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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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keit, als in ihrer Sparsamkeit zu liegen. In der heißen Atmosphäre der
Weltstadt an der Seine verflüchtigt sich das Geld wie Quecksilber, so daß es
in unsichtbaren Dämpfen durch die Maschen der Börse und zwischen den
Fingern der Hand entweicht, wie fest sie es auch halten mag. Außerdem
sind hier hinter der Fechtmaske Arme und Reiche, und die ersteren würden
den Fechtboden räumen müssen, wenn kostspielige Gewohnheiten hier ein-
risfen. Denn die Franzosen scheinen zwar von der Freiheit nur die Phrase
und den Schein zu kennen, die Liebe zur Gleichheit aber lebt in Allen als
eine Wirklichkeit, und deshalb halten sie streng darauf, daß bald der Eine,
bald der Andere bezahlt, was etwa genossen wird, und der, welcher sich
tractiren lassen wollte, ohne seinerseits einmal die Zeche für Alle zu berichtigen,
würde sich in der Gesellschaft, welche die Lectionen besucht, bald unmöglich
machen. Da ich gerade von der französischen Mäßigkeit gegenüber berausch¬
enden Getränken spreche, mag erwähnt werden, daß eines Abends ein junger
Herr, um sich des Verständnisses gewisser Bemerkungen bei den Zuhörenden
zu versichern, die Frage that:

"Wissen Sie wohl, wie es jemand zu Muthe ist, der sich betrunken hat?"

Es waren fünfzehn junge Leute zugegen, aber nur ein einziger darunter
konnte die Frage bejahen, und dieser Einzige war ein Nichtfranzose. Wie
viele würden wohl in dieser Sache durch Schweigen ihre Unwissenheit kund
gegeben haben, wenn die Gesellschaft aus Deutschen bestanden hätte? --
von Engländern und Amerikanern gar nicht zu reden.

Natürlich besucht man den Fechtboden hier nicht blos, um sich Bewegung
zu machen, sondern auch und zwar vorzüglich deshalb, um eine etwaige Her¬
ausforderung nicht fürchten zu müssen. Duelle finden in allen Ständen,
die untersten ausgenommen, offenbar sehr häufig statt, aber man hört nur
selten etwas Anderes von ihnen, als daß die Helden zum Schluß eine ge¬
müthvolle Tasse Kaffee mit einander getrunken haben. Die Secundärem sind
nicht gern bei Affairen betheiligt, die einen verhängnißvollen Ausgang nehmen,
und die Duellanten sind derartigen Sachen begreiflicherweise noch abholder,
zumal wenn zu befürchten ist, daß sie in der Lotterie die Niete treffen wird.
Die Gerichte verfahren streng selbst gegen die Zeugen bet einem Zweikampfe
mit tödtlichem Erfolg, und wenn dann eine schwere Geldstrafe verhängt wird,
so macht es den Verwandten des Gefallenen natürlich kein großes Vergnügen,
außer der langen Rechnung des Leichenbestatters auch noch Gerichtskosten
für gefällige Secundärem vor der Thür warten zu sehen. Wer in einem
Duell, von welchem nicht beide Kämpfer leidlich wohlbehalten heimgekehrt
sind, als Duellant figurirt hat, wird allgemein gemieden. Man ist sehr
höflich gegen ihn, hütet sich, ihn irgendwie zu reizen, und sorgt nach Mög¬
lichkeit dafür, mit ihm überhaupt nicht in Berührung zu kommen. Niemand


keit, als in ihrer Sparsamkeit zu liegen. In der heißen Atmosphäre der
Weltstadt an der Seine verflüchtigt sich das Geld wie Quecksilber, so daß es
in unsichtbaren Dämpfen durch die Maschen der Börse und zwischen den
Fingern der Hand entweicht, wie fest sie es auch halten mag. Außerdem
sind hier hinter der Fechtmaske Arme und Reiche, und die ersteren würden
den Fechtboden räumen müssen, wenn kostspielige Gewohnheiten hier ein-
risfen. Denn die Franzosen scheinen zwar von der Freiheit nur die Phrase
und den Schein zu kennen, die Liebe zur Gleichheit aber lebt in Allen als
eine Wirklichkeit, und deshalb halten sie streng darauf, daß bald der Eine,
bald der Andere bezahlt, was etwa genossen wird, und der, welcher sich
tractiren lassen wollte, ohne seinerseits einmal die Zeche für Alle zu berichtigen,
würde sich in der Gesellschaft, welche die Lectionen besucht, bald unmöglich
machen. Da ich gerade von der französischen Mäßigkeit gegenüber berausch¬
enden Getränken spreche, mag erwähnt werden, daß eines Abends ein junger
Herr, um sich des Verständnisses gewisser Bemerkungen bei den Zuhörenden
zu versichern, die Frage that:

„Wissen Sie wohl, wie es jemand zu Muthe ist, der sich betrunken hat?"

Es waren fünfzehn junge Leute zugegen, aber nur ein einziger darunter
konnte die Frage bejahen, und dieser Einzige war ein Nichtfranzose. Wie
viele würden wohl in dieser Sache durch Schweigen ihre Unwissenheit kund
gegeben haben, wenn die Gesellschaft aus Deutschen bestanden hätte? —
von Engländern und Amerikanern gar nicht zu reden.

Natürlich besucht man den Fechtboden hier nicht blos, um sich Bewegung
zu machen, sondern auch und zwar vorzüglich deshalb, um eine etwaige Her¬
ausforderung nicht fürchten zu müssen. Duelle finden in allen Ständen,
die untersten ausgenommen, offenbar sehr häufig statt, aber man hört nur
selten etwas Anderes von ihnen, als daß die Helden zum Schluß eine ge¬
müthvolle Tasse Kaffee mit einander getrunken haben. Die Secundärem sind
nicht gern bei Affairen betheiligt, die einen verhängnißvollen Ausgang nehmen,
und die Duellanten sind derartigen Sachen begreiflicherweise noch abholder,
zumal wenn zu befürchten ist, daß sie in der Lotterie die Niete treffen wird.
Die Gerichte verfahren streng selbst gegen die Zeugen bet einem Zweikampfe
mit tödtlichem Erfolg, und wenn dann eine schwere Geldstrafe verhängt wird,
so macht es den Verwandten des Gefallenen natürlich kein großes Vergnügen,
außer der langen Rechnung des Leichenbestatters auch noch Gerichtskosten
für gefällige Secundärem vor der Thür warten zu sehen. Wer in einem
Duell, von welchem nicht beide Kämpfer leidlich wohlbehalten heimgekehrt
sind, als Duellant figurirt hat, wird allgemein gemieden. Man ist sehr
höflich gegen ihn, hütet sich, ihn irgendwie zu reizen, und sorgt nach Mög¬
lichkeit dafür, mit ihm überhaupt nicht in Berührung zu kommen. Niemand


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/268>, abgerufen am 20.10.2024.