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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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Mitteln auf Abschlag. Dindorf reiste damit ab, Lepsius behielt dafür die
kostbaren Pergamentblätter. Er vor Allem hatte bewirkt, daß die College"
von der Akademie jenes günstige Urtheil über sie gefällt hatten. Jetzt aber
wurden von andrer Seite Bedenken in Betreff der Handschrift bei ihm ange¬
regt, und als er sie daraufhin sorgfältiger untersuchte, fand er, daß die Be¬
denklichen Recht hatten. Unter Anderm hatte der alte Grieche Uranios eine
Hypothese Bunsen's, der sechszehn Jahrhunderte nach ihm geschrieben, wörtlich
in seine Geschichte aufgenommen. Dazu kam, daß der strebsame Tischendorf,
der immer dabei sein mußte, wo Etwas für sein geräumiges Knopfloch ab¬
fallen konnte*), von Leipzig auf Grund von Briefen, die Simonides an einen
Landsmann gerichtet, weitere Beweise lieferte, daß die Akademie einem Fälscher
in die Hände gefallen war. Das Ende war, daß Lepsius mit Stieber nach
Leipzig reiste und hier gerade noch zu rechter Zeit eintraf, um dem bösen
Griechen, der schon seine Koffer gepackt hatte, die Dindorf'schen Zweitausend
wieder abzunehmen. Sein Geld hatte man wieder, etwas Anderes aber, was
manchen Leuten lieber wie Geld ist, war verloren oder doch arg beschädigt.

Die Akademie war also, wie man vielleicht auch von einer so vornehmen
Körperschaft sagen darf, mit einem blauen Auge weggekommen, und blaue
Augen dieser Art vergehen mit der Zeit. Demungeachtet war's eine verdrie߬
liche Geschichte, und die berliner Herren lassen sich nicht gern an sie erinnern.
Ich verdenke ihnen das nicht, meine aber, es wäre am Ende klug und nützlich
gewesen, wenn sie sich selbst von Zeit zu Zeit daran erinnert und ihren
Freunden davon Mittheilung gemacht hätten. Möglicherweise wäre dann ein
viel schlimmeres Unglück verhütet worden, das jetzt, gerade zwanzig Jahre
nach jenem ersten, den Centralpunkt der deutschen Intelligenz befallen hat,
und über welches nun berichtet werden soll.

Im Jahre 1870 wurde im Gebiete des alten Volkes Moab ein mit
semitischen schriftlichen bedeckter Stein gefunden, der nach seiner Inschrift
aus der Zeit des Königs Mesa stammte. Mit dem großen Interesse, welches
diese Reliquie eines Volkslebens erregte, von dem wir bisher nur durch die
Bibel wußten, verband sich die Hoffnung, mit der Zeit werde sich auf den
Ruinenstätten jenes Gebietes mehr der Art finden. Diese Hoffnung erfüllte
sich wunderbar rasch, wenn Professor Schlottmann in Halle mit seinen Mit¬
theilungen in der "Zeitschrift der deutschen morgenländischen Gesellschaft",
nach denen in der Bella, nicht fern vom Fundorte des Mesasteines, eine An¬
sah! Figuren, Geräthe und Tafeln moabitischen Ursprungs ausgegraben und
nach Jerusalem gebracht worden waren, Recht hatte. Dieß schien jedoch nur
insoweit der Fall zu sein, als wirklich solche Gegenstände in Jerusalem gezeigt



') Er telegraphirte, nicht an Lepsius, sondern an die "maßgebende Stelle", wo verdienst¬
volle und hungrige Knopflöcher gespeist werden.

Mitteln auf Abschlag. Dindorf reiste damit ab, Lepsius behielt dafür die
kostbaren Pergamentblätter. Er vor Allem hatte bewirkt, daß die College«
von der Akademie jenes günstige Urtheil über sie gefällt hatten. Jetzt aber
wurden von andrer Seite Bedenken in Betreff der Handschrift bei ihm ange¬
regt, und als er sie daraufhin sorgfältiger untersuchte, fand er, daß die Be¬
denklichen Recht hatten. Unter Anderm hatte der alte Grieche Uranios eine
Hypothese Bunsen's, der sechszehn Jahrhunderte nach ihm geschrieben, wörtlich
in seine Geschichte aufgenommen. Dazu kam, daß der strebsame Tischendorf,
der immer dabei sein mußte, wo Etwas für sein geräumiges Knopfloch ab¬
fallen konnte*), von Leipzig auf Grund von Briefen, die Simonides an einen
Landsmann gerichtet, weitere Beweise lieferte, daß die Akademie einem Fälscher
in die Hände gefallen war. Das Ende war, daß Lepsius mit Stieber nach
Leipzig reiste und hier gerade noch zu rechter Zeit eintraf, um dem bösen
Griechen, der schon seine Koffer gepackt hatte, die Dindorf'schen Zweitausend
wieder abzunehmen. Sein Geld hatte man wieder, etwas Anderes aber, was
manchen Leuten lieber wie Geld ist, war verloren oder doch arg beschädigt.

Die Akademie war also, wie man vielleicht auch von einer so vornehmen
Körperschaft sagen darf, mit einem blauen Auge weggekommen, und blaue
Augen dieser Art vergehen mit der Zeit. Demungeachtet war's eine verdrie߬
liche Geschichte, und die berliner Herren lassen sich nicht gern an sie erinnern.
Ich verdenke ihnen das nicht, meine aber, es wäre am Ende klug und nützlich
gewesen, wenn sie sich selbst von Zeit zu Zeit daran erinnert und ihren
Freunden davon Mittheilung gemacht hätten. Möglicherweise wäre dann ein
viel schlimmeres Unglück verhütet worden, das jetzt, gerade zwanzig Jahre
nach jenem ersten, den Centralpunkt der deutschen Intelligenz befallen hat,
und über welches nun berichtet werden soll.

Im Jahre 1870 wurde im Gebiete des alten Volkes Moab ein mit
semitischen schriftlichen bedeckter Stein gefunden, der nach seiner Inschrift
aus der Zeit des Königs Mesa stammte. Mit dem großen Interesse, welches
diese Reliquie eines Volkslebens erregte, von dem wir bisher nur durch die
Bibel wußten, verband sich die Hoffnung, mit der Zeit werde sich auf den
Ruinenstätten jenes Gebietes mehr der Art finden. Diese Hoffnung erfüllte
sich wunderbar rasch, wenn Professor Schlottmann in Halle mit seinen Mit¬
theilungen in der „Zeitschrift der deutschen morgenländischen Gesellschaft",
nach denen in der Bella, nicht fern vom Fundorte des Mesasteines, eine An¬
sah! Figuren, Geräthe und Tafeln moabitischen Ursprungs ausgegraben und
nach Jerusalem gebracht worden waren, Recht hatte. Dieß schien jedoch nur
insoweit der Fall zu sein, als wirklich solche Gegenstände in Jerusalem gezeigt



') Er telegraphirte, nicht an Lepsius, sondern an die „maßgebende Stelle", wo verdienst¬
volle und hungrige Knopflöcher gespeist werden.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/87>, abgerufen am 27.11.2024.