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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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gleich erschöpft sie. Wenn man einen Duelldegen zum ersten Male zu ernstem
Kampfe in die Hand nimmt, ist einem, als ob es die Keule eines Riesen
wäre. Nach zwei Minuten schon wird er zu schwer. Wenn man parirt,
scheint er sich nach dem Horizont zu senken, in dem er der vis inertiae nach¬
giebt. Damit stoßen ist noch schwieriger. Die Kunst des Fechters liegt vor
Allem darin, daß er erstens die Spitze seines Degens nicht über die Seiten
seines Körpers hinausgehen läßt, und daß er zweitens seine Waffe nur mit
der Hand, nicht mit den Arme bewegt. Das ist aber natürlich schwer mit
einem Dinge, welches an Gewicht einer Keule zu gleichen scheint. Manche
Fechter gebrauchen deshalb bet ihren Uebungen, um sich an dieses Phänomen
zu gewöhnen, statt des Fleurets ein doppelt oder dreifach so schweres Rappier.

Zerbrochene Klingen machen die Fechtübungen sehr kostspielig; denn sie
kosten zwei Francs das Stück, und der Fechter kann, wenn er mit der Wahl
Unglück hat, in der Stunde ein halbes Dutzend zerbrechen. Der Fechtmeister,
der sie besorgt und für das Stück höchstens einen Franc zahlt, nimmt natürlich
die schlechtesten, die er bekommen kann. Selbst der vorsichtigste Fechter zerbricht
im Monat durchschnittlich für sechzehn bis zwanzig Francs Klingen, es giebt
aber Leute, die für sechzig bis achtzig Francs zerbrechen. Der Schüler hat
nicht allein die Klingen zu bezahlen, die er selbst, sondern auch die, welche
der Lehrer zerbricht, und der sorgt dafür, daß so viele entzwei gehen, als
der Zögling seiner Meinung nach ohne Murren und ohne die Stunden auf¬
zugeben, bezahlen wird.

Das Lächerlichste, was man auf einem Fechtboden sehen kann, ist die
Erscheinung eines guten Jungen, der in ein Duell hineingestolpert oder
hineingeschoben worden ist, während er seinem Leben bisher ein Rappier nur
im Schaufenster des Waffenhändlers gesehen hat. Man glaubt vielfach, daß
jeder Fechtmeister ein Geheimniß habe, vermittelst dessen der Anfänger
den gewandtesten Fechter besiegen könne. Alle Welt hat davon gehört, daß
die erfahrensten Kampfhähne von Novizen erstochen worden sind. Das ist
möglich, aber gewiß ist es dann nicht in Folge eines besonders künstlichen
Stoßes, sondern einfach dadurch geschehen, daß der Novize den Degen spitz
vor sich hingehalten und der Gegner sich unbehutsam darauf gespießt hat. Es
ist wahr, ein Novize, der seinen Gegner flink und lebhaft angreift, kann
ihn in Verlegenheit setzen. Wie jedermann seinen Gang, seine besondere
Haltung, seine Handschrift und seinen Stil hat, so hat jeder Fechter
seine Methode und seine Logik. Ein Meister im Fechten entdeckt diese
Logik, nachdem er ein paar Stöße mit seinem Gegner gewechselt hat,
er weiß, wie er rechnen, was für Finten er anwenden wird. Ein No¬
vize weiß davon nichts, er kennt gleichsam die Regeln des Spiels nicht, er
läßt seine Klinge hierhin und dorthin stechen, und er hat ein Recht dazu,


gleich erschöpft sie. Wenn man einen Duelldegen zum ersten Male zu ernstem
Kampfe in die Hand nimmt, ist einem, als ob es die Keule eines Riesen
wäre. Nach zwei Minuten schon wird er zu schwer. Wenn man parirt,
scheint er sich nach dem Horizont zu senken, in dem er der vis inertiae nach¬
giebt. Damit stoßen ist noch schwieriger. Die Kunst des Fechters liegt vor
Allem darin, daß er erstens die Spitze seines Degens nicht über die Seiten
seines Körpers hinausgehen läßt, und daß er zweitens seine Waffe nur mit
der Hand, nicht mit den Arme bewegt. Das ist aber natürlich schwer mit
einem Dinge, welches an Gewicht einer Keule zu gleichen scheint. Manche
Fechter gebrauchen deshalb bet ihren Uebungen, um sich an dieses Phänomen
zu gewöhnen, statt des Fleurets ein doppelt oder dreifach so schweres Rappier.

Zerbrochene Klingen machen die Fechtübungen sehr kostspielig; denn sie
kosten zwei Francs das Stück, und der Fechter kann, wenn er mit der Wahl
Unglück hat, in der Stunde ein halbes Dutzend zerbrechen. Der Fechtmeister,
der sie besorgt und für das Stück höchstens einen Franc zahlt, nimmt natürlich
die schlechtesten, die er bekommen kann. Selbst der vorsichtigste Fechter zerbricht
im Monat durchschnittlich für sechzehn bis zwanzig Francs Klingen, es giebt
aber Leute, die für sechzig bis achtzig Francs zerbrechen. Der Schüler hat
nicht allein die Klingen zu bezahlen, die er selbst, sondern auch die, welche
der Lehrer zerbricht, und der sorgt dafür, daß so viele entzwei gehen, als
der Zögling seiner Meinung nach ohne Murren und ohne die Stunden auf¬
zugeben, bezahlen wird.

Das Lächerlichste, was man auf einem Fechtboden sehen kann, ist die
Erscheinung eines guten Jungen, der in ein Duell hineingestolpert oder
hineingeschoben worden ist, während er seinem Leben bisher ein Rappier nur
im Schaufenster des Waffenhändlers gesehen hat. Man glaubt vielfach, daß
jeder Fechtmeister ein Geheimniß habe, vermittelst dessen der Anfänger
den gewandtesten Fechter besiegen könne. Alle Welt hat davon gehört, daß
die erfahrensten Kampfhähne von Novizen erstochen worden sind. Das ist
möglich, aber gewiß ist es dann nicht in Folge eines besonders künstlichen
Stoßes, sondern einfach dadurch geschehen, daß der Novize den Degen spitz
vor sich hingehalten und der Gegner sich unbehutsam darauf gespießt hat. Es
ist wahr, ein Novize, der seinen Gegner flink und lebhaft angreift, kann
ihn in Verlegenheit setzen. Wie jedermann seinen Gang, seine besondere
Haltung, seine Handschrift und seinen Stil hat, so hat jeder Fechter
seine Methode und seine Logik. Ein Meister im Fechten entdeckt diese
Logik, nachdem er ein paar Stöße mit seinem Gegner gewechselt hat,
er weiß, wie er rechnen, was für Finten er anwenden wird. Ein No¬
vize weiß davon nichts, er kennt gleichsam die Regeln des Spiels nicht, er
läßt seine Klinge hierhin und dorthin stechen, und er hat ein Recht dazu,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/270>, abgerufen am 27.09.2024.