Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Sehr oft find sie ohne Aviso von seinen Geschäftsfreunden in Tauris oder
Erzerum abgesandt, die kaum ihren Namen zu unterzeichnen, geschweige denn
einen kaufmännischen Brief zu schreiben verstehen und ihren türkischen Vettern
an Trägheit und Unwissenheit vollkommen gleichkommen. Daher muß der
Suchende an den erwähnten Zeichen herausstudiren, was sein oder nicht sein
ist, und auf seine einfache Angabe hin wird dann der Sack geöffnet, der In¬
halt abgezählt, einige Procente für Transporte abgerechnet, und der Mann
geht ruhig mit seinem Gelde von dannen. Mit Bestimmtheit kann behauptet
werden, daß auf diese primitive Art jährlich Hunderte von Millionen Piaster
verschickt und abgeliefert werden, und dabei erinnert man sich kaum eines einzi¬
gen Falles, wo ein Betrug oder Diebstahl versucht worden wäre.

Wie erklärt sichs nun, daß unter einem Volke, dem das Lob strengster
Rechtlichkeit in Handel und Wandel in vollem Maße zukommt, die Regierung
nur selten eine uneigennützigen und ehrlichen Beamten findet? Die Antwort
lautet zunächst: in dem Augenblicke, wo der Türke auf einen Posten, der
einträglich zu machen ist, erhoben wird, ist er von oben herab die Beute von
Elpresfungsversuchen, von seinem Vorgänger übernimmt er allerlei faule Verpflich¬
tungen, von seinen Collegen wird er mit allen den herkömmlichen Kniffen und
Schleichwegen bekannt gemacht und dann förmlich überwacht, damit er auf
den letzteren bleibt, nach unten hin ist er ganz und gar ohne Verantwortlich¬
keit. Die Verwaltungsformen sind in den letzten zwei Jahrzehnten regel¬
mäßiger geworden, sie bleiben aber wirkungslos gegenüber einer Camorra,
die nur von Raub und Erpressung ihr Leben fristet.

Es ist mit den Türken wie mit fast allen orientalischen Racen: das
niedere Volk ist in dieser wie in einigen andern Beziehungen gut, die vor¬
nehmeren und gebildetern Stande sind mit seltenen Ausnahmen bis in den
Grund hinein verdorben. Je mehr Einer Erziehung hat, kann man beinahe
sagen, desto mehr hält er die Ehrlichkeit für ein Vorurtheil, für der Dummheit
verwandt, für einen Unsinn, den man sofort fallen zu lassen hat. wo sich
die Gelegenheit dazu bietet. Die Stufenleiter der Beamtenhierarchie bezeichnet
demnach auch ziemlich genau die Progression unerlaubten Gewinnes, den der
Angestellte beansprucht, und die würdige Spitze der Diebsleiter war in der
Regel der Herr Finanzminister. Einer derselben hatte zu seinen Bankiers
einige Griechen in Per" gewählt, die als österreichische Unterthanen unter
der k. k. Nuntiatur und somit in einem gewissen, von ihnen nach Kräften
ausgebeuteten Unabhängigkeitsverhältnisse standen, und die jetzt, selbstver¬
ständlich nach Erkaufung der Gunst des Reichssäckelmeisters mit klingender
Münze, den bestehenden Verträgen zum Trotze alle Lieferungen für das Heer,
die Flotte und andere Staatsanstalten in ihren Händen monopolisirten.
Alle andern Lieferanten, darunter auch die ärmsten, die Bäcker ^und Fischer


Sehr oft find sie ohne Aviso von seinen Geschäftsfreunden in Tauris oder
Erzerum abgesandt, die kaum ihren Namen zu unterzeichnen, geschweige denn
einen kaufmännischen Brief zu schreiben verstehen und ihren türkischen Vettern
an Trägheit und Unwissenheit vollkommen gleichkommen. Daher muß der
Suchende an den erwähnten Zeichen herausstudiren, was sein oder nicht sein
ist, und auf seine einfache Angabe hin wird dann der Sack geöffnet, der In¬
halt abgezählt, einige Procente für Transporte abgerechnet, und der Mann
geht ruhig mit seinem Gelde von dannen. Mit Bestimmtheit kann behauptet
werden, daß auf diese primitive Art jährlich Hunderte von Millionen Piaster
verschickt und abgeliefert werden, und dabei erinnert man sich kaum eines einzi¬
gen Falles, wo ein Betrug oder Diebstahl versucht worden wäre.

Wie erklärt sichs nun, daß unter einem Volke, dem das Lob strengster
Rechtlichkeit in Handel und Wandel in vollem Maße zukommt, die Regierung
nur selten eine uneigennützigen und ehrlichen Beamten findet? Die Antwort
lautet zunächst: in dem Augenblicke, wo der Türke auf einen Posten, der
einträglich zu machen ist, erhoben wird, ist er von oben herab die Beute von
Elpresfungsversuchen, von seinem Vorgänger übernimmt er allerlei faule Verpflich¬
tungen, von seinen Collegen wird er mit allen den herkömmlichen Kniffen und
Schleichwegen bekannt gemacht und dann förmlich überwacht, damit er auf
den letzteren bleibt, nach unten hin ist er ganz und gar ohne Verantwortlich¬
keit. Die Verwaltungsformen sind in den letzten zwei Jahrzehnten regel¬
mäßiger geworden, sie bleiben aber wirkungslos gegenüber einer Camorra,
die nur von Raub und Erpressung ihr Leben fristet.

Es ist mit den Türken wie mit fast allen orientalischen Racen: das
niedere Volk ist in dieser wie in einigen andern Beziehungen gut, die vor¬
nehmeren und gebildetern Stande sind mit seltenen Ausnahmen bis in den
Grund hinein verdorben. Je mehr Einer Erziehung hat, kann man beinahe
sagen, desto mehr hält er die Ehrlichkeit für ein Vorurtheil, für der Dummheit
verwandt, für einen Unsinn, den man sofort fallen zu lassen hat. wo sich
die Gelegenheit dazu bietet. Die Stufenleiter der Beamtenhierarchie bezeichnet
demnach auch ziemlich genau die Progression unerlaubten Gewinnes, den der
Angestellte beansprucht, und die würdige Spitze der Diebsleiter war in der
Regel der Herr Finanzminister. Einer derselben hatte zu seinen Bankiers
einige Griechen in Per« gewählt, die als österreichische Unterthanen unter
der k. k. Nuntiatur und somit in einem gewissen, von ihnen nach Kräften
ausgebeuteten Unabhängigkeitsverhältnisse standen, und die jetzt, selbstver¬
ständlich nach Erkaufung der Gunst des Reichssäckelmeisters mit klingender
Münze, den bestehenden Verträgen zum Trotze alle Lieferungen für das Heer,
die Flotte und andere Staatsanstalten in ihren Händen monopolisirten.
Alle andern Lieferanten, darunter auch die ärmsten, die Bäcker ^und Fischer


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0261" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/136372"/>
          <p xml:id="ID_648" prev="#ID_647"> Sehr oft find sie ohne Aviso von seinen Geschäftsfreunden in Tauris oder<lb/>
Erzerum abgesandt, die kaum ihren Namen zu unterzeichnen, geschweige denn<lb/>
einen kaufmännischen Brief zu schreiben verstehen und ihren türkischen Vettern<lb/>
an Trägheit und Unwissenheit vollkommen gleichkommen. Daher muß der<lb/>
Suchende an den erwähnten Zeichen herausstudiren, was sein oder nicht sein<lb/>
ist, und auf seine einfache Angabe hin wird dann der Sack geöffnet, der In¬<lb/>
halt abgezählt, einige Procente für Transporte abgerechnet, und der Mann<lb/>
geht ruhig mit seinem Gelde von dannen. Mit Bestimmtheit kann behauptet<lb/>
werden, daß auf diese primitive Art jährlich Hunderte von Millionen Piaster<lb/>
verschickt und abgeliefert werden, und dabei erinnert man sich kaum eines einzi¬<lb/>
gen Falles, wo ein Betrug oder Diebstahl versucht worden wäre.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_649"> Wie erklärt sichs nun, daß unter einem Volke, dem das Lob strengster<lb/>
Rechtlichkeit in Handel und Wandel in vollem Maße zukommt, die Regierung<lb/>
nur selten eine uneigennützigen und ehrlichen Beamten findet? Die Antwort<lb/>
lautet zunächst: in dem Augenblicke, wo der Türke auf einen Posten, der<lb/>
einträglich zu machen ist, erhoben wird, ist er von oben herab die Beute von<lb/>
Elpresfungsversuchen, von seinem Vorgänger übernimmt er allerlei faule Verpflich¬<lb/>
tungen, von seinen Collegen wird er mit allen den herkömmlichen Kniffen und<lb/>
Schleichwegen bekannt gemacht und dann förmlich überwacht, damit er auf<lb/>
den letzteren bleibt, nach unten hin ist er ganz und gar ohne Verantwortlich¬<lb/>
keit. Die Verwaltungsformen sind in den letzten zwei Jahrzehnten regel¬<lb/>
mäßiger geworden, sie bleiben aber wirkungslos gegenüber einer Camorra,<lb/>
die nur von Raub und Erpressung ihr Leben fristet.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_650" next="#ID_651"> Es ist mit den Türken wie mit fast allen orientalischen Racen: das<lb/>
niedere Volk ist in dieser wie in einigen andern Beziehungen gut, die vor¬<lb/>
nehmeren und gebildetern Stande sind mit seltenen Ausnahmen bis in den<lb/>
Grund hinein verdorben. Je mehr Einer Erziehung hat, kann man beinahe<lb/>
sagen, desto mehr hält er die Ehrlichkeit für ein Vorurtheil, für der Dummheit<lb/>
verwandt, für einen Unsinn, den man sofort fallen zu lassen hat. wo sich<lb/>
die Gelegenheit dazu bietet. Die Stufenleiter der Beamtenhierarchie bezeichnet<lb/>
demnach auch ziemlich genau die Progression unerlaubten Gewinnes, den der<lb/>
Angestellte beansprucht, und die würdige Spitze der Diebsleiter war in der<lb/>
Regel der Herr Finanzminister. Einer derselben hatte zu seinen Bankiers<lb/>
einige Griechen in Per« gewählt, die als österreichische Unterthanen unter<lb/>
der k. k. Nuntiatur und somit in einem gewissen, von ihnen nach Kräften<lb/>
ausgebeuteten Unabhängigkeitsverhältnisse standen, und die jetzt, selbstver¬<lb/>
ständlich nach Erkaufung der Gunst des Reichssäckelmeisters mit klingender<lb/>
Münze, den bestehenden Verträgen zum Trotze alle Lieferungen für das Heer,<lb/>
die Flotte und andere Staatsanstalten in ihren Händen monopolisirten.<lb/>
Alle andern Lieferanten, darunter auch die ärmsten, die Bäcker ^und Fischer</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0261] Sehr oft find sie ohne Aviso von seinen Geschäftsfreunden in Tauris oder Erzerum abgesandt, die kaum ihren Namen zu unterzeichnen, geschweige denn einen kaufmännischen Brief zu schreiben verstehen und ihren türkischen Vettern an Trägheit und Unwissenheit vollkommen gleichkommen. Daher muß der Suchende an den erwähnten Zeichen herausstudiren, was sein oder nicht sein ist, und auf seine einfache Angabe hin wird dann der Sack geöffnet, der In¬ halt abgezählt, einige Procente für Transporte abgerechnet, und der Mann geht ruhig mit seinem Gelde von dannen. Mit Bestimmtheit kann behauptet werden, daß auf diese primitive Art jährlich Hunderte von Millionen Piaster verschickt und abgeliefert werden, und dabei erinnert man sich kaum eines einzi¬ gen Falles, wo ein Betrug oder Diebstahl versucht worden wäre. Wie erklärt sichs nun, daß unter einem Volke, dem das Lob strengster Rechtlichkeit in Handel und Wandel in vollem Maße zukommt, die Regierung nur selten eine uneigennützigen und ehrlichen Beamten findet? Die Antwort lautet zunächst: in dem Augenblicke, wo der Türke auf einen Posten, der einträglich zu machen ist, erhoben wird, ist er von oben herab die Beute von Elpresfungsversuchen, von seinem Vorgänger übernimmt er allerlei faule Verpflich¬ tungen, von seinen Collegen wird er mit allen den herkömmlichen Kniffen und Schleichwegen bekannt gemacht und dann förmlich überwacht, damit er auf den letzteren bleibt, nach unten hin ist er ganz und gar ohne Verantwortlich¬ keit. Die Verwaltungsformen sind in den letzten zwei Jahrzehnten regel¬ mäßiger geworden, sie bleiben aber wirkungslos gegenüber einer Camorra, die nur von Raub und Erpressung ihr Leben fristet. Es ist mit den Türken wie mit fast allen orientalischen Racen: das niedere Volk ist in dieser wie in einigen andern Beziehungen gut, die vor¬ nehmeren und gebildetern Stande sind mit seltenen Ausnahmen bis in den Grund hinein verdorben. Je mehr Einer Erziehung hat, kann man beinahe sagen, desto mehr hält er die Ehrlichkeit für ein Vorurtheil, für der Dummheit verwandt, für einen Unsinn, den man sofort fallen zu lassen hat. wo sich die Gelegenheit dazu bietet. Die Stufenleiter der Beamtenhierarchie bezeichnet demnach auch ziemlich genau die Progression unerlaubten Gewinnes, den der Angestellte beansprucht, und die würdige Spitze der Diebsleiter war in der Regel der Herr Finanzminister. Einer derselben hatte zu seinen Bankiers einige Griechen in Per« gewählt, die als österreichische Unterthanen unter der k. k. Nuntiatur und somit in einem gewissen, von ihnen nach Kräften ausgebeuteten Unabhängigkeitsverhältnisse standen, und die jetzt, selbstver¬ ständlich nach Erkaufung der Gunst des Reichssäckelmeisters mit klingender Münze, den bestehenden Verträgen zum Trotze alle Lieferungen für das Heer, die Flotte und andere Staatsanstalten in ihren Händen monopolisirten. Alle andern Lieferanten, darunter auch die ärmsten, die Bäcker ^und Fischer

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/261
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/261>, abgerufen am 27.09.2024.