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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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union aus Aseulum. Daß wir es hier mit einer gewerbsmäßigen Industrie
zu thun haben, ist klar, nur gehört dieselbe der unmittelbaren Gegenwart
an. Die Fabrik für falsche Schleudergeschosse in Ascoli geht, nach der vor-
liegenden Probe zu urtheilen, der sicher recht bald andere nachfolgen werden,
nicht so sehr darauf aus, antike Geschosse zu copiren, sondern neue anzu¬
fertigen, weil dieses Geschäft größeren Gewinn verheißt." Es ist oben nach
Bergl darauf hingewissen worden, daß man oft schon gebrauchte Geschosse
zu abermaligem Gebrauche neu abstempelte und so gewissermaßen palim-
psestische Aufschriften herstellte, und die Bonner Sammlung bietet für dieses
von Herrn Bergl zuerst beachtete Verfahren mehrfache Belege dar. "Dem
Scharfblicke der Industriellen in Ascoli ist dies nicht entgangen, und sie ver¬
legen sich besonders darauf, Wurfgeschosse mit solchen Palimpsestaufschriften
zu fabriciren, indem sie ganz richtig voraussetzen, daß diese Manier schon
wegen ihrer Neuheit auf Käufer und Forscher vorzugsweise Anziehungskraft
ausüben werde. So zeigen die Bleieicheln bei Desjardins in der Regel zwei,
ja drei, oder sogar vier verschiedene Marken." Ur. 105 z. B. enthält halb-
verwischt den Namen Piso's, des Consuls des Jahres 621, darüber wohl¬
erhalten den des obengenannten Jnsurgentenführers Paapius und auf der
andern Seite den Stempel der elften Legion mit ihrem Losungsworte vivos
^uUug. Damit soll angezeigt werden, daß dieses Blei eine dreifache Ver¬
wendung gefunden hat: im sicilischen Sklavenkriege im I. 621, im Bundes¬
genossenkriege, der 43 Jahre, und bei der Belagerung Perusias, die wieder
49 Jahre später begann. "Demnach wären wir im Stande, die Schicksale
dieses Geschosses nahezu ein ganzes Jahrhundert hindurch zu verfolgen. Da
nun aber in den Zwischenzeiten die römischen Waffen nicht ruhten, so ist es
überaus merkwürdig, daß keines dieser ungestempelten Geschosse Spuren seiner
Verwendung in andern Kriegen zeigt; vielmehr gehen alle die verschiedenen
Marken der Asculaner Fabrik seltsamer Weise immer nur auf die drei Kriege
zurück, auf deren Schauplatze man bisher (abgesehen von Sens und Munda)
überhaupt römische Bleigeschosse gefunden hat. Man fleht daraus, wie diese
Industrie sich möglichst eng an das Vorhandene anschließt und darauf
verzichtet, über diesen Kreis hinaus das Gebiet der freien Erfindung zu
betreten."

Wenn diese Industriellen die verschiedenartigsten Marken aus einem Blei
vereinigen, so sorgen sie dafür, daß meist zwei derselben gut lesbar sind.
"Dieß würde schwer ausführbar gewesen sein, wenn man wirklich antike Ge¬
schosse benutzt hätte; denn durch das Neustempeln wird in der Regel die
ältere Aufschrift zerquetscht. Allein wir haben es hier mit vollkommen freien
Nachbildungen zu thun. Da war es für die Kunst der Verfertiger leicht,
beliebig die eine Marke als wohl erhalten, die andere mit undeutlichen Zügen


union aus Aseulum. Daß wir es hier mit einer gewerbsmäßigen Industrie
zu thun haben, ist klar, nur gehört dieselbe der unmittelbaren Gegenwart
an. Die Fabrik für falsche Schleudergeschosse in Ascoli geht, nach der vor-
liegenden Probe zu urtheilen, der sicher recht bald andere nachfolgen werden,
nicht so sehr darauf aus, antike Geschosse zu copiren, sondern neue anzu¬
fertigen, weil dieses Geschäft größeren Gewinn verheißt." Es ist oben nach
Bergl darauf hingewissen worden, daß man oft schon gebrauchte Geschosse
zu abermaligem Gebrauche neu abstempelte und so gewissermaßen palim-
psestische Aufschriften herstellte, und die Bonner Sammlung bietet für dieses
von Herrn Bergl zuerst beachtete Verfahren mehrfache Belege dar. „Dem
Scharfblicke der Industriellen in Ascoli ist dies nicht entgangen, und sie ver¬
legen sich besonders darauf, Wurfgeschosse mit solchen Palimpsestaufschriften
zu fabriciren, indem sie ganz richtig voraussetzen, daß diese Manier schon
wegen ihrer Neuheit auf Käufer und Forscher vorzugsweise Anziehungskraft
ausüben werde. So zeigen die Bleieicheln bei Desjardins in der Regel zwei,
ja drei, oder sogar vier verschiedene Marken." Ur. 105 z. B. enthält halb-
verwischt den Namen Piso's, des Consuls des Jahres 621, darüber wohl¬
erhalten den des obengenannten Jnsurgentenführers Paapius und auf der
andern Seite den Stempel der elften Legion mit ihrem Losungsworte vivos
^uUug. Damit soll angezeigt werden, daß dieses Blei eine dreifache Ver¬
wendung gefunden hat: im sicilischen Sklavenkriege im I. 621, im Bundes¬
genossenkriege, der 43 Jahre, und bei der Belagerung Perusias, die wieder
49 Jahre später begann. „Demnach wären wir im Stande, die Schicksale
dieses Geschosses nahezu ein ganzes Jahrhundert hindurch zu verfolgen. Da
nun aber in den Zwischenzeiten die römischen Waffen nicht ruhten, so ist es
überaus merkwürdig, daß keines dieser ungestempelten Geschosse Spuren seiner
Verwendung in andern Kriegen zeigt; vielmehr gehen alle die verschiedenen
Marken der Asculaner Fabrik seltsamer Weise immer nur auf die drei Kriege
zurück, auf deren Schauplatze man bisher (abgesehen von Sens und Munda)
überhaupt römische Bleigeschosse gefunden hat. Man fleht daraus, wie diese
Industrie sich möglichst eng an das Vorhandene anschließt und darauf
verzichtet, über diesen Kreis hinaus das Gebiet der freien Erfindung zu
betreten."

Wenn diese Industriellen die verschiedenartigsten Marken aus einem Blei
vereinigen, so sorgen sie dafür, daß meist zwei derselben gut lesbar sind.
„Dieß würde schwer ausführbar gewesen sein, wenn man wirklich antike Ge¬
schosse benutzt hätte; denn durch das Neustempeln wird in der Regel die
ältere Aufschrift zerquetscht. Allein wir haben es hier mit vollkommen freien
Nachbildungen zu thun. Da war es für die Kunst der Verfertiger leicht,
beliebig die eine Marke als wohl erhalten, die andere mit undeutlichen Zügen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/335>, abgerufen am 20.10.2024.