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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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besetzen und ihr Gebiet abzurunden. Diese Bestrebungen wurden von den
in fortwährenden, inneren Kämpfen verlorenen abessinischen Fürsten gar nicht
bemerkt oder wenigstens nicht beachtet, und nur zwischen den unmittelbaren
Grenzbewohnern auf beiderseitigen Gebiet kam es zu immerwährenden Räube¬
reien und Zusammenstößen, denen aber politische Rücksichten nicht zu
Grunde lagen. Diese Stämme sind größtentheils Nomaden, denen die Kriegs-
lust angeboren ist, und die jede Gelegenheit benutzen, wie Meinungsdifferenzen
über einen streitigen Weideplatz :c., um dieser Lust zu fröhnen. Diese kleinen
Kämpfe an der Nord- und Westgrenze von Amhara und der Nordgrenze von
Tigre. die mit einen Grund zu dem jetzigen Kriege legten, spielen alle in den
letzten fünfzig Jahren, während der stärkste Grund der gegenseitigen Feindschaft
sich schon einige Jahrhunderte zurückdatirt. Durch die fanatischen Muhamedaner
Wurden die christlichen Abessinier im 16. Jahrhundert stark ins Gedränge
gebracht, und nur durch die Hülfe eines kleinen portugiesischen Heeres gelang
es ihnen, die Muselmänner aus dem Lande zu vertreiben. In den folgenden
Streitigkeiten, die, durch die Proselttenmacherei der Portugiesen veranlaßt,
mit der Vertreibung derselben endeten, glückte es den Türken 1557, das
Küstenland am Rothen Meere wegzunehmen und sich in der Hafenstadt
Massawa festzusetzen. Abesstnien war von der See abgeschlossen, und wenn
auch die Bewohner des Hochlandes, versunken in Fehden, kaum einen Versuch
machten, sich dieser wichtigen Stadt wieder zu bemächtigen, so fraß der Groll
über diese Gewaltthat doch fort und bildete mit den Hauptgrund zu dem
jetzigen Haß zwischen Abessinien und Aegypten. Die Religion hat damit
nur wenig zu thun; denn ^ der Abessinier sind Muhamedaner. die im All-
gemeinen mit den Christen in Frieden leben, überhaupt ist die Bevölkerung
aller dieser Länder zu indolent, um sich wegen nicht verstandener religiöser
Dogmen zu streiten. Beim Emporkommen des Kaisers Theodorus schien es
zum erstenmale, als wenn der offene Kampf zwischen den beiden Staaten
Aegypten und Abessinien ausbrechen würde. Nur die fortdauernden Auf¬
stände hinderten den Kaiser seinem glühenden Haffe gegen die Aegypter nach-
Zugeben und dieselben in den Grenzländern anzugreifen. Welche Ansprüche
er machte, kann man aus der Botschaft entnehmen, welche er, auf der Höhe
seiner Macht stehend, an den Gouverneur von Chartum, damals Musa
Pascha, richtete. Er verlangte als ihm gehörig weiter Nichts, als das ganze
südlich von Sehende am Nil belegene Gebiet, da dasselbe zu dem alten äthio¬
pischen Reich gehört hatte und zwar sollte, um die Grenze zu bezeichnen, ein
breiter Graben östlich und westlich ins Unbekannte gezogen werden. Sein
Hauptaugenmerk richtete aber Theodor auf die Eroberung von Massawa,
von der richtigen Ansicht ausgehend, daß nur der Besitz eines Hafens
und die ungehinderte Verbindung mit Europa und Indien Abessinien

besetzen und ihr Gebiet abzurunden. Diese Bestrebungen wurden von den
in fortwährenden, inneren Kämpfen verlorenen abessinischen Fürsten gar nicht
bemerkt oder wenigstens nicht beachtet, und nur zwischen den unmittelbaren
Grenzbewohnern auf beiderseitigen Gebiet kam es zu immerwährenden Räube¬
reien und Zusammenstößen, denen aber politische Rücksichten nicht zu
Grunde lagen. Diese Stämme sind größtentheils Nomaden, denen die Kriegs-
lust angeboren ist, und die jede Gelegenheit benutzen, wie Meinungsdifferenzen
über einen streitigen Weideplatz :c., um dieser Lust zu fröhnen. Diese kleinen
Kämpfe an der Nord- und Westgrenze von Amhara und der Nordgrenze von
Tigre. die mit einen Grund zu dem jetzigen Kriege legten, spielen alle in den
letzten fünfzig Jahren, während der stärkste Grund der gegenseitigen Feindschaft
sich schon einige Jahrhunderte zurückdatirt. Durch die fanatischen Muhamedaner
Wurden die christlichen Abessinier im 16. Jahrhundert stark ins Gedränge
gebracht, und nur durch die Hülfe eines kleinen portugiesischen Heeres gelang
es ihnen, die Muselmänner aus dem Lande zu vertreiben. In den folgenden
Streitigkeiten, die, durch die Proselttenmacherei der Portugiesen veranlaßt,
mit der Vertreibung derselben endeten, glückte es den Türken 1557, das
Küstenland am Rothen Meere wegzunehmen und sich in der Hafenstadt
Massawa festzusetzen. Abesstnien war von der See abgeschlossen, und wenn
auch die Bewohner des Hochlandes, versunken in Fehden, kaum einen Versuch
machten, sich dieser wichtigen Stadt wieder zu bemächtigen, so fraß der Groll
über diese Gewaltthat doch fort und bildete mit den Hauptgrund zu dem
jetzigen Haß zwischen Abessinien und Aegypten. Die Religion hat damit
nur wenig zu thun; denn ^ der Abessinier sind Muhamedaner. die im All-
gemeinen mit den Christen in Frieden leben, überhaupt ist die Bevölkerung
aller dieser Länder zu indolent, um sich wegen nicht verstandener religiöser
Dogmen zu streiten. Beim Emporkommen des Kaisers Theodorus schien es
zum erstenmale, als wenn der offene Kampf zwischen den beiden Staaten
Aegypten und Abessinien ausbrechen würde. Nur die fortdauernden Auf¬
stände hinderten den Kaiser seinem glühenden Haffe gegen die Aegypter nach-
Zugeben und dieselben in den Grenzländern anzugreifen. Welche Ansprüche
er machte, kann man aus der Botschaft entnehmen, welche er, auf der Höhe
seiner Macht stehend, an den Gouverneur von Chartum, damals Musa
Pascha, richtete. Er verlangte als ihm gehörig weiter Nichts, als das ganze
südlich von Sehende am Nil belegene Gebiet, da dasselbe zu dem alten äthio¬
pischen Reich gehört hatte und zwar sollte, um die Grenze zu bezeichnen, ein
breiter Graben östlich und westlich ins Unbekannte gezogen werden. Sein
Hauptaugenmerk richtete aber Theodor auf die Eroberung von Massawa,
von der richtigen Ansicht ausgehend, daß nur der Besitz eines Hafens
und die ungehinderte Verbindung mit Europa und Indien Abessinien
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[0211] besetzen und ihr Gebiet abzurunden. Diese Bestrebungen wurden von den in fortwährenden, inneren Kämpfen verlorenen abessinischen Fürsten gar nicht bemerkt oder wenigstens nicht beachtet, und nur zwischen den unmittelbaren Grenzbewohnern auf beiderseitigen Gebiet kam es zu immerwährenden Räube¬ reien und Zusammenstößen, denen aber politische Rücksichten nicht zu Grunde lagen. Diese Stämme sind größtentheils Nomaden, denen die Kriegs- lust angeboren ist, und die jede Gelegenheit benutzen, wie Meinungsdifferenzen über einen streitigen Weideplatz :c., um dieser Lust zu fröhnen. Diese kleinen Kämpfe an der Nord- und Westgrenze von Amhara und der Nordgrenze von Tigre. die mit einen Grund zu dem jetzigen Kriege legten, spielen alle in den letzten fünfzig Jahren, während der stärkste Grund der gegenseitigen Feindschaft sich schon einige Jahrhunderte zurückdatirt. Durch die fanatischen Muhamedaner Wurden die christlichen Abessinier im 16. Jahrhundert stark ins Gedränge gebracht, und nur durch die Hülfe eines kleinen portugiesischen Heeres gelang es ihnen, die Muselmänner aus dem Lande zu vertreiben. In den folgenden Streitigkeiten, die, durch die Proselttenmacherei der Portugiesen veranlaßt, mit der Vertreibung derselben endeten, glückte es den Türken 1557, das Küstenland am Rothen Meere wegzunehmen und sich in der Hafenstadt Massawa festzusetzen. Abesstnien war von der See abgeschlossen, und wenn auch die Bewohner des Hochlandes, versunken in Fehden, kaum einen Versuch machten, sich dieser wichtigen Stadt wieder zu bemächtigen, so fraß der Groll über diese Gewaltthat doch fort und bildete mit den Hauptgrund zu dem jetzigen Haß zwischen Abessinien und Aegypten. Die Religion hat damit nur wenig zu thun; denn ^ der Abessinier sind Muhamedaner. die im All- gemeinen mit den Christen in Frieden leben, überhaupt ist die Bevölkerung aller dieser Länder zu indolent, um sich wegen nicht verstandener religiöser Dogmen zu streiten. Beim Emporkommen des Kaisers Theodorus schien es zum erstenmale, als wenn der offene Kampf zwischen den beiden Staaten Aegypten und Abessinien ausbrechen würde. Nur die fortdauernden Auf¬ stände hinderten den Kaiser seinem glühenden Haffe gegen die Aegypter nach- Zugeben und dieselben in den Grenzländern anzugreifen. Welche Ansprüche er machte, kann man aus der Botschaft entnehmen, welche er, auf der Höhe seiner Macht stehend, an den Gouverneur von Chartum, damals Musa Pascha, richtete. Er verlangte als ihm gehörig weiter Nichts, als das ganze südlich von Sehende am Nil belegene Gebiet, da dasselbe zu dem alten äthio¬ pischen Reich gehört hatte und zwar sollte, um die Grenze zu bezeichnen, ein breiter Graben östlich und westlich ins Unbekannte gezogen werden. Sein Hauptaugenmerk richtete aber Theodor auf die Eroberung von Massawa, von der richtigen Ansicht ausgehend, daß nur der Besitz eines Hafens und die ungehinderte Verbindung mit Europa und Indien Abessinien

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/211>, abgerufen am 27.09.2024.