Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Theil, bisweilen auch die Hälfte der gewonnenen Naturprodukte, als Pacht¬
zins ab.

Eine russische Angabe berechnet bei einer jährlichen Einnahme von
120 Rubeln für Steuern bei dem Landbewohner in der Türkei 85 Ru¬
bel, so daß ihm nur 36 Rubel zum Leben übrig bleiben. Die Steuern
werden trotz der gegentheiligen Bestimmung des Chatti Scherifs von 1839
noch heute verpachtet und zur Verfallzeit von den Pächtern mit Hilfe der
Gendarmen eingetrieben. Die Regierung schlägt sie dem Meistbietenden zu,
und dabei kommt es vor, daß bei der Versteigerung der von ihr angenom¬
mene Maximalsatz überboten wird. Diejenigen Steuern, welche nicht in Pacht
gegeben werden, repartirt man nach den nur annähernd abgeschätzten Ver-
mögensverhältnissen der Steuerpflichtigen in großen Summen auf die Dtstricte
der Provinzen, wo sie dann von den Hodziabaschi der verschiedenen Con-
fessionen eingesammelt werden. Mindereinnahmen in den Steuern dürfen
nicht vorkommen, und so begab sichs, daß man in der Herzegowina 1875 trotz
eines inzwischen eintretenden großen Viehsterbens dieselbe Vtehsteuer verlangte,
wie im Jahre vorher.

Das Verkehrswesen in der Türkei liegt ebenso im Argen, wie alles
Andere. Die Häfen versanden, die Flüsse treten im Frühjahr, wenn der
Schnee thaut, und im Sommer bei Regengüssen über ihre Ufer und verwüsten
die Felder. Zur Regulirung geschieht nichts. Der Ausbau der Häfen von
Salonik, Dedeagl) und Varna ist vertragsmäßig festgestellt, aber noch nicht
begonnen worden. Chausseen, Canäle, überhaupt gebahnte und regelmäßig
unterhaltene Verbindungswege bestehen nur an wenigen Stellen, und fast
ohne Ausnahme befinden sie sich in der traurigsten Verfassung. Holperige
Saumpfade, die nur mit Pferden oder Mauleseln zu passiren sind, verbinden
die verschiedenen Orte mit einander. Aus alter Zeit her existiren zwar noch
hier und da Brücken, Dämme und Wasserleitungen, aber gewöhnlich sind sie
verfallen und dem Einstürze nahe, da von einer Ausbesserung keine Rede ist.
Dagegen sind die Wege- und Brückenzölle sorgfältig beibehalten, ja zum Theil
gegen früher erhöht worden, so daß sie, durch öffentliche Versteigerung an
den Meistbietenden öffentlich verpachtet, ohne der Regierung etwas zu kosten,
eine ziemlich bedeutende Einnahme liefern. Wenige Türken sehen ein, daß
Straßen noch einen anderen Zweck haben, als die Beförderung von Solda¬
ten, Kanonen und Kriegsmaterial. So ist der Straßenbau seit der Erfin¬
dung der Dampfschiffe ganz besonders vernachlässigt worden. Truppencon-
centrationen sollen, wo es irgend angeht, durch Schiffe bewerkstelligt werden.
Die Folgen dieser Vernachlässigung der Verkehrswege zu Lande liegen allent¬
halben zu Tage. Eine Ausbeutung der Hülfsquellen des Landes im großen
Stil ist nicht möglich, da der Absatz nur an den Küsten nicht gering ist; der


Theil, bisweilen auch die Hälfte der gewonnenen Naturprodukte, als Pacht¬
zins ab.

Eine russische Angabe berechnet bei einer jährlichen Einnahme von
120 Rubeln für Steuern bei dem Landbewohner in der Türkei 85 Ru¬
bel, so daß ihm nur 36 Rubel zum Leben übrig bleiben. Die Steuern
werden trotz der gegentheiligen Bestimmung des Chatti Scherifs von 1839
noch heute verpachtet und zur Verfallzeit von den Pächtern mit Hilfe der
Gendarmen eingetrieben. Die Regierung schlägt sie dem Meistbietenden zu,
und dabei kommt es vor, daß bei der Versteigerung der von ihr angenom¬
mene Maximalsatz überboten wird. Diejenigen Steuern, welche nicht in Pacht
gegeben werden, repartirt man nach den nur annähernd abgeschätzten Ver-
mögensverhältnissen der Steuerpflichtigen in großen Summen auf die Dtstricte
der Provinzen, wo sie dann von den Hodziabaschi der verschiedenen Con-
fessionen eingesammelt werden. Mindereinnahmen in den Steuern dürfen
nicht vorkommen, und so begab sichs, daß man in der Herzegowina 1875 trotz
eines inzwischen eintretenden großen Viehsterbens dieselbe Vtehsteuer verlangte,
wie im Jahre vorher.

Das Verkehrswesen in der Türkei liegt ebenso im Argen, wie alles
Andere. Die Häfen versanden, die Flüsse treten im Frühjahr, wenn der
Schnee thaut, und im Sommer bei Regengüssen über ihre Ufer und verwüsten
die Felder. Zur Regulirung geschieht nichts. Der Ausbau der Häfen von
Salonik, Dedeagl) und Varna ist vertragsmäßig festgestellt, aber noch nicht
begonnen worden. Chausseen, Canäle, überhaupt gebahnte und regelmäßig
unterhaltene Verbindungswege bestehen nur an wenigen Stellen, und fast
ohne Ausnahme befinden sie sich in der traurigsten Verfassung. Holperige
Saumpfade, die nur mit Pferden oder Mauleseln zu passiren sind, verbinden
die verschiedenen Orte mit einander. Aus alter Zeit her existiren zwar noch
hier und da Brücken, Dämme und Wasserleitungen, aber gewöhnlich sind sie
verfallen und dem Einstürze nahe, da von einer Ausbesserung keine Rede ist.
Dagegen sind die Wege- und Brückenzölle sorgfältig beibehalten, ja zum Theil
gegen früher erhöht worden, so daß sie, durch öffentliche Versteigerung an
den Meistbietenden öffentlich verpachtet, ohne der Regierung etwas zu kosten,
eine ziemlich bedeutende Einnahme liefern. Wenige Türken sehen ein, daß
Straßen noch einen anderen Zweck haben, als die Beförderung von Solda¬
ten, Kanonen und Kriegsmaterial. So ist der Straßenbau seit der Erfin¬
dung der Dampfschiffe ganz besonders vernachlässigt worden. Truppencon-
centrationen sollen, wo es irgend angeht, durch Schiffe bewerkstelligt werden.
Die Folgen dieser Vernachlässigung der Verkehrswege zu Lande liegen allent¬
halben zu Tage. Eine Ausbeutung der Hülfsquellen des Landes im großen
Stil ist nicht möglich, da der Absatz nur an den Küsten nicht gering ist; der


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0256" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/136367"/>
          <p xml:id="ID_636" prev="#ID_635"> Theil, bisweilen auch die Hälfte der gewonnenen Naturprodukte, als Pacht¬<lb/>
zins ab.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_637"> Eine russische Angabe berechnet bei einer jährlichen Einnahme von<lb/>
120 Rubeln für Steuern bei dem Landbewohner in der Türkei 85 Ru¬<lb/>
bel, so daß ihm nur 36 Rubel zum Leben übrig bleiben. Die Steuern<lb/>
werden trotz der gegentheiligen Bestimmung des Chatti Scherifs von 1839<lb/>
noch heute verpachtet und zur Verfallzeit von den Pächtern mit Hilfe der<lb/>
Gendarmen eingetrieben. Die Regierung schlägt sie dem Meistbietenden zu,<lb/>
und dabei kommt es vor, daß bei der Versteigerung der von ihr angenom¬<lb/>
mene Maximalsatz überboten wird. Diejenigen Steuern, welche nicht in Pacht<lb/>
gegeben werden, repartirt man nach den nur annähernd abgeschätzten Ver-<lb/>
mögensverhältnissen der Steuerpflichtigen in großen Summen auf die Dtstricte<lb/>
der Provinzen, wo sie dann von den Hodziabaschi der verschiedenen Con-<lb/>
fessionen eingesammelt werden. Mindereinnahmen in den Steuern dürfen<lb/>
nicht vorkommen, und so begab sichs, daß man in der Herzegowina 1875 trotz<lb/>
eines inzwischen eintretenden großen Viehsterbens dieselbe Vtehsteuer verlangte,<lb/>
wie im Jahre vorher.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_638" next="#ID_639"> Das Verkehrswesen in der Türkei liegt ebenso im Argen, wie alles<lb/>
Andere. Die Häfen versanden, die Flüsse treten im Frühjahr, wenn der<lb/>
Schnee thaut, und im Sommer bei Regengüssen über ihre Ufer und verwüsten<lb/>
die Felder. Zur Regulirung geschieht nichts. Der Ausbau der Häfen von<lb/>
Salonik, Dedeagl) und Varna ist vertragsmäßig festgestellt, aber noch nicht<lb/>
begonnen worden. Chausseen, Canäle, überhaupt gebahnte und regelmäßig<lb/>
unterhaltene Verbindungswege bestehen nur an wenigen Stellen, und fast<lb/>
ohne Ausnahme befinden sie sich in der traurigsten Verfassung. Holperige<lb/>
Saumpfade, die nur mit Pferden oder Mauleseln zu passiren sind, verbinden<lb/>
die verschiedenen Orte mit einander. Aus alter Zeit her existiren zwar noch<lb/>
hier und da Brücken, Dämme und Wasserleitungen, aber gewöhnlich sind sie<lb/>
verfallen und dem Einstürze nahe, da von einer Ausbesserung keine Rede ist.<lb/>
Dagegen sind die Wege- und Brückenzölle sorgfältig beibehalten, ja zum Theil<lb/>
gegen früher erhöht worden, so daß sie, durch öffentliche Versteigerung an<lb/>
den Meistbietenden öffentlich verpachtet, ohne der Regierung etwas zu kosten,<lb/>
eine ziemlich bedeutende Einnahme liefern. Wenige Türken sehen ein, daß<lb/>
Straßen noch einen anderen Zweck haben, als die Beförderung von Solda¬<lb/>
ten, Kanonen und Kriegsmaterial. So ist der Straßenbau seit der Erfin¬<lb/>
dung der Dampfschiffe ganz besonders vernachlässigt worden. Truppencon-<lb/>
centrationen sollen, wo es irgend angeht, durch Schiffe bewerkstelligt werden.<lb/>
Die Folgen dieser Vernachlässigung der Verkehrswege zu Lande liegen allent¬<lb/>
halben zu Tage. Eine Ausbeutung der Hülfsquellen des Landes im großen<lb/>
Stil ist nicht möglich, da der Absatz nur an den Küsten nicht gering ist; der</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0256] Theil, bisweilen auch die Hälfte der gewonnenen Naturprodukte, als Pacht¬ zins ab. Eine russische Angabe berechnet bei einer jährlichen Einnahme von 120 Rubeln für Steuern bei dem Landbewohner in der Türkei 85 Ru¬ bel, so daß ihm nur 36 Rubel zum Leben übrig bleiben. Die Steuern werden trotz der gegentheiligen Bestimmung des Chatti Scherifs von 1839 noch heute verpachtet und zur Verfallzeit von den Pächtern mit Hilfe der Gendarmen eingetrieben. Die Regierung schlägt sie dem Meistbietenden zu, und dabei kommt es vor, daß bei der Versteigerung der von ihr angenom¬ mene Maximalsatz überboten wird. Diejenigen Steuern, welche nicht in Pacht gegeben werden, repartirt man nach den nur annähernd abgeschätzten Ver- mögensverhältnissen der Steuerpflichtigen in großen Summen auf die Dtstricte der Provinzen, wo sie dann von den Hodziabaschi der verschiedenen Con- fessionen eingesammelt werden. Mindereinnahmen in den Steuern dürfen nicht vorkommen, und so begab sichs, daß man in der Herzegowina 1875 trotz eines inzwischen eintretenden großen Viehsterbens dieselbe Vtehsteuer verlangte, wie im Jahre vorher. Das Verkehrswesen in der Türkei liegt ebenso im Argen, wie alles Andere. Die Häfen versanden, die Flüsse treten im Frühjahr, wenn der Schnee thaut, und im Sommer bei Regengüssen über ihre Ufer und verwüsten die Felder. Zur Regulirung geschieht nichts. Der Ausbau der Häfen von Salonik, Dedeagl) und Varna ist vertragsmäßig festgestellt, aber noch nicht begonnen worden. Chausseen, Canäle, überhaupt gebahnte und regelmäßig unterhaltene Verbindungswege bestehen nur an wenigen Stellen, und fast ohne Ausnahme befinden sie sich in der traurigsten Verfassung. Holperige Saumpfade, die nur mit Pferden oder Mauleseln zu passiren sind, verbinden die verschiedenen Orte mit einander. Aus alter Zeit her existiren zwar noch hier und da Brücken, Dämme und Wasserleitungen, aber gewöhnlich sind sie verfallen und dem Einstürze nahe, da von einer Ausbesserung keine Rede ist. Dagegen sind die Wege- und Brückenzölle sorgfältig beibehalten, ja zum Theil gegen früher erhöht worden, so daß sie, durch öffentliche Versteigerung an den Meistbietenden öffentlich verpachtet, ohne der Regierung etwas zu kosten, eine ziemlich bedeutende Einnahme liefern. Wenige Türken sehen ein, daß Straßen noch einen anderen Zweck haben, als die Beförderung von Solda¬ ten, Kanonen und Kriegsmaterial. So ist der Straßenbau seit der Erfin¬ dung der Dampfschiffe ganz besonders vernachlässigt worden. Truppencon- centrationen sollen, wo es irgend angeht, durch Schiffe bewerkstelligt werden. Die Folgen dieser Vernachlässigung der Verkehrswege zu Lande liegen allent¬ halben zu Tage. Eine Ausbeutung der Hülfsquellen des Landes im großen Stil ist nicht möglich, da der Absatz nur an den Küsten nicht gering ist; der

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/256
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/256>, abgerufen am 20.10.2024.