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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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Brüder und Schwestern, die einen guten Spaß zu machen verstanden, schienen
sich der Zuneigung Aller in besonderem Grade zu erfreuen. Ihre Ascese
besteht in der Hauptsache im Cölibar, dann darin, daß sie nicht Karte spielen
und keine weltlichen Tänze aufführen. Gewisse Dinge halten sie nicht so¬
wohl für gottlos, als für unanständig. Ich glaube nicht, daß ein Thaler
mehr als ein Mal die komische Oper oder eine Posse besuchen würde, aber
eine Vorlesung unseres wackern Humoristen Mark Twain war für einen der
Brüder keine Erinnerung, wegen der er sich Borwürfe machte, er dachte
vielmehr mit großem Vergnügen an sie und würde sie ohne Zweifel sehr
gern noch einmal hören. Auch die Schriften Bret Harte's hatten sie gelesen,
ohne daß sie, wie es schien, für ihre Seelen Gefahr davon befürchteten. Sie
nehmen es sehr genau mit der Sonntagsfeier, doch, wie mir vorkam, mehr
aus Gewohnheit wie aus Gewtssensdrang.

Unsere Freunde, die Shaker von Shirley, werden bisweilen von Be¬
suchen in Verlegenheit gesetzt, die in'jeden ihrer Räume geführt sein wollen
und am liebsten in alle Kisten und Kasten guten möchten, wobei sie ver¬
gessen, daß sie sich in einem Privathause befinden. Wenn wir so ziemlich
alles zu sehen bekamen, was man zu zeigen hatte, so geschah das auf Grund
unserer näheren Bekanntschaft mit den Vorstehern. Der Erste Beste kann
billigerweise auf so viel Gefälligkeit keinen Anspruch erheben. In jedem
Shakerdorfe befindet sich ein Gebäude, welches das Wohnhaus (OwellinZ-
IIouss) heißt, welches von der Office und den übrigen Gebäuden getrennt
ist, und wo sich die Stuben der Brüder und Schwestern, die Küche, der Speise¬
saal und ein großer Raum befinden, in welchem letzteren man zusammenkommt,
um sich zu unterhalten. Der erste Eindruck, den man hier empfängt, ist der
einer scrupulöser Reinlichkeit, der zweite der einer gewissen Leere, die indeß
nicht bis zur Unbehaglichkeit geht. Die Wände sind einfach weiß getüncht
und unten mit Holzwerk bekleidet. Tapeten, Spiegel, Bilder, Polstermöbel
fehlen, die weiß gescheuerten Dielen sind nur stellenweise mit einfachen
Teppichen belegt. Ein Gang trennt die Stuben der Brüder von denen der
Schwestern. Die letzteren kommen in die Zimmer der ersteren nur, wenn
diese ausgegangen sind, und nur zu dem Zwecke, um deren Wäsche zur
Reinigung und Ausbesserung abzuholen. In jedem Gemache sind zwei Brüder
oder zwei Schwestern untergebracht, und jedes hat einen Tisch, zwei Betten,
zwei Schaukelstühle, zwei Waschtische und einen Ofen. Vor den Betten liegen
dicke, grobe Zottelteppiche. Die Stuben der jüngeren Leute und der Kinder
befinden sich im obern Stocke, "so daß, wenn die jüngeren Schwestern, nach¬
dem sie zu Bett gegangen sind, noch zu plaudern Lust haben, die älteren
nicht von ihnen gestört werden." In den Einrichtungen der Zimmer war
wenig von individuellem Geschmack, persönlicher Liebhaberei zu finden. Der


Brüder und Schwestern, die einen guten Spaß zu machen verstanden, schienen
sich der Zuneigung Aller in besonderem Grade zu erfreuen. Ihre Ascese
besteht in der Hauptsache im Cölibar, dann darin, daß sie nicht Karte spielen
und keine weltlichen Tänze aufführen. Gewisse Dinge halten sie nicht so¬
wohl für gottlos, als für unanständig. Ich glaube nicht, daß ein Thaler
mehr als ein Mal die komische Oper oder eine Posse besuchen würde, aber
eine Vorlesung unseres wackern Humoristen Mark Twain war für einen der
Brüder keine Erinnerung, wegen der er sich Borwürfe machte, er dachte
vielmehr mit großem Vergnügen an sie und würde sie ohne Zweifel sehr
gern noch einmal hören. Auch die Schriften Bret Harte's hatten sie gelesen,
ohne daß sie, wie es schien, für ihre Seelen Gefahr davon befürchteten. Sie
nehmen es sehr genau mit der Sonntagsfeier, doch, wie mir vorkam, mehr
aus Gewohnheit wie aus Gewtssensdrang.

Unsere Freunde, die Shaker von Shirley, werden bisweilen von Be¬
suchen in Verlegenheit gesetzt, die in'jeden ihrer Räume geführt sein wollen
und am liebsten in alle Kisten und Kasten guten möchten, wobei sie ver¬
gessen, daß sie sich in einem Privathause befinden. Wenn wir so ziemlich
alles zu sehen bekamen, was man zu zeigen hatte, so geschah das auf Grund
unserer näheren Bekanntschaft mit den Vorstehern. Der Erste Beste kann
billigerweise auf so viel Gefälligkeit keinen Anspruch erheben. In jedem
Shakerdorfe befindet sich ein Gebäude, welches das Wohnhaus (OwellinZ-
IIouss) heißt, welches von der Office und den übrigen Gebäuden getrennt
ist, und wo sich die Stuben der Brüder und Schwestern, die Küche, der Speise¬
saal und ein großer Raum befinden, in welchem letzteren man zusammenkommt,
um sich zu unterhalten. Der erste Eindruck, den man hier empfängt, ist der
einer scrupulöser Reinlichkeit, der zweite der einer gewissen Leere, die indeß
nicht bis zur Unbehaglichkeit geht. Die Wände sind einfach weiß getüncht
und unten mit Holzwerk bekleidet. Tapeten, Spiegel, Bilder, Polstermöbel
fehlen, die weiß gescheuerten Dielen sind nur stellenweise mit einfachen
Teppichen belegt. Ein Gang trennt die Stuben der Brüder von denen der
Schwestern. Die letzteren kommen in die Zimmer der ersteren nur, wenn
diese ausgegangen sind, und nur zu dem Zwecke, um deren Wäsche zur
Reinigung und Ausbesserung abzuholen. In jedem Gemache sind zwei Brüder
oder zwei Schwestern untergebracht, und jedes hat einen Tisch, zwei Betten,
zwei Schaukelstühle, zwei Waschtische und einen Ofen. Vor den Betten liegen
dicke, grobe Zottelteppiche. Die Stuben der jüngeren Leute und der Kinder
befinden sich im obern Stocke, „so daß, wenn die jüngeren Schwestern, nach¬
dem sie zu Bett gegangen sind, noch zu plaudern Lust haben, die älteren
nicht von ihnen gestört werden." In den Einrichtungen der Zimmer war
wenig von individuellem Geschmack, persönlicher Liebhaberei zu finden. Der


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[0204] Brüder und Schwestern, die einen guten Spaß zu machen verstanden, schienen sich der Zuneigung Aller in besonderem Grade zu erfreuen. Ihre Ascese besteht in der Hauptsache im Cölibar, dann darin, daß sie nicht Karte spielen und keine weltlichen Tänze aufführen. Gewisse Dinge halten sie nicht so¬ wohl für gottlos, als für unanständig. Ich glaube nicht, daß ein Thaler mehr als ein Mal die komische Oper oder eine Posse besuchen würde, aber eine Vorlesung unseres wackern Humoristen Mark Twain war für einen der Brüder keine Erinnerung, wegen der er sich Borwürfe machte, er dachte vielmehr mit großem Vergnügen an sie und würde sie ohne Zweifel sehr gern noch einmal hören. Auch die Schriften Bret Harte's hatten sie gelesen, ohne daß sie, wie es schien, für ihre Seelen Gefahr davon befürchteten. Sie nehmen es sehr genau mit der Sonntagsfeier, doch, wie mir vorkam, mehr aus Gewohnheit wie aus Gewtssensdrang. Unsere Freunde, die Shaker von Shirley, werden bisweilen von Be¬ suchen in Verlegenheit gesetzt, die in'jeden ihrer Räume geführt sein wollen und am liebsten in alle Kisten und Kasten guten möchten, wobei sie ver¬ gessen, daß sie sich in einem Privathause befinden. Wenn wir so ziemlich alles zu sehen bekamen, was man zu zeigen hatte, so geschah das auf Grund unserer näheren Bekanntschaft mit den Vorstehern. Der Erste Beste kann billigerweise auf so viel Gefälligkeit keinen Anspruch erheben. In jedem Shakerdorfe befindet sich ein Gebäude, welches das Wohnhaus (OwellinZ- IIouss) heißt, welches von der Office und den übrigen Gebäuden getrennt ist, und wo sich die Stuben der Brüder und Schwestern, die Küche, der Speise¬ saal und ein großer Raum befinden, in welchem letzteren man zusammenkommt, um sich zu unterhalten. Der erste Eindruck, den man hier empfängt, ist der einer scrupulöser Reinlichkeit, der zweite der einer gewissen Leere, die indeß nicht bis zur Unbehaglichkeit geht. Die Wände sind einfach weiß getüncht und unten mit Holzwerk bekleidet. Tapeten, Spiegel, Bilder, Polstermöbel fehlen, die weiß gescheuerten Dielen sind nur stellenweise mit einfachen Teppichen belegt. Ein Gang trennt die Stuben der Brüder von denen der Schwestern. Die letzteren kommen in die Zimmer der ersteren nur, wenn diese ausgegangen sind, und nur zu dem Zwecke, um deren Wäsche zur Reinigung und Ausbesserung abzuholen. In jedem Gemache sind zwei Brüder oder zwei Schwestern untergebracht, und jedes hat einen Tisch, zwei Betten, zwei Schaukelstühle, zwei Waschtische und einen Ofen. Vor den Betten liegen dicke, grobe Zottelteppiche. Die Stuben der jüngeren Leute und der Kinder befinden sich im obern Stocke, „so daß, wenn die jüngeren Schwestern, nach¬ dem sie zu Bett gegangen sind, noch zu plaudern Lust haben, die älteren nicht von ihnen gestört werden." In den Einrichtungen der Zimmer war wenig von individuellem Geschmack, persönlicher Liebhaberei zu finden. Der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/204>, abgerufen am 27.09.2024.