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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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Die vom steuerpflichtigen Volke erhobenen Summen sind höchst bedeutend,
doch kann niemand sagen, was den Steuererhebern bezahlt wird, und was
diese davon der Staatskasse zufließen lassen. In vielen Gegenden Anatoliens
kann man nicht einmal von einem Orte zum nächstgelegenen und noch weniger
von einem Landstriche zu einem entfernteren auch nur "nähernd auf die zu
zahlenden Abgaben schließen, so sehr hatte bis auf die neueste Zeit die
Willkür freien Spielraum, und so unbestimmt und zweideutig waren selbst
die Grundbedingungen aller Steuern festgestellt. 1851 wollten die Einen
den Gewinn der Steuerpächter auf 300 bis 400 Millionen türkischer Piaster
veranschlagen, während die Andern eben so viele Francs, also das Vierfache,
annahmen. Durch den härtesten Steuerdruck ist es in der letzten Zeit ge¬
lungen, (vgl. zu dem Nächstfolgenden die Registrande der geographisch¬
statistischen Abtheilung des großen Generalstabes, der wir, einige Ergänzungen
einschiebend, auszugsweise folgen) die jährlichen Staatseinnahmen auf 360
Millionen Mark hinaufzuschrauben, und von diesen wurden 40 Millionen
für den Hof vorweggenommen, 300 Millionen waren zur Bestreitung der
Amortisation und der Verzinsung für die öffentliche Schuld erforderlich --
mit den restirenden 20 Millionen Mark sollte die gesammte bürgerliche und
militärische Verwaltung des ungeheuren Reiches bestritten werden. Hierzu
trat, daß die Aufnahme neuer Schulden zur Beschaffung von Circulations-
mitteln innerhalb des Landes dringend erforderlich war, da ohne eine solche
nach wenigen Jahren sämmtliches baare Geld aus dem Lande verschwunden
und eine Geldkrisis entstanden wäre, welche den Handel vollständig brach¬
legen mußte.

Seitdem ist mit dem 6. October v. I. der partielle Staatsbankerott im
osmanischen Reiche eingetreten. Die Pforte erklärte: 1) Verzinsung und
Tilgung der innern und äußern Schulden des Staates sind von gedachtem
Tage an fünf Jahre hindurch auf die Hälfte herabgesetzt; 2) die Auszahlung
der Zinscoupons soll in folgender Weise stattfinden: die erste Hälfte in ihrem
ganzen Betrage baar und die zweite in neuen fünfprocentigen Titeln, deren
Zinsbetrag ebenfalls und zu gleicher Zeit mit dem Zahlungstermin der ersten
Hälfte ausgezahlt wird; 3) die der vollständigen baaren Bezahlung der
ersten Hälfte sowie dem erwähnten fünfprocentigen Zins zu Grunde liegenden
Bürgschaften bestehen aus dem Gesammtbetrag der Zolleinnahmen, der Tabaks¬
und Salzsteuer, dem ägyptischen Tribut und, falls diese Beträge nicht genügen
sollten, aus einer Ergänzung durch die Hammelsteuer; 4) wenn nach Ver¬
lauf von fünf Jahren obige zweite Hälfte der in 5 Procent tragendes Ca¬
pital verwandelten Coupons nicht bezahlt werden sollte, so wird die Frist
verlängert werden bis zur vollständigen Tilgung der nächsten im Auslande
zu amortisirenden Anleihe, deren auf diese Art freigewordene Garantien die


Die vom steuerpflichtigen Volke erhobenen Summen sind höchst bedeutend,
doch kann niemand sagen, was den Steuererhebern bezahlt wird, und was
diese davon der Staatskasse zufließen lassen. In vielen Gegenden Anatoliens
kann man nicht einmal von einem Orte zum nächstgelegenen und noch weniger
von einem Landstriche zu einem entfernteren auch nur «nähernd auf die zu
zahlenden Abgaben schließen, so sehr hatte bis auf die neueste Zeit die
Willkür freien Spielraum, und so unbestimmt und zweideutig waren selbst
die Grundbedingungen aller Steuern festgestellt. 1851 wollten die Einen
den Gewinn der Steuerpächter auf 300 bis 400 Millionen türkischer Piaster
veranschlagen, während die Andern eben so viele Francs, also das Vierfache,
annahmen. Durch den härtesten Steuerdruck ist es in der letzten Zeit ge¬
lungen, (vgl. zu dem Nächstfolgenden die Registrande der geographisch¬
statistischen Abtheilung des großen Generalstabes, der wir, einige Ergänzungen
einschiebend, auszugsweise folgen) die jährlichen Staatseinnahmen auf 360
Millionen Mark hinaufzuschrauben, und von diesen wurden 40 Millionen
für den Hof vorweggenommen, 300 Millionen waren zur Bestreitung der
Amortisation und der Verzinsung für die öffentliche Schuld erforderlich —
mit den restirenden 20 Millionen Mark sollte die gesammte bürgerliche und
militärische Verwaltung des ungeheuren Reiches bestritten werden. Hierzu
trat, daß die Aufnahme neuer Schulden zur Beschaffung von Circulations-
mitteln innerhalb des Landes dringend erforderlich war, da ohne eine solche
nach wenigen Jahren sämmtliches baare Geld aus dem Lande verschwunden
und eine Geldkrisis entstanden wäre, welche den Handel vollständig brach¬
legen mußte.

Seitdem ist mit dem 6. October v. I. der partielle Staatsbankerott im
osmanischen Reiche eingetreten. Die Pforte erklärte: 1) Verzinsung und
Tilgung der innern und äußern Schulden des Staates sind von gedachtem
Tage an fünf Jahre hindurch auf die Hälfte herabgesetzt; 2) die Auszahlung
der Zinscoupons soll in folgender Weise stattfinden: die erste Hälfte in ihrem
ganzen Betrage baar und die zweite in neuen fünfprocentigen Titeln, deren
Zinsbetrag ebenfalls und zu gleicher Zeit mit dem Zahlungstermin der ersten
Hälfte ausgezahlt wird; 3) die der vollständigen baaren Bezahlung der
ersten Hälfte sowie dem erwähnten fünfprocentigen Zins zu Grunde liegenden
Bürgschaften bestehen aus dem Gesammtbetrag der Zolleinnahmen, der Tabaks¬
und Salzsteuer, dem ägyptischen Tribut und, falls diese Beträge nicht genügen
sollten, aus einer Ergänzung durch die Hammelsteuer; 4) wenn nach Ver¬
lauf von fünf Jahren obige zweite Hälfte der in 5 Procent tragendes Ca¬
pital verwandelten Coupons nicht bezahlt werden sollte, so wird die Frist
verlängert werden bis zur vollständigen Tilgung der nächsten im Auslande
zu amortisirenden Anleihe, deren auf diese Art freigewordene Garantien die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/252>, abgerufen am 20.10.2024.