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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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Staatsbürger als der fortdauernd sprudelnden Lebensquelle des nationalen
Reichthums. Will man diesen Gegensatz zwischen potentieller Gütergemein¬
schaft und speciellen Eigenthumsrecht aufheben, so hebt man allemal mit der
einen Potenz auch die andere auf. Wo der Staat Alles, was ihm potentiell
angehört, in wirklichen Besitz nehmen will, da hört der Staatsbürger auf,
Güter zu schaffen; andererseits muß sich der Nationalreichthum in National¬
bettel verwandeln, wenn sich die einzelnen Staatsbürger in den Schatz der
nationalen Güter theilen wollen. Nach der einen Seite hin sehen wir den
Ruin orientalischer Staaten, nach der andern Seite hin könnte occidentalisches
Verderben nicht ausbleiben.

Die partielle Verwirklichung der potentiellen Gütergemeinschaft einer
nationalen Gesammtheit kann nun offenbar bei dem Spiel der Freiheit sehr
leicht das Gleichgewicht der verschiedenen actuellen Anwendungen der Güter¬
gemeinschaft verlieren.

So kann es nach der einen Seite des Gesellschaftslebens zu wenig Güter¬
gemeinschaft geben, nach der andern Seite zu viel. Der erstere Fall tritt
ein, wenn man den Armen in den Bettelstand verfallen läßt, wenn man dem
Handarbeiter seinen Lohn und seine Bürgerehre verkürzt, oder nicht darauf
Bedacht nimmt, ihm seine Gebühr zu geben nach den Arbeitswerthen eines
menschlichen Geisterreichs, nicht aber einer thierischen Beutetheilung. Nach
der anderen Seite hin aber kann sich die faktische Gütergemeinschaft steigern,
weit über das gesunde Maß hinaus. Daß dies von einem völlig unbe¬
schränkten Collectenwesen gelten kann, liegt auf der Hand, und es ist be¬
kannt, daß Philipp der Schöne dadurch den Zorn Bonifacius' VIII.
im höchsten Maß errgte, daß er die Ausfuhr der Gelder seines Landes
unter allerlei klerikalen Vorwänden gesetzlich verbot. Der Umstand aber, der
und hier beschäftigt und beunruhigt, ist die vielfache Ueberspannung der
Gütergemeinschaft in den modernen Assekuranzen, diese stehende moderne
Versuchung, welche auch noch in Zukunft eine Quelle vieler Verbrechen wer¬
den kann. So sind gegenwärtig schon die überspannten gesellschaftlichen Ver¬
sicherungen vielfach eine Quelle unheimlicher Unsicherheit geworden; ganz abge¬
sehen von der colossalsten Versicherung, der vaticanischen, welche den Zustand
der christlichen Menschheit zu einem permanenten Erdbeben gemacht hat.

Möge also auch der Geist der Gesetzgebung und Polizei mit dem Geiste
der Sittlichkeit die schreckenvollen Kisten des Thomas im Andenken be¬
halten.




Staatsbürger als der fortdauernd sprudelnden Lebensquelle des nationalen
Reichthums. Will man diesen Gegensatz zwischen potentieller Gütergemein¬
schaft und speciellen Eigenthumsrecht aufheben, so hebt man allemal mit der
einen Potenz auch die andere auf. Wo der Staat Alles, was ihm potentiell
angehört, in wirklichen Besitz nehmen will, da hört der Staatsbürger auf,
Güter zu schaffen; andererseits muß sich der Nationalreichthum in National¬
bettel verwandeln, wenn sich die einzelnen Staatsbürger in den Schatz der
nationalen Güter theilen wollen. Nach der einen Seite hin sehen wir den
Ruin orientalischer Staaten, nach der andern Seite hin könnte occidentalisches
Verderben nicht ausbleiben.

Die partielle Verwirklichung der potentiellen Gütergemeinschaft einer
nationalen Gesammtheit kann nun offenbar bei dem Spiel der Freiheit sehr
leicht das Gleichgewicht der verschiedenen actuellen Anwendungen der Güter¬
gemeinschaft verlieren.

So kann es nach der einen Seite des Gesellschaftslebens zu wenig Güter¬
gemeinschaft geben, nach der andern Seite zu viel. Der erstere Fall tritt
ein, wenn man den Armen in den Bettelstand verfallen läßt, wenn man dem
Handarbeiter seinen Lohn und seine Bürgerehre verkürzt, oder nicht darauf
Bedacht nimmt, ihm seine Gebühr zu geben nach den Arbeitswerthen eines
menschlichen Geisterreichs, nicht aber einer thierischen Beutetheilung. Nach
der anderen Seite hin aber kann sich die faktische Gütergemeinschaft steigern,
weit über das gesunde Maß hinaus. Daß dies von einem völlig unbe¬
schränkten Collectenwesen gelten kann, liegt auf der Hand, und es ist be¬
kannt, daß Philipp der Schöne dadurch den Zorn Bonifacius' VIII.
im höchsten Maß errgte, daß er die Ausfuhr der Gelder seines Landes
unter allerlei klerikalen Vorwänden gesetzlich verbot. Der Umstand aber, der
und hier beschäftigt und beunruhigt, ist die vielfache Ueberspannung der
Gütergemeinschaft in den modernen Assekuranzen, diese stehende moderne
Versuchung, welche auch noch in Zukunft eine Quelle vieler Verbrechen wer¬
den kann. So sind gegenwärtig schon die überspannten gesellschaftlichen Ver¬
sicherungen vielfach eine Quelle unheimlicher Unsicherheit geworden; ganz abge¬
sehen von der colossalsten Versicherung, der vaticanischen, welche den Zustand
der christlichen Menschheit zu einem permanenten Erdbeben gemacht hat.

Möge also auch der Geist der Gesetzgebung und Polizei mit dem Geiste
der Sittlichkeit die schreckenvollen Kisten des Thomas im Andenken be¬
halten.




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[0286] Staatsbürger als der fortdauernd sprudelnden Lebensquelle des nationalen Reichthums. Will man diesen Gegensatz zwischen potentieller Gütergemein¬ schaft und speciellen Eigenthumsrecht aufheben, so hebt man allemal mit der einen Potenz auch die andere auf. Wo der Staat Alles, was ihm potentiell angehört, in wirklichen Besitz nehmen will, da hört der Staatsbürger auf, Güter zu schaffen; andererseits muß sich der Nationalreichthum in National¬ bettel verwandeln, wenn sich die einzelnen Staatsbürger in den Schatz der nationalen Güter theilen wollen. Nach der einen Seite hin sehen wir den Ruin orientalischer Staaten, nach der andern Seite hin könnte occidentalisches Verderben nicht ausbleiben. Die partielle Verwirklichung der potentiellen Gütergemeinschaft einer nationalen Gesammtheit kann nun offenbar bei dem Spiel der Freiheit sehr leicht das Gleichgewicht der verschiedenen actuellen Anwendungen der Güter¬ gemeinschaft verlieren. So kann es nach der einen Seite des Gesellschaftslebens zu wenig Güter¬ gemeinschaft geben, nach der andern Seite zu viel. Der erstere Fall tritt ein, wenn man den Armen in den Bettelstand verfallen läßt, wenn man dem Handarbeiter seinen Lohn und seine Bürgerehre verkürzt, oder nicht darauf Bedacht nimmt, ihm seine Gebühr zu geben nach den Arbeitswerthen eines menschlichen Geisterreichs, nicht aber einer thierischen Beutetheilung. Nach der anderen Seite hin aber kann sich die faktische Gütergemeinschaft steigern, weit über das gesunde Maß hinaus. Daß dies von einem völlig unbe¬ schränkten Collectenwesen gelten kann, liegt auf der Hand, und es ist be¬ kannt, daß Philipp der Schöne dadurch den Zorn Bonifacius' VIII. im höchsten Maß errgte, daß er die Ausfuhr der Gelder seines Landes unter allerlei klerikalen Vorwänden gesetzlich verbot. Der Umstand aber, der und hier beschäftigt und beunruhigt, ist die vielfache Ueberspannung der Gütergemeinschaft in den modernen Assekuranzen, diese stehende moderne Versuchung, welche auch noch in Zukunft eine Quelle vieler Verbrechen wer¬ den kann. So sind gegenwärtig schon die überspannten gesellschaftlichen Ver¬ sicherungen vielfach eine Quelle unheimlicher Unsicherheit geworden; ganz abge¬ sehen von der colossalsten Versicherung, der vaticanischen, welche den Zustand der christlichen Menschheit zu einem permanenten Erdbeben gemacht hat. Möge also auch der Geist der Gesetzgebung und Polizei mit dem Geiste der Sittlichkeit die schreckenvollen Kisten des Thomas im Andenken be¬ halten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/286>, abgerufen am 27.09.2024.