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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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Frage wird dahin beantwortet: aus keiner einzigen Inschrift ist ein auch nur
halbwegs befriedigender Sinn zu gewinnen. Die Ergebnisse der Bemühungen
Schlottmann's nach dieser Richtung hin find so dürftig und unsicher ausge¬
fallen , daß der Glaube sämmtlicher Heiligen und Märtyrer der Christenheit
nicht ausreichen würde, wenn man meinen sollte, daß hier das Richtige ge¬
troffen oder daß überhaupt ein Sinn vorhanden sei. "Legt ihr nichts aus,
so legt was unter", und zur Noth läßt sich allerdings gelegentlich einer
Gruppe altsemitischer Buchstaben, wo die Vocalzeichen fehlen, keine Worttren¬
nung sichtbar und bei den einen Ring bildenden Inschriften nicht einmal der
Anfang des Ganzen bezeichnet ist, ein gewisser Sinn beilegen. Kautsch giebt
(S. 14S) scherzend eine solche Lesung, indem er, wo Hitzig: "Er komme und
freue sich der Gabe Deines Freundes" übersetzt hat, mit ebenso viel oder
mehr Recht: "Habe Gefallen an mir, und aufhören wird Belastung" heraus¬
bringt. Auch Rottele") rühmt sich, daß es ihm gelungen, in dieser Weise
Inschriften aufs schönste zu deuten. Er setzt jedoch sogleich hinzu: "Nun
kennen wir aber doch nachgerade genug altsemitische Inschriften, um ein ge¬
wisses Gefühl dafür zu haben, was als Inhalt solcher möglich ist und was
nicht."

Betrachten wir schließlich mit Kautsch die Moabitica vom archäologischen
Gesichtspunkte, so gelangen wir zu folgenden Ergebnissen. Der größte Theil
der Thonwaaren hat die Ziegelfarbe der gegenwärtig in Palästina gemachten
unglasirten Erzeugnisse der Töpferei. Der durchaus moderne Eindruck dieser
Klasse der angeblich dem grauen Alterthum entstammenden Thonsachen, zu
welcher fast alle größeren Vasen, die Lampe, auf der sich die von Hitzig mit
Scharfsinn entzifferte Inschrift und verschiedene Figuren gehören, steigert sich
noch durch das Fehlen jeglicher Spuren von Verwitterung, durch die recenten
Bruchflächen bei einigen der dickeren Täfelchen und durch die scharfen Ränder
sowohl der eingegrabenen Buchstaben als der Lippen und Augenlider. Eine
zweite weit kleinere Kategorie macht auf den ersten Blick einen antikeren Ein¬
druck, indem an die Stelle des hellen Roth ein schmutziges Grau tritt, das auf
einen gewissen Grad von Verwitterung zu deuten scheint. Sieht man jedoch
schärfer zu, so zeigt sich, daß das Material dasselbe wie bei den eben be¬
schriebenen Stücken ist. und die Farbe nur von Beschmierung mit feuchter Erde
herrührt. Etwas älter sehen eine dritte und eine vierte Kategorie aus, von
denen die eine aus weichem, die andere aus härterem grauem Sandstein geformt
ist. Beide sind nur durch wenige Exemplare vertreten. Sehr alt endlich
scheinen einige der größten Götzenfiguren zu sein. Die Masse ist hier ein
fester grauer Thon, die betreffenden Stücke sind fast alle irgendwie zerbrochen
und theilweise mit einem schwarzen Kitt, vermuthlich Judenpech, wieder zu-



") Deutsche Rundschau, 2. Jahrg. Heft 6. S. 45V.

Frage wird dahin beantwortet: aus keiner einzigen Inschrift ist ein auch nur
halbwegs befriedigender Sinn zu gewinnen. Die Ergebnisse der Bemühungen
Schlottmann's nach dieser Richtung hin find so dürftig und unsicher ausge¬
fallen , daß der Glaube sämmtlicher Heiligen und Märtyrer der Christenheit
nicht ausreichen würde, wenn man meinen sollte, daß hier das Richtige ge¬
troffen oder daß überhaupt ein Sinn vorhanden sei. „Legt ihr nichts aus,
so legt was unter", und zur Noth läßt sich allerdings gelegentlich einer
Gruppe altsemitischer Buchstaben, wo die Vocalzeichen fehlen, keine Worttren¬
nung sichtbar und bei den einen Ring bildenden Inschriften nicht einmal der
Anfang des Ganzen bezeichnet ist, ein gewisser Sinn beilegen. Kautsch giebt
(S. 14S) scherzend eine solche Lesung, indem er, wo Hitzig: „Er komme und
freue sich der Gabe Deines Freundes" übersetzt hat, mit ebenso viel oder
mehr Recht: „Habe Gefallen an mir, und aufhören wird Belastung" heraus¬
bringt. Auch Rottele") rühmt sich, daß es ihm gelungen, in dieser Weise
Inschriften aufs schönste zu deuten. Er setzt jedoch sogleich hinzu: „Nun
kennen wir aber doch nachgerade genug altsemitische Inschriften, um ein ge¬
wisses Gefühl dafür zu haben, was als Inhalt solcher möglich ist und was
nicht."

Betrachten wir schließlich mit Kautsch die Moabitica vom archäologischen
Gesichtspunkte, so gelangen wir zu folgenden Ergebnissen. Der größte Theil
der Thonwaaren hat die Ziegelfarbe der gegenwärtig in Palästina gemachten
unglasirten Erzeugnisse der Töpferei. Der durchaus moderne Eindruck dieser
Klasse der angeblich dem grauen Alterthum entstammenden Thonsachen, zu
welcher fast alle größeren Vasen, die Lampe, auf der sich die von Hitzig mit
Scharfsinn entzifferte Inschrift und verschiedene Figuren gehören, steigert sich
noch durch das Fehlen jeglicher Spuren von Verwitterung, durch die recenten
Bruchflächen bei einigen der dickeren Täfelchen und durch die scharfen Ränder
sowohl der eingegrabenen Buchstaben als der Lippen und Augenlider. Eine
zweite weit kleinere Kategorie macht auf den ersten Blick einen antikeren Ein¬
druck, indem an die Stelle des hellen Roth ein schmutziges Grau tritt, das auf
einen gewissen Grad von Verwitterung zu deuten scheint. Sieht man jedoch
schärfer zu, so zeigt sich, daß das Material dasselbe wie bei den eben be¬
schriebenen Stücken ist. und die Farbe nur von Beschmierung mit feuchter Erde
herrührt. Etwas älter sehen eine dritte und eine vierte Kategorie aus, von
denen die eine aus weichem, die andere aus härterem grauem Sandstein geformt
ist. Beide sind nur durch wenige Exemplare vertreten. Sehr alt endlich
scheinen einige der größten Götzenfiguren zu sein. Die Masse ist hier ein
fester grauer Thon, die betreffenden Stücke sind fast alle irgendwie zerbrochen
und theilweise mit einem schwarzen Kitt, vermuthlich Judenpech, wieder zu-



") Deutsche Rundschau, 2. Jahrg. Heft 6. S. 45V.
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[0094] Frage wird dahin beantwortet: aus keiner einzigen Inschrift ist ein auch nur halbwegs befriedigender Sinn zu gewinnen. Die Ergebnisse der Bemühungen Schlottmann's nach dieser Richtung hin find so dürftig und unsicher ausge¬ fallen , daß der Glaube sämmtlicher Heiligen und Märtyrer der Christenheit nicht ausreichen würde, wenn man meinen sollte, daß hier das Richtige ge¬ troffen oder daß überhaupt ein Sinn vorhanden sei. „Legt ihr nichts aus, so legt was unter", und zur Noth läßt sich allerdings gelegentlich einer Gruppe altsemitischer Buchstaben, wo die Vocalzeichen fehlen, keine Worttren¬ nung sichtbar und bei den einen Ring bildenden Inschriften nicht einmal der Anfang des Ganzen bezeichnet ist, ein gewisser Sinn beilegen. Kautsch giebt (S. 14S) scherzend eine solche Lesung, indem er, wo Hitzig: „Er komme und freue sich der Gabe Deines Freundes" übersetzt hat, mit ebenso viel oder mehr Recht: „Habe Gefallen an mir, und aufhören wird Belastung" heraus¬ bringt. Auch Rottele") rühmt sich, daß es ihm gelungen, in dieser Weise Inschriften aufs schönste zu deuten. Er setzt jedoch sogleich hinzu: „Nun kennen wir aber doch nachgerade genug altsemitische Inschriften, um ein ge¬ wisses Gefühl dafür zu haben, was als Inhalt solcher möglich ist und was nicht." Betrachten wir schließlich mit Kautsch die Moabitica vom archäologischen Gesichtspunkte, so gelangen wir zu folgenden Ergebnissen. Der größte Theil der Thonwaaren hat die Ziegelfarbe der gegenwärtig in Palästina gemachten unglasirten Erzeugnisse der Töpferei. Der durchaus moderne Eindruck dieser Klasse der angeblich dem grauen Alterthum entstammenden Thonsachen, zu welcher fast alle größeren Vasen, die Lampe, auf der sich die von Hitzig mit Scharfsinn entzifferte Inschrift und verschiedene Figuren gehören, steigert sich noch durch das Fehlen jeglicher Spuren von Verwitterung, durch die recenten Bruchflächen bei einigen der dickeren Täfelchen und durch die scharfen Ränder sowohl der eingegrabenen Buchstaben als der Lippen und Augenlider. Eine zweite weit kleinere Kategorie macht auf den ersten Blick einen antikeren Ein¬ druck, indem an die Stelle des hellen Roth ein schmutziges Grau tritt, das auf einen gewissen Grad von Verwitterung zu deuten scheint. Sieht man jedoch schärfer zu, so zeigt sich, daß das Material dasselbe wie bei den eben be¬ schriebenen Stücken ist. und die Farbe nur von Beschmierung mit feuchter Erde herrührt. Etwas älter sehen eine dritte und eine vierte Kategorie aus, von denen die eine aus weichem, die andere aus härterem grauem Sandstein geformt ist. Beide sind nur durch wenige Exemplare vertreten. Sehr alt endlich scheinen einige der größten Götzenfiguren zu sein. Die Masse ist hier ein fester grauer Thon, die betreffenden Stücke sind fast alle irgendwie zerbrochen und theilweise mit einem schwarzen Kitt, vermuthlich Judenpech, wieder zu- ") Deutsche Rundschau, 2. Jahrg. Heft 6. S. 45V.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/94>, abgerufen am 27.11.2024.