am 27.09.2024.