Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.im Millennium zu leben. Im Jahre 4S2, sogen ihre DogmaMer, hob mit im Millennium zu leben. Im Jahre 4S2, sogen ihre DogmaMer, hob mit <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0159" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/136270"/> <p xml:id="ID_375" prev="#ID_374" next="#ID_376"> im Millennium zu leben. Im Jahre 4S2, sogen ihre DogmaMer, hob mit<lb/> der Feststellung der päpstlichen Macht, welche Staat und Kirche vereinigte,<lb/> das Reich des Antichrists an, das nach der biblischen Weissagung dem zweiten<lb/> Erscheinen Christi auf Erden vorausgehen soll. Es wuchs und breitete sich<lb/> zur Herrschaft über die Welt aus und nahm dann seit der Reformation, die<lb/> nur „ein Riß in die Einheit und Gewalt des großen Drachen" war, all¬<lb/> mählich wieder ab, bis die prophezeiten „1290 Tage der Verwüstung" abge¬<lb/> laufen waren. Während dieser Periode kehrte der göttliche Geist Christi, des<lb/> „Sohnes der ewigen Mutter Weisheit", aus der Kirche auf Erden in den<lb/> Himmel zurück, um dort den Weg für seine Wiederkunft hienieden „in und<lb/> mit der heiligen Braut, welche die Tochter der ewigen Weisheit ist", vorzu¬<lb/> bereiten. Er ließ sich dann auf Ann Lee in England herab, um sein Heiligthum zu<lb/> reinigen und sein tausendjähriges Reich zu errichten. Diese Parusie war also<lb/> nicht die Wiedererscheinung desselben persönlichen Wesens, sondern die Mani¬<lb/> festation desselben Geistes, und sie mußte durch das Medium eines Weibes<lb/> geschehen, weil das Menschengeschlecht zu voller Erlösung von den Folgen<lb/> des Sündenfalls nicht blos eines zweiten Adam's, sondern auch einer zweiten<lb/> Eva bedürfte, oder mit andern Worten, weil die Wiedergeburt zum Leben<lb/> in der geistigen Welt für den Einzelnen, ganz wie die Erzeugung und Ge¬<lb/> burt zu irdischem Dasein, nicht blos einen Mann, sondern Eltern voraussetzt.<lb/> Jene Wiedergeburt oder geistige Zeugung durch Christus als Vater und Ann<lb/> Lee als Mutter ist die einzige, die fortan stattfinden soll, die leibliche Ver¬<lb/> mischung der Geschlechter — nicht der Apfelbiß der Genesis — war die erste<lb/> Sünde. Wer daher zu den Heiligen des tausendjährigen Reiches übertritt,<lb/> oder, wie der Kunstausdruck hierfür lautet, „sein Kreuz aus sich zu nehmen<lb/> gewillt ist", hat jeder geschlechtlichen Berührung für immer zu entsagen, und<lb/> das Gebot unbedingter Enthaltsamkeit nach dieser Seite hin ist das erste und<lb/> oberste für den Bewohner eines Shakerdorfes. Eine zweite Pflicht ist dann<lb/> Trennung von der Welt und vollständige Berzichtleistung auf die Ehren und<lb/> Aemter derseben, als auf Dinge, die mit dem Reiche Gottes nichts zu schaffen<lb/> haben. Ein anderweites Gebot ist friedfertige und wohlwollende Gesinnung<lb/> gegen Jedermann; denn der Herr ist ein Friedensfürst, und Waffen zu tragen<lb/> gegen seinen Nächsten heißt gegen Gottes Gerechtigkeit und Heiligkeit sündigen.<lb/> Außerdem soll der Shaker sich alles Mißbrauchs des göttlichen Namens, zu<lb/> dem auch der Eid vor Gericht gehört, enthalten und sich überhaupt einer<lb/> einfachen und alles unnütze Beiwerk vermeidenden Sprache befleißigen, wes¬<lb/> halb er auch weder einen Titel tragen, noch Jemand einen solchen ertheilen<lb/> darf, ein Verbot, welches selbst die Anrede „Herr" und „Frau" oder „Fräu¬<lb/> lein" ausschließt. Man nennt sich darum und ebenso Fremde nur „Bruder"<lb/> oder „Schwester". Eine weitere Pflicht dessen, der sich der Gemeinschaft der</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0159]
im Millennium zu leben. Im Jahre 4S2, sogen ihre DogmaMer, hob mit
der Feststellung der päpstlichen Macht, welche Staat und Kirche vereinigte,
das Reich des Antichrists an, das nach der biblischen Weissagung dem zweiten
Erscheinen Christi auf Erden vorausgehen soll. Es wuchs und breitete sich
zur Herrschaft über die Welt aus und nahm dann seit der Reformation, die
nur „ein Riß in die Einheit und Gewalt des großen Drachen" war, all¬
mählich wieder ab, bis die prophezeiten „1290 Tage der Verwüstung" abge¬
laufen waren. Während dieser Periode kehrte der göttliche Geist Christi, des
„Sohnes der ewigen Mutter Weisheit", aus der Kirche auf Erden in den
Himmel zurück, um dort den Weg für seine Wiederkunft hienieden „in und
mit der heiligen Braut, welche die Tochter der ewigen Weisheit ist", vorzu¬
bereiten. Er ließ sich dann auf Ann Lee in England herab, um sein Heiligthum zu
reinigen und sein tausendjähriges Reich zu errichten. Diese Parusie war also
nicht die Wiedererscheinung desselben persönlichen Wesens, sondern die Mani¬
festation desselben Geistes, und sie mußte durch das Medium eines Weibes
geschehen, weil das Menschengeschlecht zu voller Erlösung von den Folgen
des Sündenfalls nicht blos eines zweiten Adam's, sondern auch einer zweiten
Eva bedürfte, oder mit andern Worten, weil die Wiedergeburt zum Leben
in der geistigen Welt für den Einzelnen, ganz wie die Erzeugung und Ge¬
burt zu irdischem Dasein, nicht blos einen Mann, sondern Eltern voraussetzt.
Jene Wiedergeburt oder geistige Zeugung durch Christus als Vater und Ann
Lee als Mutter ist die einzige, die fortan stattfinden soll, die leibliche Ver¬
mischung der Geschlechter — nicht der Apfelbiß der Genesis — war die erste
Sünde. Wer daher zu den Heiligen des tausendjährigen Reiches übertritt,
oder, wie der Kunstausdruck hierfür lautet, „sein Kreuz aus sich zu nehmen
gewillt ist", hat jeder geschlechtlichen Berührung für immer zu entsagen, und
das Gebot unbedingter Enthaltsamkeit nach dieser Seite hin ist das erste und
oberste für den Bewohner eines Shakerdorfes. Eine zweite Pflicht ist dann
Trennung von der Welt und vollständige Berzichtleistung auf die Ehren und
Aemter derseben, als auf Dinge, die mit dem Reiche Gottes nichts zu schaffen
haben. Ein anderweites Gebot ist friedfertige und wohlwollende Gesinnung
gegen Jedermann; denn der Herr ist ein Friedensfürst, und Waffen zu tragen
gegen seinen Nächsten heißt gegen Gottes Gerechtigkeit und Heiligkeit sündigen.
Außerdem soll der Shaker sich alles Mißbrauchs des göttlichen Namens, zu
dem auch der Eid vor Gericht gehört, enthalten und sich überhaupt einer
einfachen und alles unnütze Beiwerk vermeidenden Sprache befleißigen, wes¬
halb er auch weder einen Titel tragen, noch Jemand einen solchen ertheilen
darf, ein Verbot, welches selbst die Anrede „Herr" und „Frau" oder „Fräu¬
lein" ausschließt. Man nennt sich darum und ebenso Fremde nur „Bruder"
oder „Schwester". Eine weitere Pflicht dessen, der sich der Gemeinschaft der
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