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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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2. Abschaffung der Verpachtung der Steuern,
3. Gesetzliche Verbürgung. daß die directen Steuern Bosniens und der
Herzegowina nur zum Besten der Provinz selbst verwendet werden,
4. Einsetzung eines zu gleichen Theilen aus Christen und Muslimen zu¬
sammengesetzten Ausschusses zur Ueberwachung der Ausführung jener im
Jrade vom 2. October verkündeten Reformen,
6. Verbesserung der wirthschaftlichen Lage der Landbevölkerung.

Durch eine Note vom 13. Februar d. I, hat sich die Pforte zur Ein¬
führung dieser Reformen mit Ausnahme des in Punkt 3 gestellten Ver¬
langens bereit erklärt, man darf aber mit Bestimmtheit annehmen, daß es
entweder beim Alten verbleiben oder daß man die Reformen in einer Weise
handhaben wird, die sie zu bloßen Scheinverbesserungen herabsetzt. Alle
Reformen sind unter den wiederholt angedeuteten Verhältnissen hier Pfuscher¬
arbeit, mit wenig gutem Willen unternommen, von dem türkischen Volke
mit scheelen Blicken angesehen und, sobald die Anregung und Controle von
fränkischer Seite her nachläßt, ohne Weiteres aufgegegeben und bei Seite ge¬
worfen. Die ganze innere Politik des Divans ist ein Leben von einem Tag
auf den andern, sie besteht nur darin, gefährlichen Anstößer nach Möglichkeit
auszuweichen und schwierige Fragen auf die lange Bank zu schieben. Wenn
sie jetzt gar auf Einführung des konstitutionellen Systems als auf ein Radi¬
kalmittel gegen die Auszehrung des Reiches reflectirt, so gehört ein ganz
und gar verbrannter liberaler Doctrinarismus, ein Berge versetzender Aber¬
glaube an die konstitutionelle Panacee dazu, um das nicht abgeschmackt
zu finden.

Am meisten ist in der Türkei oder besser in einzelnen Orten und Gegen¬
den der Türkei in den letzten Jahren für das Btldungswesen geschehen. Doch
stehen auch hier die Christen, namentlich die Griechen und Armenier in erster
und die Türken erst in zweiter Linie. In Konstantinopel sind auf diesem
Gebiete recht beachtenswerthe Fortschritte zu verzeichnen. Gegenwärtig be¬
stehen dort circa zweihundert Volksschulen, in welchen die Kinder, Knaben
sowohl als Mädchen, Unterricht in der türkischen Sprache, sowie im Lesen,
Schreiben und Rechnen erhalten. Der secundäre Unterricht wird in den
Schulen der verschiedenen Nationalitäten ertheilt, deren die deutsche drei besitzt.
Unter den Privatinstituten zur Ausbildung von Mädchen in höheren Kennt¬
nissen befindet sich auch ein gut organisirtes türkisches, für die beste unter
diesen Anstalten aber gilt das armenische Pensionat der Frau Furet, deren
Leistungen in literarischer Beziehung auch von der Jury der wiener Welt-
ausstellung anerkannt wurden. Die medicinische Schule, vorzüglich zur Her¬
anbildung von Militärärzten bestimmt, wird als eine den Anforderungen,
die an eine solche Anstalt billigerweise zu stellen sind, vollkommen entsprechende


2. Abschaffung der Verpachtung der Steuern,
3. Gesetzliche Verbürgung. daß die directen Steuern Bosniens und der
Herzegowina nur zum Besten der Provinz selbst verwendet werden,
4. Einsetzung eines zu gleichen Theilen aus Christen und Muslimen zu¬
sammengesetzten Ausschusses zur Ueberwachung der Ausführung jener im
Jrade vom 2. October verkündeten Reformen,
6. Verbesserung der wirthschaftlichen Lage der Landbevölkerung.

Durch eine Note vom 13. Februar d. I, hat sich die Pforte zur Ein¬
führung dieser Reformen mit Ausnahme des in Punkt 3 gestellten Ver¬
langens bereit erklärt, man darf aber mit Bestimmtheit annehmen, daß es
entweder beim Alten verbleiben oder daß man die Reformen in einer Weise
handhaben wird, die sie zu bloßen Scheinverbesserungen herabsetzt. Alle
Reformen sind unter den wiederholt angedeuteten Verhältnissen hier Pfuscher¬
arbeit, mit wenig gutem Willen unternommen, von dem türkischen Volke
mit scheelen Blicken angesehen und, sobald die Anregung und Controle von
fränkischer Seite her nachläßt, ohne Weiteres aufgegegeben und bei Seite ge¬
worfen. Die ganze innere Politik des Divans ist ein Leben von einem Tag
auf den andern, sie besteht nur darin, gefährlichen Anstößer nach Möglichkeit
auszuweichen und schwierige Fragen auf die lange Bank zu schieben. Wenn
sie jetzt gar auf Einführung des konstitutionellen Systems als auf ein Radi¬
kalmittel gegen die Auszehrung des Reiches reflectirt, so gehört ein ganz
und gar verbrannter liberaler Doctrinarismus, ein Berge versetzender Aber¬
glaube an die konstitutionelle Panacee dazu, um das nicht abgeschmackt
zu finden.

Am meisten ist in der Türkei oder besser in einzelnen Orten und Gegen¬
den der Türkei in den letzten Jahren für das Btldungswesen geschehen. Doch
stehen auch hier die Christen, namentlich die Griechen und Armenier in erster
und die Türken erst in zweiter Linie. In Konstantinopel sind auf diesem
Gebiete recht beachtenswerthe Fortschritte zu verzeichnen. Gegenwärtig be¬
stehen dort circa zweihundert Volksschulen, in welchen die Kinder, Knaben
sowohl als Mädchen, Unterricht in der türkischen Sprache, sowie im Lesen,
Schreiben und Rechnen erhalten. Der secundäre Unterricht wird in den
Schulen der verschiedenen Nationalitäten ertheilt, deren die deutsche drei besitzt.
Unter den Privatinstituten zur Ausbildung von Mädchen in höheren Kennt¬
nissen befindet sich auch ein gut organisirtes türkisches, für die beste unter
diesen Anstalten aber gilt das armenische Pensionat der Frau Furet, deren
Leistungen in literarischer Beziehung auch von der Jury der wiener Welt-
ausstellung anerkannt wurden. Die medicinische Schule, vorzüglich zur Her¬
anbildung von Militärärzten bestimmt, wird als eine den Anforderungen,
die an eine solche Anstalt billigerweise zu stellen sind, vollkommen entsprechende


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/318>, abgerufen am 20.10.2024.