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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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Salonik, Smyrna und Beirut ein und tragen oft mit ihren Kameelkara-
wanen sehr beträchtliche Werthe in Manufactur- und Colonialwaaren von
dannen, indem sie als ganze und einzige Sicherheit das Versprechen zurück¬
lassen, in sechs Monaten wiederkommen und zahlen zu wollen. Dabei kennt
man sie oft nur dem Vornamen nach, und das sind Namen wie Hussein,
Osman, Said, Mehemed, Ali u. s. w., deren es in ihrer Stadt ebenso viele
giebt, wie bei uns Peter, Fritz, Johann und Jacob. Zur besonderen Vorsicht
wird dem Einkäufer allenfalls eine Factur über den gemachten Ankauf in
die Weste genäht, und man kann sich darauf verlassen, daß, wenn er
zufällig vor der festgesetzten Zahlungsfrist sterben sollte, die Erben nichts
Eiligeres zu thun haben werden, als die Schuld des verstorbenen Vaters,
Bruders oder Vetters auf diese leichte Angabe hin zu rechter Zeit abzutragen.
Der ganze levantinische Handel belebt sich in dieser Weise, und die größten
Handelsfirmen scheuen sich nicht, Hunderttausende in dieser Weise in einem
Lande aufs Spiel zu setzen, welches keine rasche PostVerbindung, keine Sicher¬
heit der Person, so gut wie keine Polizei und kaum Gerichte kennt, die den
Namen verdienen. Aber freilich würde eine schriftliche Garantie der einstigen
Zahlung unter diesen Umständen nichts nützen, und andererseits gehören
Verluste bei dieser Methode der Handelsgeschäfte zu den allerseltensten Aus¬
nahmen.

Auffallend ist, um noch ein Beispiel anzuführen, wie selbst die wegen
ihrer Verschmitztheit und Unredlichkett sprichwörtlich gewordenen Perser durch
den Landesbrauch genöthigt worden sind, sich dieser vertrauensvollen Art,
Handel zu treiben, ebenfalls zu bedienen. Fast alle persischen Handelshäuser
haben Agenten in Stambul, denen sie über Trapezunt durch die Dampfer
des österreichischen Lloyd allwöchentlich beträchtliche Baarsummen zum An¬
kaufe der gangbaren Manufacturwaaren senden, die diesen Weg einschlagen,
um die Völkerschaften Mittelasiens zu bekleiden. Alle diese Gelder werden durch ge¬
wöhnliche rohe Kameel- und Maulthiertreiber nach Trapezunt gebracht, hier ohne
Weiteres auf die Lloyddampfer verladen und dann in Konstantinopel, wie
sie sind, oft ohne Werthangabe und ohne Adresse, ins Depot ausgeladen und
zur Abholung aufgespeichert. Dann sieht man in den Hallen der Agentur
des Lloyd mitunter zwei bis drei Millionen Piaster in Gold- und Silber¬
münzen in einfachen Leinwandsäcken aufgeschichtet. Handelsvolk kauert unbe¬
fangen auf den Säcken und treibt seinen Schacher, bis der Eigenthümer der¬
selben erscheint, sie reclamirt und die Krämer von den Säcken vertreibt.
Bisweilen sind dieselben durch Signaturen oder Siegel bezeichnet, häufiger
aber hat der, für welchen sie bestimmt sind, kein anderes Zeichen, um sie zu
erkennen, als den Stoff der Säcke, die Farbe der Räthe oder der sie zu¬
schnürenden Bindfaden, die äußere Form oder den vermutheten Inhalt.


Salonik, Smyrna und Beirut ein und tragen oft mit ihren Kameelkara-
wanen sehr beträchtliche Werthe in Manufactur- und Colonialwaaren von
dannen, indem sie als ganze und einzige Sicherheit das Versprechen zurück¬
lassen, in sechs Monaten wiederkommen und zahlen zu wollen. Dabei kennt
man sie oft nur dem Vornamen nach, und das sind Namen wie Hussein,
Osman, Said, Mehemed, Ali u. s. w., deren es in ihrer Stadt ebenso viele
giebt, wie bei uns Peter, Fritz, Johann und Jacob. Zur besonderen Vorsicht
wird dem Einkäufer allenfalls eine Factur über den gemachten Ankauf in
die Weste genäht, und man kann sich darauf verlassen, daß, wenn er
zufällig vor der festgesetzten Zahlungsfrist sterben sollte, die Erben nichts
Eiligeres zu thun haben werden, als die Schuld des verstorbenen Vaters,
Bruders oder Vetters auf diese leichte Angabe hin zu rechter Zeit abzutragen.
Der ganze levantinische Handel belebt sich in dieser Weise, und die größten
Handelsfirmen scheuen sich nicht, Hunderttausende in dieser Weise in einem
Lande aufs Spiel zu setzen, welches keine rasche PostVerbindung, keine Sicher¬
heit der Person, so gut wie keine Polizei und kaum Gerichte kennt, die den
Namen verdienen. Aber freilich würde eine schriftliche Garantie der einstigen
Zahlung unter diesen Umständen nichts nützen, und andererseits gehören
Verluste bei dieser Methode der Handelsgeschäfte zu den allerseltensten Aus¬
nahmen.

Auffallend ist, um noch ein Beispiel anzuführen, wie selbst die wegen
ihrer Verschmitztheit und Unredlichkett sprichwörtlich gewordenen Perser durch
den Landesbrauch genöthigt worden sind, sich dieser vertrauensvollen Art,
Handel zu treiben, ebenfalls zu bedienen. Fast alle persischen Handelshäuser
haben Agenten in Stambul, denen sie über Trapezunt durch die Dampfer
des österreichischen Lloyd allwöchentlich beträchtliche Baarsummen zum An¬
kaufe der gangbaren Manufacturwaaren senden, die diesen Weg einschlagen,
um die Völkerschaften Mittelasiens zu bekleiden. Alle diese Gelder werden durch ge¬
wöhnliche rohe Kameel- und Maulthiertreiber nach Trapezunt gebracht, hier ohne
Weiteres auf die Lloyddampfer verladen und dann in Konstantinopel, wie
sie sind, oft ohne Werthangabe und ohne Adresse, ins Depot ausgeladen und
zur Abholung aufgespeichert. Dann sieht man in den Hallen der Agentur
des Lloyd mitunter zwei bis drei Millionen Piaster in Gold- und Silber¬
münzen in einfachen Leinwandsäcken aufgeschichtet. Handelsvolk kauert unbe¬
fangen auf den Säcken und treibt seinen Schacher, bis der Eigenthümer der¬
selben erscheint, sie reclamirt und die Krämer von den Säcken vertreibt.
Bisweilen sind dieselben durch Signaturen oder Siegel bezeichnet, häufiger
aber hat der, für welchen sie bestimmt sind, kein anderes Zeichen, um sie zu
erkennen, als den Stoff der Säcke, die Farbe der Räthe oder der sie zu¬
schnürenden Bindfaden, die äußere Form oder den vermutheten Inhalt.


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[0260] Salonik, Smyrna und Beirut ein und tragen oft mit ihren Kameelkara- wanen sehr beträchtliche Werthe in Manufactur- und Colonialwaaren von dannen, indem sie als ganze und einzige Sicherheit das Versprechen zurück¬ lassen, in sechs Monaten wiederkommen und zahlen zu wollen. Dabei kennt man sie oft nur dem Vornamen nach, und das sind Namen wie Hussein, Osman, Said, Mehemed, Ali u. s. w., deren es in ihrer Stadt ebenso viele giebt, wie bei uns Peter, Fritz, Johann und Jacob. Zur besonderen Vorsicht wird dem Einkäufer allenfalls eine Factur über den gemachten Ankauf in die Weste genäht, und man kann sich darauf verlassen, daß, wenn er zufällig vor der festgesetzten Zahlungsfrist sterben sollte, die Erben nichts Eiligeres zu thun haben werden, als die Schuld des verstorbenen Vaters, Bruders oder Vetters auf diese leichte Angabe hin zu rechter Zeit abzutragen. Der ganze levantinische Handel belebt sich in dieser Weise, und die größten Handelsfirmen scheuen sich nicht, Hunderttausende in dieser Weise in einem Lande aufs Spiel zu setzen, welches keine rasche PostVerbindung, keine Sicher¬ heit der Person, so gut wie keine Polizei und kaum Gerichte kennt, die den Namen verdienen. Aber freilich würde eine schriftliche Garantie der einstigen Zahlung unter diesen Umständen nichts nützen, und andererseits gehören Verluste bei dieser Methode der Handelsgeschäfte zu den allerseltensten Aus¬ nahmen. Auffallend ist, um noch ein Beispiel anzuführen, wie selbst die wegen ihrer Verschmitztheit und Unredlichkett sprichwörtlich gewordenen Perser durch den Landesbrauch genöthigt worden sind, sich dieser vertrauensvollen Art, Handel zu treiben, ebenfalls zu bedienen. Fast alle persischen Handelshäuser haben Agenten in Stambul, denen sie über Trapezunt durch die Dampfer des österreichischen Lloyd allwöchentlich beträchtliche Baarsummen zum An¬ kaufe der gangbaren Manufacturwaaren senden, die diesen Weg einschlagen, um die Völkerschaften Mittelasiens zu bekleiden. Alle diese Gelder werden durch ge¬ wöhnliche rohe Kameel- und Maulthiertreiber nach Trapezunt gebracht, hier ohne Weiteres auf die Lloyddampfer verladen und dann in Konstantinopel, wie sie sind, oft ohne Werthangabe und ohne Adresse, ins Depot ausgeladen und zur Abholung aufgespeichert. Dann sieht man in den Hallen der Agentur des Lloyd mitunter zwei bis drei Millionen Piaster in Gold- und Silber¬ münzen in einfachen Leinwandsäcken aufgeschichtet. Handelsvolk kauert unbe¬ fangen auf den Säcken und treibt seinen Schacher, bis der Eigenthümer der¬ selben erscheint, sie reclamirt und die Krämer von den Säcken vertreibt. Bisweilen sind dieselben durch Signaturen oder Siegel bezeichnet, häufiger aber hat der, für welchen sie bestimmt sind, kein anderes Zeichen, um sie zu erkennen, als den Stoff der Säcke, die Farbe der Räthe oder der sie zu¬ schnürenden Bindfaden, die äußere Form oder den vermutheten Inhalt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/260>, abgerufen am 20.10.2024.