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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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Zimmerleute und Schuhmacher mehr, da deren Arbeit wohlfeiler von der
Welt draußen gethan werden kann, und die Werkstätten, welche diese Hand¬
werke ehedem inne hatten, stehen jetzt leer. Die Gemeinde hat indeß immer
noch den erheblichen Vortheil, alle Lebensmittel und Kleiderstoffe zu Engros-
Preisen einkaufen zu können. Trotzdem bezweifle ich stark, daß das Leben
innerhalb derselben viel billiger ist als unter ihren nicht nach kommunistischen
Grundsätzen eingerichteten Nachbargemeinden.

An der Spitze jeder Familie -- d. h. jeder Unterabtheilung der Ge¬
meinde -- stehen ein Eider und eine Eldreß, welche die unterste Instanz für
alle Anliegen und Klagen bilden, und die alle Streitigkeiten zu schlichten
versuchen, welche innerhalb ihres Kreises vorkommen. Ich glaube ferner, daß
sie eine Art Beichtväter sind, denen die, welche es wünschen, ihr Herz aus¬
schütten, die Fehler, deren sie ihr Gewissen anklagt, bekennen und die Absicht
kundgeben können, sich zu bessern. Meinungsverschiedenheiten, zu deren Bei¬
legung die Entscheidung des Aeltesten nicht genügt, werden vor die Vorstände
gebracht, deren Urtheil als endgültig angesehen wird. Weltliche Gerichte
werden niemals angerufen, da die Welt für die Shaker nur so weit vor¬
handen ist, als sie ihnen Proselyten liefert, Waisenkinder von ihnen erziehen,
Bettler von ihnen unterstützen läßt und ihre Erzeugnisse gegen die von ihr
producirten Waaren eintauscht. Solcher Vorstände (Ministers) giebt es drei,
von denen zwei Schwestern sind, und die abwechselnd einen Monat in Shirley
und einen in Harvard ihren Wohnsitz haben. Ich habe nicht gesehen, daß
sie beim Gottesdienste eine hervorragende Rolle gespielt hätten, und man
kann sie wohl kaum als Priester oder Geistliche bezeichnen, aber allerdings
stehen sie in besonderer Achtung in der Gemeinde, und ihr Wille ist in
allen Stücken Ausschlag gebend. Natürlich wird keiner von ihnen mit seinem
Titel angeredet, sondern man ruft sie einfach wie alle Andern bei ihrem
Taufnamen, "Bruder John", "Bruder sitas", "Schwester Jane", "Schwester
Mary" u. d. Auch Fremde werden in dieser Weise angeredet. Ueberhaupt
ist die Sprache aller Shaker sehr einfach und natürlich, aber immer höflich
und rücksichtsvoll. Ihre Naivetät wird niemals lächerlich, und ihre Ehrlichkeit
und Aufrichtigkeit verleiht ihnen Würde und Ruhe, es sieht aus. als ob
Man sich nur von der Welt zurückzuziehen brauchte, um sie nicht mehr
scheuen zu dürfen.

Von einer düstern Ascese habe ich unter den Shakern nichts bemerkt.
Sie sind des Heils zu sicher, um noch streben zu müssen, es sich zu sichern und
zu bewahren. Ich fand unter ihnen nur Selbstbeherrschung, gute Zucht und
Seelenruhe, ich hörte nur maßvoll, wohlbedacht und gewissenhaft sprechen.
Auch Scherze waren in der Unterhaltung nicht ausgeschlossen, und wer eine
humoristische Ader hatte, brauchte sie nicht zu verbergen, im Gegentheil, die


Zimmerleute und Schuhmacher mehr, da deren Arbeit wohlfeiler von der
Welt draußen gethan werden kann, und die Werkstätten, welche diese Hand¬
werke ehedem inne hatten, stehen jetzt leer. Die Gemeinde hat indeß immer
noch den erheblichen Vortheil, alle Lebensmittel und Kleiderstoffe zu Engros-
Preisen einkaufen zu können. Trotzdem bezweifle ich stark, daß das Leben
innerhalb derselben viel billiger ist als unter ihren nicht nach kommunistischen
Grundsätzen eingerichteten Nachbargemeinden.

An der Spitze jeder Familie — d. h. jeder Unterabtheilung der Ge¬
meinde — stehen ein Eider und eine Eldreß, welche die unterste Instanz für
alle Anliegen und Klagen bilden, und die alle Streitigkeiten zu schlichten
versuchen, welche innerhalb ihres Kreises vorkommen. Ich glaube ferner, daß
sie eine Art Beichtväter sind, denen die, welche es wünschen, ihr Herz aus¬
schütten, die Fehler, deren sie ihr Gewissen anklagt, bekennen und die Absicht
kundgeben können, sich zu bessern. Meinungsverschiedenheiten, zu deren Bei¬
legung die Entscheidung des Aeltesten nicht genügt, werden vor die Vorstände
gebracht, deren Urtheil als endgültig angesehen wird. Weltliche Gerichte
werden niemals angerufen, da die Welt für die Shaker nur so weit vor¬
handen ist, als sie ihnen Proselyten liefert, Waisenkinder von ihnen erziehen,
Bettler von ihnen unterstützen läßt und ihre Erzeugnisse gegen die von ihr
producirten Waaren eintauscht. Solcher Vorstände (Ministers) giebt es drei,
von denen zwei Schwestern sind, und die abwechselnd einen Monat in Shirley
und einen in Harvard ihren Wohnsitz haben. Ich habe nicht gesehen, daß
sie beim Gottesdienste eine hervorragende Rolle gespielt hätten, und man
kann sie wohl kaum als Priester oder Geistliche bezeichnen, aber allerdings
stehen sie in besonderer Achtung in der Gemeinde, und ihr Wille ist in
allen Stücken Ausschlag gebend. Natürlich wird keiner von ihnen mit seinem
Titel angeredet, sondern man ruft sie einfach wie alle Andern bei ihrem
Taufnamen, „Bruder John", „Bruder sitas", „Schwester Jane", „Schwester
Mary" u. d. Auch Fremde werden in dieser Weise angeredet. Ueberhaupt
ist die Sprache aller Shaker sehr einfach und natürlich, aber immer höflich
und rücksichtsvoll. Ihre Naivetät wird niemals lächerlich, und ihre Ehrlichkeit
und Aufrichtigkeit verleiht ihnen Würde und Ruhe, es sieht aus. als ob
Man sich nur von der Welt zurückzuziehen brauchte, um sie nicht mehr
scheuen zu dürfen.

Von einer düstern Ascese habe ich unter den Shakern nichts bemerkt.
Sie sind des Heils zu sicher, um noch streben zu müssen, es sich zu sichern und
zu bewahren. Ich fand unter ihnen nur Selbstbeherrschung, gute Zucht und
Seelenruhe, ich hörte nur maßvoll, wohlbedacht und gewissenhaft sprechen.
Auch Scherze waren in der Unterhaltung nicht ausgeschlossen, und wer eine
humoristische Ader hatte, brauchte sie nicht zu verbergen, im Gegentheil, die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/203>, abgerufen am 27.09.2024.