Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Schwadronen, und aus denen der Artillerie 6 Landwehrartillerie-Regimenter
gebildet werden. Wie das aber geschehen soll, ist rätselhaft; denn es sind
weder Cadres, noch Offiziere nach Verwaltungseinrichtungen für derartige
Truppenkörper vorhanden, und mit den zur Landwehr entlassenen Mannschaf¬
ten jener Gattung werden keinerlei Uebungen vorgenommen. In Folge
dessen können von den Landwehrmännern dieser Waffengattungen im Kriege
keine Abtheilungen zur Aufstellung gelangen, und dieselben werden daher bis
auf Weiteres zur Ergänzung der betreffenden Waffen des stehenden Heeres,
vielleicht auch der Infanterie verwendet werden müssen.

Auch der Landsturm ist noch nicht organisirt, es würde ihm an Führern
und selbst an nur leidlichen Waffen fehlen. Die Türkei ist daher auch heute
noch wie im Krimkriege bet starker Bedrohung ihrer Sicherheit zu einem
theilweisen Aufgebot der Baschi Bosuk genöthigt, die von der Regierung mit
Waffen und Schießbedarf versehen werden, für ihre Verpflegung aber selbst zu
sorgen haben, weshalb sie eine für die Heeresleistung sehr unzuverlässige und
für die von ihnen durchzogenen Gegenden äußerst gefährliche Hülfskraft bil¬
den. Ferner kommen hierzu die Spahi, die, meist aus Asien aufgerufen, frei¬
willige Reiter von ähnlichem Schlage wie die zu Fuße dienenden Baschi Bosuk
sind und wie diese unter selbstgewählten Führern stehen. Jene können auf
etwa 30.000, diese auf ungefähr 40,000 Mann veranschlagt werden, wobei
indeß angenommen ist, daß der Krieg, um den sichs handelt, den Stämmen,
die sie enthauben, als heiliger und als Beute verheißender gilt. Die türkische
Landarmee wird daher bei der jetzigen Lage der Dinge unter den günstigsten
Umständen allerhöchstens folgende Zahlen erreichen können: stehendes Heer
220,000 Mann mit 672 Geschützen, Landwehr 115,000, Baschi Bosuk 30.000.
Spahi 40.000, zusammen 405.000 Mann; selbst das ist aber ziemlich un¬
wahrscheinlich.

Aegypten und Tunis sind, wie bemerkt, vertragsmäßig verpflichtet, falls
die Türkei in einen Krieg verwickelt wird, Hülfscorps zu stellen und zwar
beträgt das Contingent Aegyptens 15 bis 20,000 Mann Fußvolk, 2000
Reiter und 24 Geschütze, und dasjenige von Tunis 2--4000 Mann In¬
fanterie, 1000 Kavalleristen und 8 Kanonen. Den Oberbefehl über das
gesammte Heer führt der Sultan, dessen Stellvertreter ist der Großwesir, diesem
wieder steht der Seriasker (Kriegsminister) zur Seite, welchem die einzelnen
Corpscommandos untergeordnet sind.

Jedes Armeecorps soll sich im Kriege in zwei Divisionen (Firka) und
jede Division in zwei Brigaden (Lima) theilen. Im Frieden aber besteht
keine solche Gliederung, und die Abtheilungen der verschiedenen Armeecorps
werden im Kriege wie im Frieden fortwährend durcheinandergeworfen. Die
natürliche Folge dieser Vermischung und Durcheinanderschiebung, die ihren


Schwadronen, und aus denen der Artillerie 6 Landwehrartillerie-Regimenter
gebildet werden. Wie das aber geschehen soll, ist rätselhaft; denn es sind
weder Cadres, noch Offiziere nach Verwaltungseinrichtungen für derartige
Truppenkörper vorhanden, und mit den zur Landwehr entlassenen Mannschaf¬
ten jener Gattung werden keinerlei Uebungen vorgenommen. In Folge
dessen können von den Landwehrmännern dieser Waffengattungen im Kriege
keine Abtheilungen zur Aufstellung gelangen, und dieselben werden daher bis
auf Weiteres zur Ergänzung der betreffenden Waffen des stehenden Heeres,
vielleicht auch der Infanterie verwendet werden müssen.

Auch der Landsturm ist noch nicht organisirt, es würde ihm an Führern
und selbst an nur leidlichen Waffen fehlen. Die Türkei ist daher auch heute
noch wie im Krimkriege bet starker Bedrohung ihrer Sicherheit zu einem
theilweisen Aufgebot der Baschi Bosuk genöthigt, die von der Regierung mit
Waffen und Schießbedarf versehen werden, für ihre Verpflegung aber selbst zu
sorgen haben, weshalb sie eine für die Heeresleistung sehr unzuverlässige und
für die von ihnen durchzogenen Gegenden äußerst gefährliche Hülfskraft bil¬
den. Ferner kommen hierzu die Spahi, die, meist aus Asien aufgerufen, frei¬
willige Reiter von ähnlichem Schlage wie die zu Fuße dienenden Baschi Bosuk
sind und wie diese unter selbstgewählten Führern stehen. Jene können auf
etwa 30.000, diese auf ungefähr 40,000 Mann veranschlagt werden, wobei
indeß angenommen ist, daß der Krieg, um den sichs handelt, den Stämmen,
die sie enthauben, als heiliger und als Beute verheißender gilt. Die türkische
Landarmee wird daher bei der jetzigen Lage der Dinge unter den günstigsten
Umständen allerhöchstens folgende Zahlen erreichen können: stehendes Heer
220,000 Mann mit 672 Geschützen, Landwehr 115,000, Baschi Bosuk 30.000.
Spahi 40.000, zusammen 405.000 Mann; selbst das ist aber ziemlich un¬
wahrscheinlich.

Aegypten und Tunis sind, wie bemerkt, vertragsmäßig verpflichtet, falls
die Türkei in einen Krieg verwickelt wird, Hülfscorps zu stellen und zwar
beträgt das Contingent Aegyptens 15 bis 20,000 Mann Fußvolk, 2000
Reiter und 24 Geschütze, und dasjenige von Tunis 2—4000 Mann In¬
fanterie, 1000 Kavalleristen und 8 Kanonen. Den Oberbefehl über das
gesammte Heer führt der Sultan, dessen Stellvertreter ist der Großwesir, diesem
wieder steht der Seriasker (Kriegsminister) zur Seite, welchem die einzelnen
Corpscommandos untergeordnet sind.

Jedes Armeecorps soll sich im Kriege in zwei Divisionen (Firka) und
jede Division in zwei Brigaden (Lima) theilen. Im Frieden aber besteht
keine solche Gliederung, und die Abtheilungen der verschiedenen Armeecorps
werden im Kriege wie im Frieden fortwährend durcheinandergeworfen. Die
natürliche Folge dieser Vermischung und Durcheinanderschiebung, die ihren


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0350" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/136461"/>
          <p xml:id="ID_897" prev="#ID_896"> Schwadronen, und aus denen der Artillerie 6 Landwehrartillerie-Regimenter<lb/>
gebildet werden. Wie das aber geschehen soll, ist rätselhaft; denn es sind<lb/>
weder Cadres, noch Offiziere nach Verwaltungseinrichtungen für derartige<lb/>
Truppenkörper vorhanden, und mit den zur Landwehr entlassenen Mannschaf¬<lb/>
ten jener Gattung werden keinerlei Uebungen vorgenommen. In Folge<lb/>
dessen können von den Landwehrmännern dieser Waffengattungen im Kriege<lb/>
keine Abtheilungen zur Aufstellung gelangen, und dieselben werden daher bis<lb/>
auf Weiteres zur Ergänzung der betreffenden Waffen des stehenden Heeres,<lb/>
vielleicht auch der Infanterie verwendet werden müssen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_898"> Auch der Landsturm ist noch nicht organisirt, es würde ihm an Führern<lb/>
und selbst an nur leidlichen Waffen fehlen. Die Türkei ist daher auch heute<lb/>
noch wie im Krimkriege bet starker Bedrohung ihrer Sicherheit zu einem<lb/>
theilweisen Aufgebot der Baschi Bosuk genöthigt, die von der Regierung mit<lb/>
Waffen und Schießbedarf versehen werden, für ihre Verpflegung aber selbst zu<lb/>
sorgen haben, weshalb sie eine für die Heeresleistung sehr unzuverlässige und<lb/>
für die von ihnen durchzogenen Gegenden äußerst gefährliche Hülfskraft bil¬<lb/>
den. Ferner kommen hierzu die Spahi, die, meist aus Asien aufgerufen, frei¬<lb/>
willige Reiter von ähnlichem Schlage wie die zu Fuße dienenden Baschi Bosuk<lb/>
sind und wie diese unter selbstgewählten Führern stehen. Jene können auf<lb/>
etwa 30.000, diese auf ungefähr 40,000 Mann veranschlagt werden, wobei<lb/>
indeß angenommen ist, daß der Krieg, um den sichs handelt, den Stämmen,<lb/>
die sie enthauben, als heiliger und als Beute verheißender gilt. Die türkische<lb/>
Landarmee wird daher bei der jetzigen Lage der Dinge unter den günstigsten<lb/>
Umständen allerhöchstens folgende Zahlen erreichen können: stehendes Heer<lb/>
220,000 Mann mit 672 Geschützen, Landwehr 115,000, Baschi Bosuk 30.000.<lb/>
Spahi 40.000, zusammen 405.000 Mann; selbst das ist aber ziemlich un¬<lb/>
wahrscheinlich.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_899"> Aegypten und Tunis sind, wie bemerkt, vertragsmäßig verpflichtet, falls<lb/>
die Türkei in einen Krieg verwickelt wird, Hülfscorps zu stellen und zwar<lb/>
beträgt das Contingent Aegyptens 15 bis 20,000 Mann Fußvolk, 2000<lb/>
Reiter und 24 Geschütze, und dasjenige von Tunis 2&#x2014;4000 Mann In¬<lb/>
fanterie, 1000 Kavalleristen und 8 Kanonen. Den Oberbefehl über das<lb/>
gesammte Heer führt der Sultan, dessen Stellvertreter ist der Großwesir, diesem<lb/>
wieder steht der Seriasker (Kriegsminister) zur Seite, welchem die einzelnen<lb/>
Corpscommandos untergeordnet sind.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_900" next="#ID_901"> Jedes Armeecorps soll sich im Kriege in zwei Divisionen (Firka) und<lb/>
jede Division in zwei Brigaden (Lima) theilen. Im Frieden aber besteht<lb/>
keine solche Gliederung, und die Abtheilungen der verschiedenen Armeecorps<lb/>
werden im Kriege wie im Frieden fortwährend durcheinandergeworfen. Die<lb/>
natürliche Folge dieser Vermischung und Durcheinanderschiebung, die ihren</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0350] Schwadronen, und aus denen der Artillerie 6 Landwehrartillerie-Regimenter gebildet werden. Wie das aber geschehen soll, ist rätselhaft; denn es sind weder Cadres, noch Offiziere nach Verwaltungseinrichtungen für derartige Truppenkörper vorhanden, und mit den zur Landwehr entlassenen Mannschaf¬ ten jener Gattung werden keinerlei Uebungen vorgenommen. In Folge dessen können von den Landwehrmännern dieser Waffengattungen im Kriege keine Abtheilungen zur Aufstellung gelangen, und dieselben werden daher bis auf Weiteres zur Ergänzung der betreffenden Waffen des stehenden Heeres, vielleicht auch der Infanterie verwendet werden müssen. Auch der Landsturm ist noch nicht organisirt, es würde ihm an Führern und selbst an nur leidlichen Waffen fehlen. Die Türkei ist daher auch heute noch wie im Krimkriege bet starker Bedrohung ihrer Sicherheit zu einem theilweisen Aufgebot der Baschi Bosuk genöthigt, die von der Regierung mit Waffen und Schießbedarf versehen werden, für ihre Verpflegung aber selbst zu sorgen haben, weshalb sie eine für die Heeresleistung sehr unzuverlässige und für die von ihnen durchzogenen Gegenden äußerst gefährliche Hülfskraft bil¬ den. Ferner kommen hierzu die Spahi, die, meist aus Asien aufgerufen, frei¬ willige Reiter von ähnlichem Schlage wie die zu Fuße dienenden Baschi Bosuk sind und wie diese unter selbstgewählten Führern stehen. Jene können auf etwa 30.000, diese auf ungefähr 40,000 Mann veranschlagt werden, wobei indeß angenommen ist, daß der Krieg, um den sichs handelt, den Stämmen, die sie enthauben, als heiliger und als Beute verheißender gilt. Die türkische Landarmee wird daher bei der jetzigen Lage der Dinge unter den günstigsten Umständen allerhöchstens folgende Zahlen erreichen können: stehendes Heer 220,000 Mann mit 672 Geschützen, Landwehr 115,000, Baschi Bosuk 30.000. Spahi 40.000, zusammen 405.000 Mann; selbst das ist aber ziemlich un¬ wahrscheinlich. Aegypten und Tunis sind, wie bemerkt, vertragsmäßig verpflichtet, falls die Türkei in einen Krieg verwickelt wird, Hülfscorps zu stellen und zwar beträgt das Contingent Aegyptens 15 bis 20,000 Mann Fußvolk, 2000 Reiter und 24 Geschütze, und dasjenige von Tunis 2—4000 Mann In¬ fanterie, 1000 Kavalleristen und 8 Kanonen. Den Oberbefehl über das gesammte Heer führt der Sultan, dessen Stellvertreter ist der Großwesir, diesem wieder steht der Seriasker (Kriegsminister) zur Seite, welchem die einzelnen Corpscommandos untergeordnet sind. Jedes Armeecorps soll sich im Kriege in zwei Divisionen (Firka) und jede Division in zwei Brigaden (Lima) theilen. Im Frieden aber besteht keine solche Gliederung, und die Abtheilungen der verschiedenen Armeecorps werden im Kriege wie im Frieden fortwährend durcheinandergeworfen. Die natürliche Folge dieser Vermischung und Durcheinanderschiebung, die ihren

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/350
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/350>, abgerufen am 27.09.2024.