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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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Berlins empfohlenen Erwerbung des Museums ein ganz entschiedenes
Seitenstück der Moabitica, dieser "evidenten Blanc", vor uns haben.

Als solches Seitenstück vorzüglich besprechen wir sie in einem ausführlichen
Auszuge aus der Bergl'schen Schrift, wobei wir enthaltsam nichts von eig¬
nem Gewächs einschalten und im Vertrauen darauf, daß der Leser die Moral,
die sich aus dieser dritten unerquicklichen Geschichte ziehen läßt, mühelos selbst
herausfinden wird, auch von erbaulichen Schlußbetrachtungen, davon sich uns
eine Fülle aufdrängt, Abstand nehmen. Nur Eins sei für Nichtkenner der
Personalien bemerkt. Bei Schleudergeschossen findet man sich unwillkürlich
an David und Goliath (1. Sam. 17) erinnert, und damit kein falsches Bild
herauskomme, machen wir darauf aufmerksam, daß hier wie dort der Aus¬
gang der Sache zwar ungefähr der nämliche, der Sieger in unserm Falle
aber kein "Knabe", sondern "ein Kriegsmann von seiner Jagend auf", d.
h. ein älterer Philolog von reichem Wissen und bester Schulung ist.

Unter den Wurfwaffen nimmt die Schleuder im Alterthum eine hervor¬
ragende Stelle ein, und noch sind uns zahlreiche altgriechische und altrömische
Schleudergeschosse mit ihren Inschriften erhalten. Ueber die griechischen ver¬
danken wir W. Bischer eine alles Wesentliche übersichtlich zusammenfassende
Abhandlung. Für die römischen war die Arbeit des Jtalieners de Minicis
grundlegend, welche, wenn auch nicht frei von manchen Schwächen, doch als
erste vollständige Sammlung des reichen Materials und wegen ihrer meist
getreuen Nachbildungen Lob verdient. Daran schließen sich die Arbeiten von
Ritschl und Mommsen. Letzterer vervollständigte (im Corp. Inscr. Lat. und
den Nachträgen) das Verzeichniß der Schleuderbleie und unternahm zum er¬
sten Male die Behandlung der auf denselben befindlichen Inschriften nach
den Grundsätzen methodischer Kritik und Exegese, wobei er nicht immer glück¬
lich war. Bergl wirft ihm vor und beweist mit zahlreichen Beispielen, daß
er, der nur wenige Exemplare selbst untersucht habe, den Angaben seines
Vorgängers de Minicis und anderer älterer Forscher zu sehr mißtraue und
zu sehr geneigt sei, Lesefehler anzunehmen und die verschiedenartigsten Marken
auf eine einzige zurückzuführen, wozu die Gleichheit einzelner Worte oder die
bloße Aehnlichkeit der Buchstaben nicht ausreiche. Ferner verdächtige er ohne
rechten Grund die ausdrücklichen Angaben jener seiner Vorgänger, die als
ehrenhafte Männer die Absicht zu täuschen nicht gehabt hätten. Andrerseits
endlich folge er denselben zu bereitwillig in ihren irrthümlichen Erklärungen
und komme auf diesem Wege dazu, eine Menge Geschosse mindestens als
zweifelhaft, andere geradezu als moderne Fälschungen anzusehen. Eine
Sammlung neu aufgefundener Schleudergeschosse bewog Herrn Bergl zu einer
Revision dieser Klasse von Denkmälern, wodurch die Mommsen'schen Irr¬
thümer beseitigt wurden. Den werthvollsten Theil dieser in Bonn befindlichen


Berlins empfohlenen Erwerbung des Museums ein ganz entschiedenes
Seitenstück der Moabitica, dieser „evidenten Blanc", vor uns haben.

Als solches Seitenstück vorzüglich besprechen wir sie in einem ausführlichen
Auszuge aus der Bergl'schen Schrift, wobei wir enthaltsam nichts von eig¬
nem Gewächs einschalten und im Vertrauen darauf, daß der Leser die Moral,
die sich aus dieser dritten unerquicklichen Geschichte ziehen läßt, mühelos selbst
herausfinden wird, auch von erbaulichen Schlußbetrachtungen, davon sich uns
eine Fülle aufdrängt, Abstand nehmen. Nur Eins sei für Nichtkenner der
Personalien bemerkt. Bei Schleudergeschossen findet man sich unwillkürlich
an David und Goliath (1. Sam. 17) erinnert, und damit kein falsches Bild
herauskomme, machen wir darauf aufmerksam, daß hier wie dort der Aus¬
gang der Sache zwar ungefähr der nämliche, der Sieger in unserm Falle
aber kein „Knabe", sondern „ein Kriegsmann von seiner Jagend auf", d.
h. ein älterer Philolog von reichem Wissen und bester Schulung ist.

Unter den Wurfwaffen nimmt die Schleuder im Alterthum eine hervor¬
ragende Stelle ein, und noch sind uns zahlreiche altgriechische und altrömische
Schleudergeschosse mit ihren Inschriften erhalten. Ueber die griechischen ver¬
danken wir W. Bischer eine alles Wesentliche übersichtlich zusammenfassende
Abhandlung. Für die römischen war die Arbeit des Jtalieners de Minicis
grundlegend, welche, wenn auch nicht frei von manchen Schwächen, doch als
erste vollständige Sammlung des reichen Materials und wegen ihrer meist
getreuen Nachbildungen Lob verdient. Daran schließen sich die Arbeiten von
Ritschl und Mommsen. Letzterer vervollständigte (im Corp. Inscr. Lat. und
den Nachträgen) das Verzeichniß der Schleuderbleie und unternahm zum er¬
sten Male die Behandlung der auf denselben befindlichen Inschriften nach
den Grundsätzen methodischer Kritik und Exegese, wobei er nicht immer glück¬
lich war. Bergl wirft ihm vor und beweist mit zahlreichen Beispielen, daß
er, der nur wenige Exemplare selbst untersucht habe, den Angaben seines
Vorgängers de Minicis und anderer älterer Forscher zu sehr mißtraue und
zu sehr geneigt sei, Lesefehler anzunehmen und die verschiedenartigsten Marken
auf eine einzige zurückzuführen, wozu die Gleichheit einzelner Worte oder die
bloße Aehnlichkeit der Buchstaben nicht ausreiche. Ferner verdächtige er ohne
rechten Grund die ausdrücklichen Angaben jener seiner Vorgänger, die als
ehrenhafte Männer die Absicht zu täuschen nicht gehabt hätten. Andrerseits
endlich folge er denselben zu bereitwillig in ihren irrthümlichen Erklärungen
und komme auf diesem Wege dazu, eine Menge Geschosse mindestens als
zweifelhaft, andere geradezu als moderne Fälschungen anzusehen. Eine
Sammlung neu aufgefundener Schleudergeschosse bewog Herrn Bergl zu einer
Revision dieser Klasse von Denkmälern, wodurch die Mommsen'schen Irr¬
thümer beseitigt wurden. Den werthvollsten Theil dieser in Bonn befindlichen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/331>, abgerufen am 20.10.2024.