Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

ein rührendes Zeugniß für die Wärme seines Gefühls gegenüber den einzigen
Personen, an deren Liebe ihm gelegen war. Der Brief schließt mit den
alten Kinderverschen, von denen er sagt: "?böse kooUsK lines coulant tue
liistor^ ok luz^ litt" --:

Nach der Verheirathung seiner Schwester Nancy litt es ihn nicht mehr
in Indien. Die politische Carriere in Indien war ihm durch allerlei klein¬
liche Widerwärtigkeiten, von Neidern oder Zeloten bereitet, ziemlich verleidet,
und er sehnte sich nach dem Wiedersehen mit den wenigen ihm gebliebenen
Geschwistern, sehnte sich nach der Atmosphäre eines gebildeten Landes. Seine
Freude war unbeschreiblich, als es seinem Schwager Trevelyan gelang, seine
Rückkehr nach England mit Macaulay's Schwester zu ermöglichen, sonst
hätte er es sicherlich noch im letzten Augenblick aufgegeben, Indien zu
verlassen.

Für die lange Seereise von Kalkutta nach England nahm sich Macaulay
vor, deutsch zu lernen, zu welchem Zwecke er sich eine deutsche Bibel,
Schiller's, Goethe's und Niebuhr's Werke als Hilfsmittel wählte. Einer
Grammatik bedürfte er für die Erlernung keiner Sprache, deren Stelle ver¬
trat ihm eben das Neue Testament. Ueber seine deutschen Studien findet
sich eine eigenthümliche Aeußerung Macaulay's in einem um das Jahr 1837
an seinen Freund Ellis geschriebenen Briefe: "Die Leute sagen mir, es sei
eine schwierige Sprache, aber ich glaube nicht, daß es eine Sprache giebt,
die ich nicht in vier Monaten zu bemeistern mir getraue, wenn ich täglich
zehn Stunden darin arbeite. Ich verspreche mir viel Vergnügen und Be¬
lehrung aus der Kenntniß der deutschen Literatur; und vor allem fühle ich,
wie eine innere Stimme, die Warnung einer Gottheit, daß meines Lebens
Endzweck darin bestehe, mit gewissen guten Deutschen meinen Spaß zu
treiben. Zu dem Ende muß ich natürlich vor allen Dingen deutsch lernen."
Zu den "gewissen guten Deutschen" zählte er wohl zunächst Niebuhr, an
dessen historischer Kritik er viel auszusetzen fand. In einem Briefe aus
etwas späterer Zeit lesen wir schon: "Ich hoffe, bei meiner Ankunft in
England des Deutschen ziemlich kundig zu sein. In verlorenen Minuten
habe ich schon begonnen, das Eis zu brechen. Ich habe etwa das halbe
Neue Testament in Luther's Uebersetzung gelesen und bin schon tief in



-) Ein Ähnliches deutsches Kinderlied fängt an:
"Es saßen zwei Täubchen auf einem Stein --".

ein rührendes Zeugniß für die Wärme seines Gefühls gegenüber den einzigen
Personen, an deren Liebe ihm gelegen war. Der Brief schließt mit den
alten Kinderverschen, von denen er sagt: „?böse kooUsK lines coulant tue
liistor^ ok luz^ litt" —:

Nach der Verheirathung seiner Schwester Nancy litt es ihn nicht mehr
in Indien. Die politische Carriere in Indien war ihm durch allerlei klein¬
liche Widerwärtigkeiten, von Neidern oder Zeloten bereitet, ziemlich verleidet,
und er sehnte sich nach dem Wiedersehen mit den wenigen ihm gebliebenen
Geschwistern, sehnte sich nach der Atmosphäre eines gebildeten Landes. Seine
Freude war unbeschreiblich, als es seinem Schwager Trevelyan gelang, seine
Rückkehr nach England mit Macaulay's Schwester zu ermöglichen, sonst
hätte er es sicherlich noch im letzten Augenblick aufgegeben, Indien zu
verlassen.

Für die lange Seereise von Kalkutta nach England nahm sich Macaulay
vor, deutsch zu lernen, zu welchem Zwecke er sich eine deutsche Bibel,
Schiller's, Goethe's und Niebuhr's Werke als Hilfsmittel wählte. Einer
Grammatik bedürfte er für die Erlernung keiner Sprache, deren Stelle ver¬
trat ihm eben das Neue Testament. Ueber seine deutschen Studien findet
sich eine eigenthümliche Aeußerung Macaulay's in einem um das Jahr 1837
an seinen Freund Ellis geschriebenen Briefe: „Die Leute sagen mir, es sei
eine schwierige Sprache, aber ich glaube nicht, daß es eine Sprache giebt,
die ich nicht in vier Monaten zu bemeistern mir getraue, wenn ich täglich
zehn Stunden darin arbeite. Ich verspreche mir viel Vergnügen und Be¬
lehrung aus der Kenntniß der deutschen Literatur; und vor allem fühle ich,
wie eine innere Stimme, die Warnung einer Gottheit, daß meines Lebens
Endzweck darin bestehe, mit gewissen guten Deutschen meinen Spaß zu
treiben. Zu dem Ende muß ich natürlich vor allen Dingen deutsch lernen."
Zu den „gewissen guten Deutschen" zählte er wohl zunächst Niebuhr, an
dessen historischer Kritik er viel auszusetzen fand. In einem Briefe aus
etwas späterer Zeit lesen wir schon: „Ich hoffe, bei meiner Ankunft in
England des Deutschen ziemlich kundig zu sein. In verlorenen Minuten
habe ich schon begonnen, das Eis zu brechen. Ich habe etwa das halbe
Neue Testament in Luther's Uebersetzung gelesen und bin schon tief in



-) Ein Ähnliches deutsches Kinderlied fängt an:
„Es saßen zwei Täubchen auf einem Stein —".
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0178" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/136289"/>
          <p xml:id="ID_423" prev="#ID_422"> ein rührendes Zeugniß für die Wärme seines Gefühls gegenüber den einzigen<lb/>
Personen, an deren Liebe ihm gelegen war. Der Brief schließt mit den<lb/>
alten Kinderverschen, von denen er sagt: &#x201E;?böse kooUsK lines coulant tue<lb/>
liistor^ ok luz^ litt" &#x2014;:</p><lb/>
          <lg xml:id="POEMID_1" type="poem">
            <l/>
          </lg><lb/>
          <p xml:id="ID_424"> Nach der Verheirathung seiner Schwester Nancy litt es ihn nicht mehr<lb/>
in Indien. Die politische Carriere in Indien war ihm durch allerlei klein¬<lb/>
liche Widerwärtigkeiten, von Neidern oder Zeloten bereitet, ziemlich verleidet,<lb/>
und er sehnte sich nach dem Wiedersehen mit den wenigen ihm gebliebenen<lb/>
Geschwistern, sehnte sich nach der Atmosphäre eines gebildeten Landes. Seine<lb/>
Freude war unbeschreiblich, als es seinem Schwager Trevelyan gelang, seine<lb/>
Rückkehr nach England mit Macaulay's Schwester zu ermöglichen, sonst<lb/>
hätte er es sicherlich noch im letzten Augenblick aufgegeben, Indien zu<lb/>
verlassen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_425" next="#ID_426"> Für die lange Seereise von Kalkutta nach England nahm sich Macaulay<lb/>
vor, deutsch zu lernen, zu welchem Zwecke er sich eine deutsche Bibel,<lb/>
Schiller's, Goethe's und Niebuhr's Werke als Hilfsmittel wählte. Einer<lb/>
Grammatik bedürfte er für die Erlernung keiner Sprache, deren Stelle ver¬<lb/>
trat ihm eben das Neue Testament. Ueber seine deutschen Studien findet<lb/>
sich eine eigenthümliche Aeußerung Macaulay's in einem um das Jahr 1837<lb/>
an seinen Freund Ellis geschriebenen Briefe: &#x201E;Die Leute sagen mir, es sei<lb/>
eine schwierige Sprache, aber ich glaube nicht, daß es eine Sprache giebt,<lb/>
die ich nicht in vier Monaten zu bemeistern mir getraue, wenn ich täglich<lb/>
zehn Stunden darin arbeite. Ich verspreche mir viel Vergnügen und Be¬<lb/>
lehrung aus der Kenntniß der deutschen Literatur; und vor allem fühle ich,<lb/>
wie eine innere Stimme, die Warnung einer Gottheit, daß meines Lebens<lb/>
Endzweck darin bestehe, mit gewissen guten Deutschen meinen Spaß zu<lb/>
treiben. Zu dem Ende muß ich natürlich vor allen Dingen deutsch lernen."<lb/>
Zu den &#x201E;gewissen guten Deutschen" zählte er wohl zunächst Niebuhr, an<lb/>
dessen historischer Kritik er viel auszusetzen fand. In einem Briefe aus<lb/>
etwas späterer Zeit lesen wir schon: &#x201E;Ich hoffe, bei meiner Ankunft in<lb/>
England des Deutschen ziemlich kundig zu sein. In verlorenen Minuten<lb/>
habe ich schon begonnen, das Eis zu brechen. Ich habe etwa das halbe<lb/>
Neue Testament in Luther's Uebersetzung gelesen und bin schon tief in</p><lb/>
          <note xml:id="FID_12" place="foot"> -) Ein Ähnliches deutsches Kinderlied fängt an:<lb/>
&#x201E;Es saßen zwei Täubchen auf einem Stein &#x2014;".</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0178] ein rührendes Zeugniß für die Wärme seines Gefühls gegenüber den einzigen Personen, an deren Liebe ihm gelegen war. Der Brief schließt mit den alten Kinderverschen, von denen er sagt: „?böse kooUsK lines coulant tue liistor^ ok luz^ litt" —: Nach der Verheirathung seiner Schwester Nancy litt es ihn nicht mehr in Indien. Die politische Carriere in Indien war ihm durch allerlei klein¬ liche Widerwärtigkeiten, von Neidern oder Zeloten bereitet, ziemlich verleidet, und er sehnte sich nach dem Wiedersehen mit den wenigen ihm gebliebenen Geschwistern, sehnte sich nach der Atmosphäre eines gebildeten Landes. Seine Freude war unbeschreiblich, als es seinem Schwager Trevelyan gelang, seine Rückkehr nach England mit Macaulay's Schwester zu ermöglichen, sonst hätte er es sicherlich noch im letzten Augenblick aufgegeben, Indien zu verlassen. Für die lange Seereise von Kalkutta nach England nahm sich Macaulay vor, deutsch zu lernen, zu welchem Zwecke er sich eine deutsche Bibel, Schiller's, Goethe's und Niebuhr's Werke als Hilfsmittel wählte. Einer Grammatik bedürfte er für die Erlernung keiner Sprache, deren Stelle ver¬ trat ihm eben das Neue Testament. Ueber seine deutschen Studien findet sich eine eigenthümliche Aeußerung Macaulay's in einem um das Jahr 1837 an seinen Freund Ellis geschriebenen Briefe: „Die Leute sagen mir, es sei eine schwierige Sprache, aber ich glaube nicht, daß es eine Sprache giebt, die ich nicht in vier Monaten zu bemeistern mir getraue, wenn ich täglich zehn Stunden darin arbeite. Ich verspreche mir viel Vergnügen und Be¬ lehrung aus der Kenntniß der deutschen Literatur; und vor allem fühle ich, wie eine innere Stimme, die Warnung einer Gottheit, daß meines Lebens Endzweck darin bestehe, mit gewissen guten Deutschen meinen Spaß zu treiben. Zu dem Ende muß ich natürlich vor allen Dingen deutsch lernen." Zu den „gewissen guten Deutschen" zählte er wohl zunächst Niebuhr, an dessen historischer Kritik er viel auszusetzen fand. In einem Briefe aus etwas späterer Zeit lesen wir schon: „Ich hoffe, bei meiner Ankunft in England des Deutschen ziemlich kundig zu sein. In verlorenen Minuten habe ich schon begonnen, das Eis zu brechen. Ich habe etwa das halbe Neue Testament in Luther's Uebersetzung gelesen und bin schon tief in -) Ein Ähnliches deutsches Kinderlied fängt an: „Es saßen zwei Täubchen auf einem Stein —".

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/178
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/178>, abgerufen am 27.09.2024.