Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.grünem, blauem, rothem oder gelbem Maroquin umwunden sind. Durch die grünem, blauem, rothem oder gelbem Maroquin umwunden sind. Durch die <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0266" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/136377"/> <p xml:id="ID_659" prev="#ID_658" next="#ID_660"> grünem, blauem, rothem oder gelbem Maroquin umwunden sind. Durch die<lb/> dichten schwarzen Maschen des Drahtgeflechts sehen weiße Stulphandschuhe<lb/> heraus, und darunter hängen die schlanken, blanken, blitzenden Stahlfleurets.<lb/> Es macht mir Freude, die strammen Fechter zu sehen, wie sie in ihren dick-<lb/> wattirten Steppjacken von Vuckskin, ihren wollenen Hemden und ihren Drell-<lb/> hosen einander gegenüberstehen. Ihre Augen funkeln hinter dem Gitter der<lb/> Maske wie ein Paar Diamanten von der Aufregung des Kampfes, und ihr<lb/> ganzes Aeußere legt Zeugniß ab, daß sie ein wohlgeordnetes Leben führen.<lb/> Ich mag mich bisweilen täuschen, aber ich glaube, daß die Don Juans in<lb/> den Fechtsälen selten sind. Tüchtige Körperanstrengung nach bestimmter<lb/> Regel verlangt und fördert moralisches Verhalten. Nichts ist mir in Paris<lb/> mehr aufgefallen, als daß ich auf den dortigen Fechtboden auch nicht ein<lb/> einziges Mal Gespräche über unanständige Dinge hörte. Nie vernahm ich<lb/> einen Fluch, einen rohen Ausdruck, eine Anspielung auf Weiber oder eine<lb/> schmutzige Geschichte. Nur einmal kam eine grobe Rede vor, der eine un-<lb/> fläthige Geberde folgte; beide gingen von demselben ungehobelten Gesellen<lb/> aus, aber die Antwort war ein eisiges Schweigen, und diese Strafe wurde so<lb/> tief empfunden, daß der Betreffende sofort seine Thorheit sein ließ. In den<lb/> Fechtschulen ist mehr ceremoniöse Höflichkeit zu finden, als unter der alten<lb/> Aristokratie Frankreichs. Wenn die Lection beendigt ist, sagt der Schüler<lb/> zum Lehrer mit einer Verbeugung: „Ich danke Ihnen, mein Herr." Wenn<lb/> Jemand mit einem Andern einen Gang machen will, so kleidet er sein An¬<lb/> liegen stets in die Worte: „Würden Sie wohl die große Güte haben, mein<lb/> Herr, einen Gang mit mit mir zu thun?" Er hört nie eine andere<lb/> Antwort, als: „Mit der größten Bereitwilligkeit, mein Herr; ich stehe<lb/> ganz zu Ihren Diensten." Wenn der Gang vorüber ist, schütteln sich<lb/> die Kämpfer die Hände und sagen: „Ich danke verbindlichst" und:<lb/> „Bitte, die Verpflichtung, zu danken ist ganz auf meiner Seite". Nie<lb/> habe ich bemerkt, daß man sich Vorwürfe gemacht hätte, wenn es tüchtige<lb/> Stöße gegeben hatte. Von der Unterhaltung, die man hier hört, will ich<lb/> nicht behaupten, daß sie sehr geistreich wäre. Die Unwissenheit, der ich in<lb/> den Fechtschulen begegnete, war ganz erstaunlich. Viele scheinen nicht einmal<lb/> eine Zeitung regelmäßig zu lesen. Unter ihnen waren Mitarbeiter an<lb/> Wochen- und Monatsschriften, nie aber sahen sie ihr Blatt an, als wenn es<lb/> einen Artikel von ihnen selbst enthielt. Wenn ich hinzufüge, daß einige<lb/> dieser Leute Lehrer an den besuchtesten Gelehrtenschulen von Paris sind,<lb/> andere Advocaten, wieder andere Aerzte, so wird diese Mittheilung noch<lb/> mehr überraschen. Nichts ist mir in Frankreich mehr aufgefallen, als der<lb/> der Mangel an Büchern in den Familien, die ich kennen lernte. Ich habe<lb/> beim Aufsuchen einer Wohnung wiederholt eine Menge von Zimmern ange-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0266]
grünem, blauem, rothem oder gelbem Maroquin umwunden sind. Durch die
dichten schwarzen Maschen des Drahtgeflechts sehen weiße Stulphandschuhe
heraus, und darunter hängen die schlanken, blanken, blitzenden Stahlfleurets.
Es macht mir Freude, die strammen Fechter zu sehen, wie sie in ihren dick-
wattirten Steppjacken von Vuckskin, ihren wollenen Hemden und ihren Drell-
hosen einander gegenüberstehen. Ihre Augen funkeln hinter dem Gitter der
Maske wie ein Paar Diamanten von der Aufregung des Kampfes, und ihr
ganzes Aeußere legt Zeugniß ab, daß sie ein wohlgeordnetes Leben führen.
Ich mag mich bisweilen täuschen, aber ich glaube, daß die Don Juans in
den Fechtsälen selten sind. Tüchtige Körperanstrengung nach bestimmter
Regel verlangt und fördert moralisches Verhalten. Nichts ist mir in Paris
mehr aufgefallen, als daß ich auf den dortigen Fechtboden auch nicht ein
einziges Mal Gespräche über unanständige Dinge hörte. Nie vernahm ich
einen Fluch, einen rohen Ausdruck, eine Anspielung auf Weiber oder eine
schmutzige Geschichte. Nur einmal kam eine grobe Rede vor, der eine un-
fläthige Geberde folgte; beide gingen von demselben ungehobelten Gesellen
aus, aber die Antwort war ein eisiges Schweigen, und diese Strafe wurde so
tief empfunden, daß der Betreffende sofort seine Thorheit sein ließ. In den
Fechtschulen ist mehr ceremoniöse Höflichkeit zu finden, als unter der alten
Aristokratie Frankreichs. Wenn die Lection beendigt ist, sagt der Schüler
zum Lehrer mit einer Verbeugung: „Ich danke Ihnen, mein Herr." Wenn
Jemand mit einem Andern einen Gang machen will, so kleidet er sein An¬
liegen stets in die Worte: „Würden Sie wohl die große Güte haben, mein
Herr, einen Gang mit mit mir zu thun?" Er hört nie eine andere
Antwort, als: „Mit der größten Bereitwilligkeit, mein Herr; ich stehe
ganz zu Ihren Diensten." Wenn der Gang vorüber ist, schütteln sich
die Kämpfer die Hände und sagen: „Ich danke verbindlichst" und:
„Bitte, die Verpflichtung, zu danken ist ganz auf meiner Seite". Nie
habe ich bemerkt, daß man sich Vorwürfe gemacht hätte, wenn es tüchtige
Stöße gegeben hatte. Von der Unterhaltung, die man hier hört, will ich
nicht behaupten, daß sie sehr geistreich wäre. Die Unwissenheit, der ich in
den Fechtschulen begegnete, war ganz erstaunlich. Viele scheinen nicht einmal
eine Zeitung regelmäßig zu lesen. Unter ihnen waren Mitarbeiter an
Wochen- und Monatsschriften, nie aber sahen sie ihr Blatt an, als wenn es
einen Artikel von ihnen selbst enthielt. Wenn ich hinzufüge, daß einige
dieser Leute Lehrer an den besuchtesten Gelehrtenschulen von Paris sind,
andere Advocaten, wieder andere Aerzte, so wird diese Mittheilung noch
mehr überraschen. Nichts ist mir in Frankreich mehr aufgefallen, als der
der Mangel an Büchern in den Familien, die ich kennen lernte. Ich habe
beim Aufsuchen einer Wohnung wiederholt eine Menge von Zimmern ange-
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |