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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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Betriebs zu erreichen ist. Wenn wir alle diese Seiten der Frage untersucht
und möglichst zuverlässige Resultate gewonnen haben, werden wir zur Prü¬
fung der Frage übergehen, wie weit die für den Staat im Allgemeinen als
nützlich erkannten Einrichtungen sich auf das deutsche Reich anwenden lassen.
Wenn wir uns dann erlauben werden, auch die politische Seite der Frage zu
erörtern, so werden wir von unserm völlig unparteiischen Standpunkte aus
natürlicher Weise das Interesse des Ganzen über das des Theils zu stellen
haben und deshalb auch die politische Frage mehr vom Gesichtspunkt des
Vortheils der deutschen Nation wie des der Regierungen und Eisenbcchn-Di-
rectionen einzelner Staaten beurtheilen.

Die Schlagworte, denen wir in der Eisenbahnfrage in ihrem bisherigen
Stadium der Discussion am meisten begegnen, sind:

1) Die Privat-Jndustrie erzielt oft bessere Erfolge als die gewerbliche Thä¬
tigkeit des Staates.
2) Der Staat arbeitet theuerer als der Privatmann.
3) Die Concurrenz ist die Triebfeder des Fortschritts in der Industrie.
4) Die Kosten eines gewerblichen Betriebes vermehren sich, wenn derselbe
eine gewisse Grenze überschreitet.
ö) Eine centralisirte Verwaltung ist nicht im Stande, die localen Bedürf¬
nisse zu erkennen und geeignet zu berücksichtigen.
6) Die Reichsregierung ist außer Stande, das verwickelte Transportgewerbe
für mehr als 40 Mill. Menschen mit Erfolg zu betreiben oder auch nur
von oben herab einheitlich zu organisiren.
7) Noch kein Großstaat hat sich an eine solche Aufgabe gewagt.
8) Sowohl in England und Frankreich, wie in den vereinigten Staaten der
Schweiz habe man die Eisenbahnen der Privat-Jndustrie überlassen.
9) Das Reich würde durch die Uebernahme der Eisenbahnen eine zu große
Schuldenlast auf sich laden.
10) Die Privatbahnen haben dem Verkehr große Dienste geleistet und ohne
sie hätten die Eisenbahnen noch gar nicht ihre heutige Ausdehnung und
Vollendung erreicht.

Diesen und ähnlichen Schlagworten stehen auch Einwendungen und
Besorgnisse zur Seite, welche mehr oder weniger begründet sind. Um unsere
Aufgabe indessen übersichtlicher zu gestalten und sie einfacher und klarer hin¬
zustellen, wollen wir die letzteren erst bei den einzelnen Phasen des Gegen¬
standes hervorheben und widerlegen, und vorerst mit den bloßen Schlagwor¬
ten aufzuräumen suchen, auf welche die Gegner sowohl des Staatsbahnsystems
wie der Reichseisenbahnen ganze Gebäude von Trugschlüssen aufzuführen ver¬
sucht werden.


Betriebs zu erreichen ist. Wenn wir alle diese Seiten der Frage untersucht
und möglichst zuverlässige Resultate gewonnen haben, werden wir zur Prü¬
fung der Frage übergehen, wie weit die für den Staat im Allgemeinen als
nützlich erkannten Einrichtungen sich auf das deutsche Reich anwenden lassen.
Wenn wir uns dann erlauben werden, auch die politische Seite der Frage zu
erörtern, so werden wir von unserm völlig unparteiischen Standpunkte aus
natürlicher Weise das Interesse des Ganzen über das des Theils zu stellen
haben und deshalb auch die politische Frage mehr vom Gesichtspunkt des
Vortheils der deutschen Nation wie des der Regierungen und Eisenbcchn-Di-
rectionen einzelner Staaten beurtheilen.

Die Schlagworte, denen wir in der Eisenbahnfrage in ihrem bisherigen
Stadium der Discussion am meisten begegnen, sind:

1) Die Privat-Jndustrie erzielt oft bessere Erfolge als die gewerbliche Thä¬
tigkeit des Staates.
2) Der Staat arbeitet theuerer als der Privatmann.
3) Die Concurrenz ist die Triebfeder des Fortschritts in der Industrie.
4) Die Kosten eines gewerblichen Betriebes vermehren sich, wenn derselbe
eine gewisse Grenze überschreitet.
ö) Eine centralisirte Verwaltung ist nicht im Stande, die localen Bedürf¬
nisse zu erkennen und geeignet zu berücksichtigen.
6) Die Reichsregierung ist außer Stande, das verwickelte Transportgewerbe
für mehr als 40 Mill. Menschen mit Erfolg zu betreiben oder auch nur
von oben herab einheitlich zu organisiren.
7) Noch kein Großstaat hat sich an eine solche Aufgabe gewagt.
8) Sowohl in England und Frankreich, wie in den vereinigten Staaten der
Schweiz habe man die Eisenbahnen der Privat-Jndustrie überlassen.
9) Das Reich würde durch die Uebernahme der Eisenbahnen eine zu große
Schuldenlast auf sich laden.
10) Die Privatbahnen haben dem Verkehr große Dienste geleistet und ohne
sie hätten die Eisenbahnen noch gar nicht ihre heutige Ausdehnung und
Vollendung erreicht.

Diesen und ähnlichen Schlagworten stehen auch Einwendungen und
Besorgnisse zur Seite, welche mehr oder weniger begründet sind. Um unsere
Aufgabe indessen übersichtlicher zu gestalten und sie einfacher und klarer hin¬
zustellen, wollen wir die letzteren erst bei den einzelnen Phasen des Gegen¬
standes hervorheben und widerlegen, und vorerst mit den bloßen Schlagwor¬
ten aufzuräumen suchen, auf welche die Gegner sowohl des Staatsbahnsystems
wie der Reichseisenbahnen ganze Gebäude von Trugschlüssen aufzuführen ver¬
sucht werden.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/292>, abgerufen am 27.09.2024.