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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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Wohlstand der Bevölkerung im Innern kann sich nicht heben, die wirthschaft-
liche Entwicklung stagnirt. man producirt auf den meisten Gebieten nur für
den eigenen Bedarf, die Folge jeder Mißernte ist eine furchtbare Hungersnoth,
da Hülfe bei den colossalen Entfernungen der hiervon betroffenen Landstriche
von der See oder von verschont gebliebenen Gegenden her meistens nicht zu
rechter Zeit zu bringen ist. Seit dem Jahre 1872 hat die Türkei auch eine
Anzahl Eisenbahnen und zwar sowohl in Asien als in Europa. Asiatische
Bahnen sind die von Smyrna nach Jsmid führende, die 43, die Bahn
Smyrna-Alpin, die 231 Kilometer, und die Bahn-Smyrna-Kassaba-Alaschehr,
die eben so lang ist. Die Bahnen in Europa, welche jetzt in Betrieb sind,
sind folgende: Erste Inspection - Konstantinopel-Adrianopel, 319 Kilometer;
zweite Inspection: Adrianopel-Sarembey 243, Kuleli-Burgas-Dedeagh 112
und Hermanli-Jamboli 104 Kilometer; dritte Inspection: Salonik-Mitrowitza
363 Kilometer; vierte Inspection: Banjaluka. Oesterreichische Grenze, 102
Kilometer; endlich fünfte Inspection: Tschernawoda-Kustendsche 27, und
Rustschuk-Varna, 224 Kilometer. Die beiden letztgenannten Bahnen hat
eine englische Gesellschaft erbaut. Die übrigen europäischen Linien hat eine
französische Gesellschaft angelegt. Der Betrieb derselben ist durch Vertrag
vom 18. Mai 1872 an die LoinMMis g^n^rg-is as 1' exploitativu dos
edöminL ter as Is, lurgui" ä'^uroxs auf fünfzig Jahre verpachtet, des¬
gleichen im Voraus derjenige der projectirten Bahn, welche durch das serbische
Morawathal gehen soll. Die Linie Mitrowitza-Banjaluka, welche zur Um¬
gehung des serbischen Gebiets erbaut werden sollte, fand keinen Unternehmer,
Weil die Terrainschwierigkeiten dreimal so groß sind als bei der Semmering-
bahn mit ihren ungeheueren Steigungen und ihren vielen Tunneln; Ar¬
tillerieoffiziere waren zur Leitung des Baues befehligt, der aber keine Fort¬
schritte machte und nun, gleich andern Eisenbahnanlagen, wegen Mangel an
Geld sistirt ist. Alle türkischen Bahnen liegen für den Weltverkehr brach, da
ihnen nach dem Meere hin die Häfen und nach Norden die Anschlusse an die
österreichisch-ungarischen Linien fehlen. Aber auch im Innern können sie auf
die Belebung der Production nur geringen Einfluß üben, da es ihren Sta¬
tionen an Zufuhrstraßen mangelt. Wir fügen aus der oben angeführten
Registrande noch hinzu, daß im Jahre 1874 auf den zusammen 778 Kilometer
langen Linien der ersten und zweiten Inspection der Frachtverkehr, meist aus
Getreide und Holz bestehend, 164,903,237 Kilogramm, 66,3"/". der Per¬
sonenverkehr 33,7"/y betrug. Die Betriebseinnahmen beliefen sich rund auf
6,48 Mill. Mark. Der Fahrpark bestand aus 83 Locomotiven, 303 Personen-
und 2220 Güterwagen; das Personal der Gesellschaft aus 656 Personen, die
zur Hälfte Deutsche und Oesterreicher waren. Die gemischte europäische
Commission zur Prüfung der türkischen Bahnen gab vor zwei Jahren das


Grenzboten III. t876. 32

Wohlstand der Bevölkerung im Innern kann sich nicht heben, die wirthschaft-
liche Entwicklung stagnirt. man producirt auf den meisten Gebieten nur für
den eigenen Bedarf, die Folge jeder Mißernte ist eine furchtbare Hungersnoth,
da Hülfe bei den colossalen Entfernungen der hiervon betroffenen Landstriche
von der See oder von verschont gebliebenen Gegenden her meistens nicht zu
rechter Zeit zu bringen ist. Seit dem Jahre 1872 hat die Türkei auch eine
Anzahl Eisenbahnen und zwar sowohl in Asien als in Europa. Asiatische
Bahnen sind die von Smyrna nach Jsmid führende, die 43, die Bahn
Smyrna-Alpin, die 231 Kilometer, und die Bahn-Smyrna-Kassaba-Alaschehr,
die eben so lang ist. Die Bahnen in Europa, welche jetzt in Betrieb sind,
sind folgende: Erste Inspection - Konstantinopel-Adrianopel, 319 Kilometer;
zweite Inspection: Adrianopel-Sarembey 243, Kuleli-Burgas-Dedeagh 112
und Hermanli-Jamboli 104 Kilometer; dritte Inspection: Salonik-Mitrowitza
363 Kilometer; vierte Inspection: Banjaluka. Oesterreichische Grenze, 102
Kilometer; endlich fünfte Inspection: Tschernawoda-Kustendsche 27, und
Rustschuk-Varna, 224 Kilometer. Die beiden letztgenannten Bahnen hat
eine englische Gesellschaft erbaut. Die übrigen europäischen Linien hat eine
französische Gesellschaft angelegt. Der Betrieb derselben ist durch Vertrag
vom 18. Mai 1872 an die LoinMMis g^n^rg-is as 1' exploitativu dos
edöminL ter as Is, lurgui« ä'^uroxs auf fünfzig Jahre verpachtet, des¬
gleichen im Voraus derjenige der projectirten Bahn, welche durch das serbische
Morawathal gehen soll. Die Linie Mitrowitza-Banjaluka, welche zur Um¬
gehung des serbischen Gebiets erbaut werden sollte, fand keinen Unternehmer,
Weil die Terrainschwierigkeiten dreimal so groß sind als bei der Semmering-
bahn mit ihren ungeheueren Steigungen und ihren vielen Tunneln; Ar¬
tillerieoffiziere waren zur Leitung des Baues befehligt, der aber keine Fort¬
schritte machte und nun, gleich andern Eisenbahnanlagen, wegen Mangel an
Geld sistirt ist. Alle türkischen Bahnen liegen für den Weltverkehr brach, da
ihnen nach dem Meere hin die Häfen und nach Norden die Anschlusse an die
österreichisch-ungarischen Linien fehlen. Aber auch im Innern können sie auf
die Belebung der Production nur geringen Einfluß üben, da es ihren Sta¬
tionen an Zufuhrstraßen mangelt. Wir fügen aus der oben angeführten
Registrande noch hinzu, daß im Jahre 1874 auf den zusammen 778 Kilometer
langen Linien der ersten und zweiten Inspection der Frachtverkehr, meist aus
Getreide und Holz bestehend, 164,903,237 Kilogramm, 66,3«/«. der Per¬
sonenverkehr 33,7«/y betrug. Die Betriebseinnahmen beliefen sich rund auf
6,48 Mill. Mark. Der Fahrpark bestand aus 83 Locomotiven, 303 Personen-
und 2220 Güterwagen; das Personal der Gesellschaft aus 656 Personen, die
zur Hälfte Deutsche und Oesterreicher waren. Die gemischte europäische
Commission zur Prüfung der türkischen Bahnen gab vor zwei Jahren das


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[0257] Wohlstand der Bevölkerung im Innern kann sich nicht heben, die wirthschaft- liche Entwicklung stagnirt. man producirt auf den meisten Gebieten nur für den eigenen Bedarf, die Folge jeder Mißernte ist eine furchtbare Hungersnoth, da Hülfe bei den colossalen Entfernungen der hiervon betroffenen Landstriche von der See oder von verschont gebliebenen Gegenden her meistens nicht zu rechter Zeit zu bringen ist. Seit dem Jahre 1872 hat die Türkei auch eine Anzahl Eisenbahnen und zwar sowohl in Asien als in Europa. Asiatische Bahnen sind die von Smyrna nach Jsmid führende, die 43, die Bahn Smyrna-Alpin, die 231 Kilometer, und die Bahn-Smyrna-Kassaba-Alaschehr, die eben so lang ist. Die Bahnen in Europa, welche jetzt in Betrieb sind, sind folgende: Erste Inspection - Konstantinopel-Adrianopel, 319 Kilometer; zweite Inspection: Adrianopel-Sarembey 243, Kuleli-Burgas-Dedeagh 112 und Hermanli-Jamboli 104 Kilometer; dritte Inspection: Salonik-Mitrowitza 363 Kilometer; vierte Inspection: Banjaluka. Oesterreichische Grenze, 102 Kilometer; endlich fünfte Inspection: Tschernawoda-Kustendsche 27, und Rustschuk-Varna, 224 Kilometer. Die beiden letztgenannten Bahnen hat eine englische Gesellschaft erbaut. Die übrigen europäischen Linien hat eine französische Gesellschaft angelegt. Der Betrieb derselben ist durch Vertrag vom 18. Mai 1872 an die LoinMMis g^n^rg-is as 1' exploitativu dos edöminL ter as Is, lurgui« ä'^uroxs auf fünfzig Jahre verpachtet, des¬ gleichen im Voraus derjenige der projectirten Bahn, welche durch das serbische Morawathal gehen soll. Die Linie Mitrowitza-Banjaluka, welche zur Um¬ gehung des serbischen Gebiets erbaut werden sollte, fand keinen Unternehmer, Weil die Terrainschwierigkeiten dreimal so groß sind als bei der Semmering- bahn mit ihren ungeheueren Steigungen und ihren vielen Tunneln; Ar¬ tillerieoffiziere waren zur Leitung des Baues befehligt, der aber keine Fort¬ schritte machte und nun, gleich andern Eisenbahnanlagen, wegen Mangel an Geld sistirt ist. Alle türkischen Bahnen liegen für den Weltverkehr brach, da ihnen nach dem Meere hin die Häfen und nach Norden die Anschlusse an die österreichisch-ungarischen Linien fehlen. Aber auch im Innern können sie auf die Belebung der Production nur geringen Einfluß üben, da es ihren Sta¬ tionen an Zufuhrstraßen mangelt. Wir fügen aus der oben angeführten Registrande noch hinzu, daß im Jahre 1874 auf den zusammen 778 Kilometer langen Linien der ersten und zweiten Inspection der Frachtverkehr, meist aus Getreide und Holz bestehend, 164,903,237 Kilogramm, 66,3«/«. der Per¬ sonenverkehr 33,7«/y betrug. Die Betriebseinnahmen beliefen sich rund auf 6,48 Mill. Mark. Der Fahrpark bestand aus 83 Locomotiven, 303 Personen- und 2220 Güterwagen; das Personal der Gesellschaft aus 656 Personen, die zur Hälfte Deutsche und Oesterreicher waren. Die gemischte europäische Commission zur Prüfung der türkischen Bahnen gab vor zwei Jahren das Grenzboten III. t876. 32

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/257>, abgerufen am 27.09.2024.