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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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Me letzte Bayrische Landtagssession.

Endlich, am 22. Juli, hat Prinz Leopold von Bayern in Stellvertretung
des Königs den Landtag geschlossen und damit die unfruchtbarste, trostloseste
und -- man kann wohl sagen scandalöseste aller Kammersessionen, die unser
Land, seitdem es in Besitz seiner Verfassung ist, durchgemacht hat. Fünf volle
Monate saß man beisammen -- und mit Mühe ist nun das Budget fertig
gestellt worden. Kein einziges Gesetz von irgend einer Bedeutung war durch¬
zubringen, keine organisatorische Maßregel von nur irgend welcher Tragweite
hatte Aussicht auf Erfolg. Und war man in den Sitzungen fast Tag für
Tag, bis in die höchste Sommermittagsstunde hinein, wurden Körper und
Geist abgemattet -- xro vikilo, oder doch für etwas: den Mtramontanen
Gelegenheit für das frivolste Spiel zu geben, das jemals in einer parlamen¬
tarischen Versammlung abgespielt worden ist. Wir haben schon im letzten
Briefe darauf hingewiesen, wie die "Zweistimmen-Majorität" von Anfang
der Session an darauf bedacht war, sich zu stärken und die Minderheit zu
schwächen, indem es doch möglich gewesen wäre, daß das klerikale Stimm¬
material nicht vollständig einmal hätte aufmarschiren, daß ein Schnupfen, eine
Migräne oder ein anderer, auch bei sonst handfesten, altbayrischen Patrioten
nicht unabweisbarer Zufall auch den schönsten Clubbeschluß hätte über den
Haufen werfen können. So kam man auf das Radicalmittel, die Gegner,
wenn auch nicht mundtodt, so doch wenigstens stimmtodt zu machen in den
Wahlcassationen, die mit den Abgeordneten der Stadt München den
Anfang machten, freilich nur, um die ganze Nutzlosigkeit dieses Verfahrens
sofort erwiesen zu sehen. Jeder andern politischen Partei wäre wohl bei der
eclatanten Niederlage, welche die Ultramontanen durch die Wiederwahl der
Münchener erfuhren, die Besinnung gekommen, wie das Zaudern auf diesem
Wege fortzufahren. Nicht so aber den Sturm- und Hetzkaplänen der bayri¬
schen Kammer mit der blind ihnen folgenden, compakt geschlossenen Majorität.
Das "ünLömdlö gefällt mir nicht", hatte Herr Jörg offen herausgesagt, und
darum fortcassirt, wo man irgendwie Grund zum Casftren zu haben glaubte.
Und diese Gründe? Fadenscheinigere, frivolere, rechtsverdreherischere sind wohl
noch niemals in einer Versammlung, in einem Parlamente beigebracht worden,
das als "oberster Gerichtshof" saß und die gerechten Schöffen dieses Tribunals
waren bayrische Richter in den höchsten Stellungen. Sie hatten allen Sinn
für das einfachste Rechtsgefühl verloren; die Herren v. Langlois und Bopp--
das waren diese viri ivÄAneg -- urtheilten heut so, morgen anders, je nach¬
dem das Wahlresultat der liberalen oder ultramontanen Partei günstig ge¬
wesen war. Man brauchte den Nachweis mit Zahlen, Wahlkreiseintheilungen,


Me letzte Bayrische Landtagssession.

Endlich, am 22. Juli, hat Prinz Leopold von Bayern in Stellvertretung
des Königs den Landtag geschlossen und damit die unfruchtbarste, trostloseste
und — man kann wohl sagen scandalöseste aller Kammersessionen, die unser
Land, seitdem es in Besitz seiner Verfassung ist, durchgemacht hat. Fünf volle
Monate saß man beisammen — und mit Mühe ist nun das Budget fertig
gestellt worden. Kein einziges Gesetz von irgend einer Bedeutung war durch¬
zubringen, keine organisatorische Maßregel von nur irgend welcher Tragweite
hatte Aussicht auf Erfolg. Und war man in den Sitzungen fast Tag für
Tag, bis in die höchste Sommermittagsstunde hinein, wurden Körper und
Geist abgemattet — xro vikilo, oder doch für etwas: den Mtramontanen
Gelegenheit für das frivolste Spiel zu geben, das jemals in einer parlamen¬
tarischen Versammlung abgespielt worden ist. Wir haben schon im letzten
Briefe darauf hingewiesen, wie die „Zweistimmen-Majorität" von Anfang
der Session an darauf bedacht war, sich zu stärken und die Minderheit zu
schwächen, indem es doch möglich gewesen wäre, daß das klerikale Stimm¬
material nicht vollständig einmal hätte aufmarschiren, daß ein Schnupfen, eine
Migräne oder ein anderer, auch bei sonst handfesten, altbayrischen Patrioten
nicht unabweisbarer Zufall auch den schönsten Clubbeschluß hätte über den
Haufen werfen können. So kam man auf das Radicalmittel, die Gegner,
wenn auch nicht mundtodt, so doch wenigstens stimmtodt zu machen in den
Wahlcassationen, die mit den Abgeordneten der Stadt München den
Anfang machten, freilich nur, um die ganze Nutzlosigkeit dieses Verfahrens
sofort erwiesen zu sehen. Jeder andern politischen Partei wäre wohl bei der
eclatanten Niederlage, welche die Ultramontanen durch die Wiederwahl der
Münchener erfuhren, die Besinnung gekommen, wie das Zaudern auf diesem
Wege fortzufahren. Nicht so aber den Sturm- und Hetzkaplänen der bayri¬
schen Kammer mit der blind ihnen folgenden, compakt geschlossenen Majorität.
Das „ünLömdlö gefällt mir nicht", hatte Herr Jörg offen herausgesagt, und
darum fortcassirt, wo man irgendwie Grund zum Casftren zu haben glaubte.
Und diese Gründe? Fadenscheinigere, frivolere, rechtsverdreherischere sind wohl
noch niemals in einer Versammlung, in einem Parlamente beigebracht worden,
das als „oberster Gerichtshof" saß und die gerechten Schöffen dieses Tribunals
waren bayrische Richter in den höchsten Stellungen. Sie hatten allen Sinn
für das einfachste Rechtsgefühl verloren; die Herren v. Langlois und Bopp—
das waren diese viri ivÄAneg — urtheilten heut so, morgen anders, je nach¬
dem das Wahlresultat der liberalen oder ultramontanen Partei günstig ge¬
wesen war. Man brauchte den Nachweis mit Zahlen, Wahlkreiseintheilungen,


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[0341] Me letzte Bayrische Landtagssession. Endlich, am 22. Juli, hat Prinz Leopold von Bayern in Stellvertretung des Königs den Landtag geschlossen und damit die unfruchtbarste, trostloseste und — man kann wohl sagen scandalöseste aller Kammersessionen, die unser Land, seitdem es in Besitz seiner Verfassung ist, durchgemacht hat. Fünf volle Monate saß man beisammen — und mit Mühe ist nun das Budget fertig gestellt worden. Kein einziges Gesetz von irgend einer Bedeutung war durch¬ zubringen, keine organisatorische Maßregel von nur irgend welcher Tragweite hatte Aussicht auf Erfolg. Und war man in den Sitzungen fast Tag für Tag, bis in die höchste Sommermittagsstunde hinein, wurden Körper und Geist abgemattet — xro vikilo, oder doch für etwas: den Mtramontanen Gelegenheit für das frivolste Spiel zu geben, das jemals in einer parlamen¬ tarischen Versammlung abgespielt worden ist. Wir haben schon im letzten Briefe darauf hingewiesen, wie die „Zweistimmen-Majorität" von Anfang der Session an darauf bedacht war, sich zu stärken und die Minderheit zu schwächen, indem es doch möglich gewesen wäre, daß das klerikale Stimm¬ material nicht vollständig einmal hätte aufmarschiren, daß ein Schnupfen, eine Migräne oder ein anderer, auch bei sonst handfesten, altbayrischen Patrioten nicht unabweisbarer Zufall auch den schönsten Clubbeschluß hätte über den Haufen werfen können. So kam man auf das Radicalmittel, die Gegner, wenn auch nicht mundtodt, so doch wenigstens stimmtodt zu machen in den Wahlcassationen, die mit den Abgeordneten der Stadt München den Anfang machten, freilich nur, um die ganze Nutzlosigkeit dieses Verfahrens sofort erwiesen zu sehen. Jeder andern politischen Partei wäre wohl bei der eclatanten Niederlage, welche die Ultramontanen durch die Wiederwahl der Münchener erfuhren, die Besinnung gekommen, wie das Zaudern auf diesem Wege fortzufahren. Nicht so aber den Sturm- und Hetzkaplänen der bayri¬ schen Kammer mit der blind ihnen folgenden, compakt geschlossenen Majorität. Das „ünLömdlö gefällt mir nicht", hatte Herr Jörg offen herausgesagt, und darum fortcassirt, wo man irgendwie Grund zum Casftren zu haben glaubte. Und diese Gründe? Fadenscheinigere, frivolere, rechtsverdreherischere sind wohl noch niemals in einer Versammlung, in einem Parlamente beigebracht worden, das als „oberster Gerichtshof" saß und die gerechten Schöffen dieses Tribunals waren bayrische Richter in den höchsten Stellungen. Sie hatten allen Sinn für das einfachste Rechtsgefühl verloren; die Herren v. Langlois und Bopp— das waren diese viri ivÄAneg — urtheilten heut so, morgen anders, je nach¬ dem das Wahlresultat der liberalen oder ultramontanen Partei günstig ge¬ wesen war. Man brauchte den Nachweis mit Zahlen, Wahlkreiseintheilungen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/341>, abgerufen am 27.09.2024.